Süddeutsche Zeitung

Landtagswahlen:Wieso die AfD auch in Bayern Zulauf hat

Wer gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik ist, könnte doch einfach die CSU wählen. Was eint die AfD-Anhänger? Eine Spurensuche.

Von Daniela Kuhr, Lisa Schnell und Wolfgang Wittl

Wenn Michael Weigl diesen Wahlsonntag beschreiben soll, greift der Politikwissenschaftler aus Passau zu drastischen Worten: Deutschland sei von "einem Donnerhall" erschüttert worden. Die Wahlen seien "eine ganz klare Abstrafung der Kanzlerin" gewesen. Zweierkoalitionen würden schwieriger. Weigl spricht von einer "Zäsur" - und stellt fest: "Wir haben am Sonntag die Geburtsstunde einer Alternative im rechten Spektrum erlebt." Dass eine rechtspopulistische Partei aus dem Stand solche Werte erreichen könne, sei "ein Paukenschlag". Doch was heißt all das für Bayern? Wie ticken AfD-Sympathisanten im Freistaat? Welchen Zulauf hat die Partei? Für einen besseren Eindruck hilft ein Blick zurück.

Sonntagabend, gegen 17 Uhr, im Wirtshaus zum Isartal in München: Die AfD hat zu einer Wahlparty eingeladen und etwa 80 Besucher erwartet. Es kommen gut 200 - Männer, Frauen, von jung bis alt, Ärzte, Facharbeiter, eine Literaturhistorikerin, Angestellte, alles dabei. Ein Querschnitt durch die Gesellschaft, so muss man es wohl nennen. Was diese unterschiedlichen Menschen eint, scheint vor allem eines zu sein: das Gefühl, für ihre politische Einstellung verfolgt, geächtet und verunglimpft zu werden. So ein Gefühl kann ganz schön zusammenschweißen. Das merkt man sofort beim Betreten des Saals.

Petry und der Schießbefehl

Und so beginnt der Abend denn auch zunächst mit einem kurzen Film, der zeigen soll, wie unfair die AfD nach Meinung ihrer Anhänger behandelt wird. Der Titel: "Kampagnen-Journalismus - wie aus einem Gesetzeszitat ein Schießbefehl wird." Es geht um das Interview, das AfD-Chefin Frauke Petry im Januar dem Mannheimer Morgen gegeben hatte. Darin hatte sie gesagt, dass die Grenze wirksamer geschützt werden müsse, und als Ultima Ratio gehöre dazu auch der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend sei jedoch, dass es so weit nicht komme. Denn kein Polizist - auch sie nicht - wolle auf Flüchtlinge schießen.

In den Medien wurde dieser zweite Teil ihrer Aussage jedoch weitgehend weggelassen. Ebenso wenig wurde erwähnt, dass im Gesetz tatsächlich steht: Grenzbeamte können von der Schusswaffe Gebrauch machen, wenn Personen sich nach wiederholter Aufforderung der Überprüfung ihrer Personalien durch Flucht entzögen.

Stattdessen bundesweit Empörung - von nahezu sämtlichen Medien und Parteien. Und so kommt es zu der befremdlichen Situation, dass die AfD sich derzeit nur von einem Sender fair behandelt fühlt: von Russia-TV. "Die begleiten uns bei allen Veranstaltungen und zeigen, wie man versucht, uns zu boykottieren", sagt Wilfried Biedermann vom Kreisverband München Ost. "Deutsche Medien zeigen das nicht."

"Der Bürger lässt sich nicht länger verarschen. Das können Sie wortwörtlich so schreiben"

Doch der Wahlsonntag ist kein Tag, um lang zu schmollen. Im Gegenteil, als um 18 Uhr erste Hochrechnungen veröffentlicht werden, bricht der Saal in Triumphgeheul aus. Auf der einen Seite erlebe die AfD überall Hass, ruft Biedermann über den Lärm - "und auf der anderen Seite diese riesige Zustimmung", das sei "der Wahnsinn". Eine Ärztin, um die 50, halblange blonde Haare, pflichtet ihm bei. "Wenn wir vor einem halben Jahr mehr Polizei an der Grenze gefordert haben, wurden wir als rechtsradikal verunglimpft", sagt sie. "Deshalb freuen wir uns so, dass der Bürger heute gesagt hat: Er lässt sich nicht länger verarschen. Das können Sie wortwörtlich so schreiben", sagt sie und nickt zufrieden.

