Süddeutsche Zeitung

Langlauf in Ohlstadt:Olympische Spiele - tiefer gelegt

Oberammergau ist wegen der Bewerbung für Olympia zutiefst zerstritten. Nun soll das Gut Schwaiganger bei Ohlstadt Austragungsort der Langlaufwettbewerbe werden.

S. Schwaderer und C. Sebald

Dass die Phantasie Bernd Heinlein an einem Tag wie diesem im Stich lässt, ist verständlich. "Keine Ahnung, wie so ein Schneepark aussehen würde", sagt der weißhaarige Wirt von Gut Schwaiganger bei Ohlstadt und kneift die Augen zusammen. Vor ihm liegt im gleißenden Sonnenschein das imposante Gut. Um einen Reitplatz gruppieren sich Stallungen, Betriebsgebäude, Werkstätten und alte Bäume.

Still ist es hier, idyllisch. Im Sommer kommen Gäste, um sich mit Schweinsbraten und Tafelspitz zu stärken. Im Winter ist das anders, ruhiger, viel ruhiger. Deshalb ist Wirt Heinlein von dem Gedanken durchaus angetan, dass das Gut Schwaiganger bei den Olympischen Winterspielen 2018 mit dabei sein könnte. "Der Standort ist gut", findet er. "Gute Verkehrsanbindung und ein interessantes Gelände - Hügel rauf, Hügel runter."

Am Wochenende ist klar geworden, dass das Gebirgsdorf Oberammergau, in dem eigentlich die Biathlon- und Langlauf-Wettkämpfe stattfinden sollten, ausscheidet - zu groß war der Widerstand im Ort. Der Freistaat stellt als Ausweichort sein Gut Schwaiganger zur Verfügung, ebenfalls nur wenige Kilometer von Garmisch entfernt, wo ein Großteil der Wettbewerbe stattfinden soll.

Ohlstadts Bürgermeister Anton Fischer hat erst am Freitag von den Plänen für Gut Schwaiganger erfahren. "Damit hätten wir nie gerechnet", sagt er. Ohlstadt, fünf vor zwölf am Montag. Das 3300-Seelen-Dorf stimmt sich gerade auf den Mittagsschlaf ein. Eine Frau mit kräftigen Armen und blondem Haar wuchtet die Ständer mit den Sonderangeboten ins Innere des kleinen Sportgeschäfts.

Der Laden gehört ihrem Mann Stefan Gaisreiter, der ist Ex-Bobweltmeister und gerade in München als Olympiabotschafter unterwegs. "Natürlich wäre das super für uns, wenn die Winterspiele kämen", sagt Christa Gaisreiter. "Es würde nicht schaden, wenn sich in Ohlstadt endlich wieder etwas regen würde." Und das, stellt sie ganz klar, sei nicht die Meinung ihres Mannes. "Das ist meine Meinung als Geschäftsfrau."

"Und wer bringt den Schnee?"

Ein paar Schritte weiter schüttelt ein anderer Geschäftsmann nur den Kopf. "Und wer bringt den Schnee?", fragt er. Das Tal sei völlig ungeeignet. Selbst entschiedene Olympia-Befürworter sehen die Umplanung skeptisch. Während Oberammergau ein Schneeloch sei, sei das viel tiefer gelegene Schwaiganger die meiste Winterzeit schneefrei.

Olympia-Botschafter Stefan Gaisreiter aus Ohlstadt hält dagegen: "Da, wo die Spiele jetzt geplant sind, ist es sehr schneesicher. Das ist die sicherste Nord-Schattenlage überhaupt im Tal." Und liege höchstens 50 Meter tiefer als Oberammergau.

Im Agrarministerium in München indes hat man keine grundsätzlichen Einwände gegen die Pläne der Olympia-Bewerbungsgesellschaft. Vorausgesetzt, die Pferdezucht in dem 1000 Jahre alten Gestüt wird nicht beeinträchtigt. Doch bei mehr als 450 Hektar Grünland, die zu Schwaiganger gehören, wird ausreichend Platz für die Langlauf- und Biathlonanlagen sein, heißt es im Ministerium. Aber natürlich wollen sie die Mehrkosten für das Gut ersetzt haben - etwa wenn sie Futter für die Pferde kaufen müssen, wenn sie es nicht von den Wiesen holen können.

Im chronisch zerstrittenen Oberammergau, das nun leer ausgeht, ist man wie immer gespalten.

Eigentlich sollte der Oberammergauer Bürgermeister Arno Nunn (parteifrei) erleichtert sein über die Umplanung. Hat er doch damit den Streit im Passionsspielort vom Hals, der mit jedem Tag schärfer geworden wäre, egal ob der geplante Bürgerentscheid gegen die Spiele erfolgreich oder gescheitert wäre. Aber Nunn ist nicht erleichtert, keine Spur.

"Es ist eine Enttäuschung, dass wir nicht mehr dabei sind", sagt der Rathauschef. "Denn das wäre ein Aufbruch für den ganzen Ort gewesen." So aber beklagt er, dass ihm "die Zeit davongelaufen ist, die Grundbesitzer und die Bevölkerung mitzunehmen für die Bewerbung".

"Wir sind aus dem Rennen? Klasse!", sagt die Frau, die gerade vom Einkaufen kommt und strahlt. Ihren Namen mag sie nicht nennen, aber ihr und ihrem Mann gehören ein paar Grundstücke, die die Olympiagesellschaft dringend gebraucht hätte. Bis zuletzt hätten sie sich geweigert, ihren Grund für einen Parkplatz herzugeben. "An einem Ort wie diesem, der mit Naturverbundenheit wirbt, muss man darauf achten, dass nichts kaputtgemacht wird, schon gar nicht für zwei Wochen", sagt sie.

"Die denken hier alle a bisserl komisch."

Bernd Hasel, der Betreiber des Postladerls, hat die Nachricht eben im Radio gehört. "Schade, ich hätte mich für Oberammergau gefreut", sagt er und drückt zwei Amerikanern das Wechselgeld für ihr Eis in die Hand. "Have a nice day." Die Winterspiele wären eine Chance gewesen, endlich über die Passionsspiele hinaus bekannt zu werden.

Dafür hätte Hasel es auch in Kauf genommen, dass direkt vor seinem Haus ein Zaun hochgezogen worden wäre. Das Ausmaß, den der Streit in Oberammergau angenommen hat, befremdet ihn. Sein Eindruck: "Die denken hier alle a bisserl komisch." Ein Koch kommt vorbeigeradelt. Ist er überrascht? "Nein", sagt er. "Oberammergau war schon immer so." Wie jetzt genau? "Aufmüpfig, tät' ich sagen."

Ludwig Hartmann, Grünen-Landtagsabgeordneter und einer der Anführer von "Nolympics", überlegt gerade, ob man nun auch ein Bürgerbegehren gegen Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort startet. Das wäre auf jeden Fall ein politisches Signal, das die Bewerbung in Bedrängnis bringe, sagt er.

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SZ vom 06.07.2010/sonn
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