Landwirtschaft:Zum Riesentraktor gibt's den Thermomix

Fendt

Ganz gleich, wie riesig die Landmaschinen werden – die ideale Pflüggeschwindigkeit liegt bei acht Kilometern pro Stunde.

(Foto: Agco)
  • Das Karpfhamer Fest dauert sechs Tage. Kernigstes Landvolk trifft sich zum Biertrinken, Karussellfahren und vor allem zum Landmaschinenbewundern.
  • Melkroboter und Traktoren mit Touchscreen und CD-Laufwerk werden präsentiert. Es ist ein Blick in die Zukunft der Landwirtschaft.

Von Rudolf Neumaier

Der Fendt 1000 Vario sieht im Katalog aus wie eine von diesen Fantasiemonstermaschinen, mit denen in amerikanischen Actionfilmen die Bösen hinter den Guten herbrettern. Groß, mächtig, bedrohlich. Im Vergleich zu solchen Bildern wirkt er in Wirklichkeit dann eher zahm. Ein Traktor eben. Groß und mächtig zwar, aber auch gemütlich. Junge Frauen im Dirndl lassen sich davor ablichten.

Außergewöhnliche Verkehrsmittel waren schon immer beliebte Fotomotive, Motorräder, Rennwagen, warum nicht auch landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge. Das Außergewöhnliche am Fendt Vario sind seine Superlative. 3,80 Meter Gesamthöhe und Hinterreifen, neben denen sich selbst ein hochgewachsener Mann kümmerlich fühlt. Mehr als 500 PS.

Der Fendt Vario wird auf der Rottalschau beim Karpfhamer Fest im tiefen Niederbayern als der größte Standardschlepper der Welt präsentiert. Er kostet zwischen 350 000 und 380 000 Euro. Wer einen Traktor kauft, bekommt in Karpfham einen Thermomix gratis dazu, das war die Idee eines Mannes des Baywa-Konzerns.

Als es im vergangenen Jahr herauskam, hat dieses Gefährt sogar zwei Designpreise abgeräumt. Den Red Dot Design Award und den If Design Award Gold. Auf so etwas kommt es bei einer Landwirtschaftsausstellung zwar nicht an. Trotzdem ist es eine feine Sache, dass sich Design-Juroren auch mit Agrargerät beschäftigen und die "zeitgemäße Gestaltung" eines Traktors würdigen.

Der kolossale Fendt Vario, wie er in Karpfham steht und fotografiert und bestaunt wird, ist mehr als der größte Standardschlepper der Welt: Er ist ein Symbol des Strukturwandels in der Landwirtschaft. Mindestens 45 von diesen Riesen seien inzwischen auf bayerischen Feldern unterwegs, "Tendenz extrem steigend", sagt Andreas Kummert, Regionalleiter im Vertrieb des Marktoberdorfer Landmaschinenunternehmens. Nur Landwirte mit gigantischen Höfen und gigantischen Flächen brauchen eine so gigantische Maschine und können sie sich leisten. Ihre Zahl scheint zu wachsen.

Der Strukturwandel - er schwebt über dem Festplatz von Karpfham wie ein Menetekel. Alle Handelsvertreter, mit denen man ins Gespräch über ihre schönen Apparate kommt und über das Agrarwesen als solches, landen nach ein paar Minuten bei diesem Thema. Und viele von ihnen wissen nicht, was sie davon halten sollen.

Die Großen werden größer, und die Kleinen geben auf. Das lässt sich nicht mehr mit der sozialen Schere von Reich und Arm in der Gesellschaft vergleichen, das ist vielmehr die agrarökonomische Walze, die nur großen Hindernissen ausweicht und alles andere zermalmt. Zyniker nennen das vielleicht Flurbereinigung.

Der Bauer kann beim Pflügen Zeitung lesen

Sechs Tage dauert das Karpfhamer Fest. Es hat eine jahrhundertalte Geschichte. Kernigstes Landvolk aus allen Winkeln Bayerns und aus Österreich trifft sich am Rande dieses 700-Einwohner-Dorfes zum Biertrinken, Karussellfahren und vor allem zum Landmaschinenbewundern. Früher waren es nahezu ausschließlich Bauern.

Und heute? Wie viele von den jungen Männern, die sich über Pflüge und Miststreuer, Melkcomputer und ergonomische Pilleneingeber für Kälber informieren und den Firmenvertretern Freibier abluchsen, leben noch von der Landwirtschaft? Wie viele können in zehn Jahren noch davon leben? Es werden weniger von Jahr zu Jahr, so der Tenor an den Ständen.

Landwirtschaft: Sechs Tage dauert das Karpfhamer Fest, eine Mischung aus Volksfest und Landwirtschaftsmesse.

Sechs Tage dauert das Karpfhamer Fest, eine Mischung aus Volksfest und Landwirtschaftsmesse.

(Foto: PR)

Doch nur Kleinbetriebsromantiker beklagen das. Die anderen stellen sich darauf ein und entwickeln noch größere Maschinen. Oder noch effizientere. Denn das agrarolympische Höher, Schneller und Weiter bei Traktoren und Mähdreschern stößt an eine unverrückbare Grenze: die Straßenverkehrsordnung. Sie limitiert Maße und Gewichte der Fahrzeuge. Und bei der Feldarbeit ist die ideale Pflüggeschwindigkeit mit acht Kilometern pro Stunde seit alten Zeiten definiert und wird sich auch nie mehr ändern.

Was sich geändert hat und weiterhin ändern wird, ist der Komfort für die Tiere im Stall und für den Bauern in der Traktor-Fahrerkabine. Heute hat er im Fendt Vario einen CD-Player mit vier Boxen, eine Freisprechanlage, eine Kühlbox und einen 10,4-Zoll-Touchscreen auf seiner Kanzel. Eigentlich fehlte nur noch eine Steckdose für den Thermomix.