Am Nebentisch will ein Poloshirt-Träger, etwa Mitte 40, klarstellen, dass die Menschen im Saal keine Nazis seien. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel am 4. September die Grenzen geöffnet habe, "war das ein humanitärer Akt", sagt er. "Da habe ich gedacht: Hut ab - wenn ein Land das schafft, dann Deutschland." Aber dass die Grenzen dann dauerhaft offen geblieben seien, sei ein Fehler gewesen. "Das, was wir hier erarbeitet haben, kann man nicht beliebig verteilen", sagt der Mann, der über sich nur verrät, dass er Angestellter ist.

Wieso nicht CSU wählen?

Eine Meinung, die ziemlich genau so auch von der CSU vertreten wird - was denn auch gleich zu der entscheidenden Frage führt: Wenn in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt konservative Wähler mit Merkels Flüchtlingspolitik nicht zufrieden sind, dann haben sie kaum eine andere Wahl, als eine Partei am rechten Rand zu wählen. In Bayern aber gibt es die CSU. Wieso wenden sich in Bayern Wähler der AfD zu, wo doch auch die CSU seit Monaten laut und deutlich von Merkel eine Wende in der Flüchtlingspolitik anmahnt?

"Wenn ich die CSU wählen würde, würden die Stimmen ja Merkel zufallen", sagt ein Mittdreißiger im schwarzen Rollkragenpullover. "Nur wenn ich bei der AfD ein Kreuzchen mache, kann ich klar zum Ausdruck bringen: So geht es nicht." Ein stellvertretender Produktionsleiter sieht das ähnlich: "Das sind Schwesterparteien. Merkel fängt die Stimmen links ein und Seehofer rechts." Das Problem sei, dass die CSU sich am Ende immer der CDU beuge. "Wenn die CSU bundesweit antreten würde, wäre sie eine Alternative für mich."

"Dafür haben wir gar nicht genug fähige Leute"

Derweil wird im ZDF die nächste Hochrechnung verkündet. Mittlerweile kommt die AfD in Sachsen-Anhalt auf mehr als 24 Prozent. "Ganz ehrlich: Da ist mir nicht wohl dabei", sagt Biedermann leise. "Dafür haben wir gar nicht genug fähige Leute." Auch die Ärztin ist skeptisch. "Ich fürchte, wir werden jetzt erst mal die gleichen Probleme bekommen, wie die Grünen sie anfangs hatten. Den ein oder anderen müssen wir vermutlich noch zähmen."

In den Augen der anderen Parteien muss das klingen wie Hohn, haben sie doch alle herbe Niederlagen erlitten. Grünen-Landeschef Eike Hallitzky kündigt an: "Wir werden uns weiter dem Hass und der Hetze durch die AfD entgegenstellen und für unsere offene und lebenswerte Gesellschaft kämpfen." Bei der CSU weist man Vorwürfe zurück, man habe die AfD starkgeredet. Es sei "eine völlig absurde Vorstellung, dass jemand verliert und diejenigen, die vorher darauf hingewiesen haben, dann die Schuldigen sind", sagt Finanzminister Markus Söder.

Umfragen bescheinigen der CSU derzeit die absolute Mehrheit in Bayern, die AfD liegt demnach unter zehn Prozent. Politikwissenschaftler Weigl schätzt aber, dass sie bereits auf elf Prozent käme. Der eigentliche Gegner der CSU bei den nächsten Wahlen sei klar die AfD. Doch Weigl glaubt, dass die Strategie der CSU aufgehen könnte: durch ihre Rhetorik den Unentschlossenen zu vermitteln, dass man ihre Sorgen ernst nimmt. "Auch in den Neunzigerjahren, als es gegen die Republikaner ging, hatte die CSU damit Erfolg."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2906410
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.03.2016/ebri
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.