Süddeutsche Zeitung

Ernte:Esst mehr Äpfel

  • Die Menge und Qualität der in diesem Jahr geernteten Äpfel ist enorm. Das ist für Experten keine Überraschung.
  • Auf Jahre mit schlechten Ernten folgt meistens ein ertragreiches Jahr. 2017 war ein Frostjahr, Obstbauern klagten damals über dramatische Ertragsausfälle.
  • 2018 sind dagegen nur manche Früchte etwas kleiner als sonst - Grund war die Dürre im Sommer.

Von Christian Rost und Christian Sebald

Für die Obstbauern am Bodensee mit ihrer jährlichen Ernte von bis zu 300 000 Tonnen allein an Äpfeln sollte 2018 ein Traumjahr werden "Richtig schön und groß, mit Zucker ohne Ende" seien die Früchte herangewachsen, sagt Martin Nüberlin. Ein größeres Exemplar bringt schon mal 500 Gramm auf die Waage. Der Sprecher der bayerischen Obstbauern am Bodensee ist von der Menge und der Qualität begeistert, nachdem ihm und vielen anderen Ertragsobstbauern in Bayern im vorigen Jahr der Frost einen Großteil der Ernte zunichte gemacht hat. Nach dem Frostjahr kam der Supersommer - doch Nüberlin wäre kein echter Landwirt, wenn er nur jubeln würde über den Rekordertrag, der rund ein Viertel über dem langjährigen Durchschnitt liegt.

Egal, in welcher Ecke des Freistaats man nachfragt: Die Ernte, gerade bei den Äpfeln, ist enorm. Marianne Scheiblhuber von der Erzeugergemeinschaft für Obst- und Gemüseverwertung (OVG) in Künzing im Landkreis Deggendorf ist geradezu erschlagen von der Menge an Früchten. 170 Erzeuger gehören der OVG an, aber auch viele Privatleute bringen ihr Obst zum Saften, Mosten oder Brennen. "So ein Jahr hatten wir noch nie", sagt Scheiblhuber, die seit 20 Jahren die Geschäfte führt. Allein in der letzten Augustwoche seien drei Viertel der Erntemenge des gesamten Vorjahres angeliefert worden.

"Wir mussten einen Annahmestopp verhängen", berichtet sie. Wer jetzt noch mit Äpfeln kommt, kann sie nur noch pressen lassen und muss den Saft gleich wieder mitnehmen. Die Tanks der Erzeugergemeinschaft mit 1,1 Millionen Liter Fassungsvermögen sind beinahe voll. "Mit tut's in der Seele weh, weil viele Früchte an den Bäumen hängen bleiben und dann verfaulen werden." Verkaufen in andere Bundesländer wie Baden-Württemberg und Hessen kann sie das Überangebot nicht - auch dort fiel die Ernte ungewöhnlich gut aus.

Dass 2018 ein sehr gutes Obstjahr werden wird, war für Experten keine Überraschung. "Das ist immer so: Auf ein Jahr mit hohen Frostschäden folgt ein sehr ertragreiches Obstjahr", sagt Hubert Siegler von der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) im unterfränkischen Veitshöchheim. "Das ist die sogenannte Alternanz." 2017 war ein Frostjahr, kaum ein Obstanbaugebiet in Bayern, in dem nicht über Spätfröste und in der Folge über zum Teil dramatische Ertragsausfälle geklagt wurde. In diesem Jahr haben Siegler und seine Fachleute schon an der extrem üppigen Blüte im Frühjahr ablesen können, dass es ein ausgezeichnetes Apfel- und Birnenjahr werden wird.

In einigen Regionen sind die Früchte nur etwas klein geraten - der Grund ist die monatelange Dürre im Sommer, die natürlich auch den Obstbäumen zu schaffen gemacht hat. "Nächstes Jahr wird die Ernte dann wieder um ein Drittel geringer ausfallen", sagt Siegler. "Da jammern dann wieder alle, dass es ein eher schlechtes Apfeljahr ist." Die Keltereien und Safthersteller freilich sind das Auf und Ab gewöhnt. "Sie füllen in guten Jahren ihre Lager so auf, dass sie damit weit in das nächste, weniger ertragreiche hinein kommen", sagt Siegler. Das ist auch in Künzing so. Der Saft wird dort kurz erhitzt und ist damit etwa zwei Jahre lang haltbar.