In ein paar Jahren wird er sich beim Pflügen oder beim Mähen die aktuelle Staffel von "Game of Thrones" anschauen können, sofern er dann überhaupt noch aufsteigen muss auf seinen Bulldog. Die Landwirtschaft funktioniert schnurlos und ist durchdigitalisiert. Ein Hersteller von Bergmähmaschinen erzählt von einem Tölzer Bauern, der sich zur Ernte auf einen Jägerhochstand setzt und seine Maschine von dort aus lenkt. Auch wenn sie aus seinem Blickfeld tuckert, sieht er genau, wo sie hinfährt. Ihre Frontkamera überträgt ihm die Bilder auf den Hochsitz.

"Die Landwirtschaft in Deutschland ist emotionsgetrieben"

Landwirtschaft: Besucher inspizieren die neuesten Landwirtschaftsgeräte aus der Nähe. Kühlbox, Touchscreen und Musikanlage gehören bei den Fahrzeugen heute oft zur Grundausstattung.

Besucher inspizieren die neuesten Landwirtschaftsgeräte aus der Nähe. Kühlbox, Touchscreen und Musikanlage gehören bei den Fahrzeugen heute oft zur Grundausstattung.

(Foto: PR)

Längst lassen sich Traktoren von Algorithmen lenken: Wenn die Bauern wollen, können sie Zeitung lesen, während Zugmaschine und Anhänger auf zwei Zentimeter exakt das Feld bearbeiten. GPS-gesteuert, versteht sich.

Heute differenzieren Agrar-Computerprogramme zum Beispiel schon, an welchen Stellen eines Feldes das Gerät hinter dem Traktor mehr und an welchen weniger Dünger verteilen muss. Als Basis dienen Satellitenbilder der vergangenen 20 Jahre: Aus den Analysen dieser Bilder lassen sich Rückschlüsse auf die Bodenqualität ziehen - und auf den Düngerbedarf.

Diese Daten speichert der Bordcomputer im Traktor für jedes Feld. Für die Samen ist das GPS-gesteuerte Precision-Combi-Seeding der letzte Schrei. Früher ließen sich Landwirte wie andere Schwerarbeiter an ihren Händen erkennen. Bauern arbeiteten mit Heu- und Mistgabel und wuchteten ihren Traktor ohne Servolenkung über den Acker. Das Ergebnis war ein Händedruck wie ein Schraubstock.

Heugabeln muss man in Karpfham suchen, und die Hände der Karpfhamer Klientel sind eindeutig kleiner geworden, aber man muss das nicht bedauern. Warum soll einen Landwirt, um empfindsamer Vorstellungen willen, seine Arbeit körperlich unbedingt stärker anstrengen als einen Software-Programmierer, wenn es anders geht?

Der erfolgreichste Bauer im Dorf war schon immer der mit den stärksten Maschinen. Da konnten die anderen noch so viele Rinder oder Schweine im Stall herumstehen haben oder Felder bewirtschaften - der beste und einzige Indikator für Prosperität war das Leistungsvermögen des Traktors, gemessen in PS. Pferdestärke. Landwirtschaft war und ist ein Wettbewerb, neben der Jagd vielleicht der Ur-Wettbewerb schlechthin.

Nicht nur der größte Traktor zählt, auch das teuerste Mähwerk. Ein Gülletransporter-Vertreter erzählt, er treffe ständig auf Kunden, die nur deswegen ein neues Gerät bestellen, weil der Großbauer aus dem Nachbarort gerade einen neuen Wagen gekauft hat. Und das eigene muss dann größer sein.

Jeder Zentiliter Gülle muss dokumentiert werden

"Die Landwirtschaft in Deutschland ist emotionsgetrieben", sagt auch Moritz Kraft. Das Prestige von Landmaschinen ähnle dem des Automobils. Kraft ist Produktmanager bei der Firma Claas, deren gigantische Mähdrescher jedes Auto verzwergen lassen. Noch vor fünf Jahren sei eine der kleineren Mähdrescher-Versionen aus dem Sortiment am gefragtesten gewesen, sagt er. Inzwischen wird deutlich größer gekauft.

Die Rottalschau gilt als zuverlässiges Stimmungsbarometer für die Landwirtschaft. Die Milch-, Getreide- und Fleischpreise stimmen zurzeit, das Tagesgeschäft passt einigermaßen im Stall und auf dem Feld. Doch nun kommt eine neue Düngemittelverordnung, da wird ganz Karpfham bange. Die Bauern müssen bald möglichst auf den Zentiliter genau dokumentieren, was und wo sie ausbringen.

Und sie müssen aufrüsten: Gülle darf bald nicht mehr gespritzt werden, sondern ist umweltschonend mit Schleppschläuchen in den Boden einzubringen. Kleinere Betriebe klagen, sie gelangten schon bei dieser Investition an Grenzen, spätestens beim Stallumbau scheiterten sie.

Der moderne Kuhstall sieht so aus, dass die Kühe nicht mehr - wie noch häufig - tagaus, tagein im Stall angebunden sind, sondern frei im Stall herumlaufen und in den Melkstand gehen, wenn sie wollen. Ein Roboter pumpt ihnen die Milch aus dem Euter. In Karpfham wird eine naturnahe und "tiergerechte Mehrstufenstimulation" angeboten, die der Kuh das Gefühl geben soll, dass ein Kalb saugt und schluckt. Nicht jeder Bauer mit 40 Kühen kann oder will sich das leisten. Vielleicht wird er seinen Betrieb aufgeben und seine Flächen verpachten. Und der Pächter braucht einen größeren Traktor. Bald dann auch den größten.

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