Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Eine Spur, die niemand braucht

Ein Kuriosum des Straßenbaus ist in Langensendelbach zu bewundern

Kolumne von Olaf Przybilla

Was waren das noch für Zeiten, in denen wunderbar neue Linksabbiegerspuren, eingepflegt in makellosem Weiß, die Menschen auf die Straße getrieben haben, um sich dem würdigen Anlass gemäß Bier und Bratwurst hinzugeben. Und heute? Im fränkischen Langensendelbach denken sie gar nicht daran, ein Fest auszurichten und die Honoratioren mit großen Scheren auszustatten, auf dass im Lokalblatt ein Foto mit 17 Politikern an Flatterband erscheinen möge.

Ja, die Zeiten sind undankbar. Wobei sie in Langensendelbach durchaus Festlichkeiten im Zusammenhang mit ihrer neuen und ästhetisch einwandfrei gelungenen Linksabbiegerspur zum Recyclinghof in Erwägung ziehen. Jene Spur könnte man doch als neuen Festplatz institutionalisieren, heißt es im Ort. Ein paar Bänke würden auf besagter Spur zweifellos Platz finden, was aber noch wichtiger ist: Um den Verkehrssicherungspflichten Genüge zu tun, müsste man nicht mal eine Umleitung einrichten. Weil auf der neuen Linksabbiegerspur ja ohnehin kein vernünftiger Mensch links abbiegen mag.

Warum auch? Die Langensendelbacher haben den neuen Recyclinghof außerhalb ihrer Ortschaft gebaut. Sie selbst fahren ihr Zeug aus dem Dorf raus, biegen rechts ab, laden aus und gut ist. Würde einer aus der anderen Richtung, aus Hagenau, den Hof nutzen wollen, müsste er tatsächlich nach links auf die neue Spur einfädeln. Nur: Macht keiner. Warum? "Weil's völlig unlogisch wäre", sagt der Bürgermeister und bekennende Abbiegespurskeptiker Oswald Siebenhaar, hörbar enerviert. Schließlich liegt Hagenau in einem anderen Landkreis. Dort haben sie eigene Wertstoffhöfe, der Langensendelbacher Hof ist folglich tabu.

Gleichwohl hat das Landratsamt den Langensendelbachern eine alle Regeln der Straßenbaukunst schmeichelnde Abbiegespur aufs Auge gedrückt, ein Prachtexemplar, Kostenpunkt 320 000 Euro, der sogenannten Verkehrssicherheit wegen. Und der Bürgermeister muss seinen Leuten nun erklären, warum für Wichtiges kaum Geld da ist, während für eine So-da-Linksabbiegerspur (die einfach so da liegt) eine sechsstellige Summe unter Asphalt verbuddelt wird. 50 000 Euro Ablöse werden auch noch fällig. Aber die, sagt der Bürgermeister, habe man nun vorläufig mal nicht gezahlt. Aus purem Trotz.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2020
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