Die Erwerbsobstbauern, also die Landwirte, die im Haupterwerb Äpfel oder Birnen anbauen, versuchen laut Siegler natürlich gegen die Alternanz zu arbeiten und möglichst gleichmäßige Erträge zu erwirtschaften. "Und mit einem Korridor von ungefähr plus minus zehn Prozent gelingt ihnen das inzwischen recht gut", sagt der LWG-Fachmann, sodass für sie die Ausschläge weder beim Überangebot noch bei Mindererträge zu gravierend seien. Anders ist das in den vielen privaten Gärten, auf den Streuobstwiesen und natürlich bei den unzähligen einzeln in der Landschaft stehenden Apfel- und Birnbäumen. Da sind die Schwankungen bisweilen extrem.

Obstbauer Nüberlin und seine Kollegen haben angesichts der reichen Ernte nun mit den gestiegenen Kosten für Ernte und Lagerung zu kämpfen. Erntehelfer findet er kaum mehr, in Deutschland sowieso nicht - und auch Saisonarbeiter aus Osteuropa suchten sich besser bezahlte und weniger anstrengende Jobs. Elf Polen arbeiten momentan auf dem Hof der Nüberlins, 18 Helfer bräuchten sie für die Apfelernte. Doch wenn die Früchte gesammelt und gepflückt sind, hören die Probleme nicht auf. "Ich will nicht jammern", sagt Nüberlin, doch Obstkisten für die Lagerung fehlten. "Es herrscht ein Kampf um die Kisten." Der Verkauf laufe angesichts der Tatsache, dass viele Leute brechend volle Obstbäume in ihren Gärten hätten, auch nicht optimal. Und dann die Konkurrenz aus dem Ausland: In Südtirol ist die Ernte zwar eher mäßig. Dafür drücke Polen mit einem Überangebot auf den Markt. Es ist ein schwieriges Geschäft mit dem Obst, egal wie die Ernte ausfällt.

Mundraub

Am Winzersteig in Regensburg steht ein Apfelbaum, bei dem kann sich ein jeder bedienen. Im Herbst liegt dort immer viel Fallobst herum. So steht es auf der Online-Plattform mundraub.org, die deutschlandweit Obstbäume auflistet, die jeder, der darauf Lust hat, abernten darf. "Aber rein rechtlich gesehen ist schon das Pflücken eines Apfels oder einer Birne ein Diebstahl", sagt Hubert Siegler, Obstbaum-Experte an der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) im unterfränkischen Veitshöchheim. "Auch wenn bei einem oder zwei Stück natürlich keiner danach krähen wird." Im Gegenteil: Gerade in Rekordjahren wie diesem sind viele Baumbesitzer froh, wenn ihnen jemand Äpfel, Birnen und andere Früchte abnimmt, damit sie nicht am Baum oder auf dem Boden verrotten.

Bis 1975 gab es den Begriff Mundraub im Strafgesetzbuch. Darunter verstand man, dass einer Früchte vom Feld, vom Baum oder vom Strauch holt, um sie zu essen. Begriff und Tatbestand stammten aus Notzeiten. Zwar war Mundraub strafbar, aber er wurde meist toleriert - vor allem bei kleinen Mengen. "Und ganz früher, da gab es sogar mal die Regel, dass man alles was nach dem 1. November noch draußen am Baum hängt, einfach mitnehmen darf", sagt LWG-Experte Siegler. "Der Grund mag gewesen sein, dass auch schon damals viele Leute schade fanden, wenn etwas am Baum verrottet."

Heute dagegen macht es rechtlich keinen Unterschied, ob man sich einen Apfel vom Baum holt oder eine Armbanduhr aus dem Ladenregal entwendet. Beides ist Diebstahl. Allerdings werden kleinere Diebstähle inzwischen nur noch dann von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt, wenn sie von den Betroffenen angezeigt werden. Anders ist das nur bei wild lebenden Pflanzen, vor allem bei Schwammerl. Sie darf jeder "in geringem Mengen für den persönlichen Bedarf" pflücken, wie es in der Bundesartenschutzverordnung ausdrücklich heißt.

LWG-Experte Siegler empfiehlt, im Zweifelsfall bei der jeweiligen Gemeinde, dem Bauern oder Grundbesitzer nachzufragen, ob man ein paar Äpfel oder Birnen mitnehmen darf, "dann ist man auf der sicheren Seite". Das rät auch das Internet-Portal mundraub.org. Die oberste "Mundräuber-Regel" der Berliner Initiative lautet: "Beachte die Eigentumsrechte." cws

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SZ vom 05.10.2018/baso
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