Wahlkampf hin oder her, am ersten Tag nach der Sommerpause herrscht im Landtag Wiedersehensfreude. Ein SPD-Mann legt seinem Kollegen von den Grünen den Arm um die Schulter. Über Parteigrenzen hinweg wird der Grad der Urlaubsbräune verglichen, hier eine Schulter getätschelt, da die Hand zum Gruß gehoben. In der folgenden Debatte kaum ein Zwischenruf, mal geht ein kurzes Raunen durch die Reihen, sonst überwiegt gemächliche Gemütlichkeit. Die große Glocke, mit der Landtagspräsidentin Barbara Stamm zur Ruhe mahnen kann, sie bleibt fast unberührt neben ihr stehen.
Gut drei Wochen noch wird es den Landtag geben, wie er jetzt ist, nach der Wahl am 14. Oktober könnte es mit der Behaglichkeit vorbei sein. Physisch müssen die Abgeordneten wohl enger zusammenrücken, da der Landtag Prognosen zufolge bald 35 Sitze mehr haben könnte. Mental aber erwarten viele das Gegenteil eines Kuschelparlaments. Mit Sorge blicken Vertreter aller Parteien auf den wahrscheinlichen Einzug der AfD und auf das, was er aus ihrem Parlament machen könnte. Zumindest für die zu erwartende Vergrößerung des Plenums gibt es eine Lösung. "Der Plenarsaal bietet einige Möglichkeiten", sagt ein Sprecher des Landtagsamts.

CSU vor der Landtagswahl:Söders seltsames Demokratieverständnis
Beim Parteitag warnt der Ministerpräsident vor zu vielen Parteien im Landtag. Dabei wäre das kein Zeichen für Mangel an Demokratie - sondern für die Schwäche der CSU.
Nach den Berechnungen des Wahlforschungsunternehmens election.de könnte Bayern nach der Wahl 215 Abgeordnete haben. Grund dafür ist die Schwäche der CSU. Holt sie wie erwartet fast alle Direktmandate, bleibt in ihrem Gesamtergebnis aber unter der 40-Prozent-Marke, entstehen Überhangmandate. Die Berechnungen haben folgende Werte als Grundlage: CSU 36 Prozent, SPD 12 Prozent, Freie Wähler 9,5 Prozent, Grüne 16 Prozent, FDP 5,5 Prozent, Linke 4 Prozent und AfD 12 Prozent. Demnach würde die CSU 14 Abgeordnete mehr ins Parlament schicken, als ihr nach ihrem Gesamtergebnis zustehen. Um andere Parteien nicht zu vernachlässigen, bekämen diese insgesamt 21 Ausgleichsmandate zugesprochen.
Wie alle Prognosen müsse auch ihre mit Vorsicht betrachtet werden, sagt Matthias Moehl, der Gründer von election.de: "Es kann noch viel passieren." Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, denkt aber schon jetzt über eine Wahlrechtsänderung nach, um die Zahl der Abgeordneten zu deckeln. Schließlich koste so viel neues Personal viel Geld. Weit mehr beschäftigt die meisten im Landtag, wie das nun wird mit der AfD, oder aber die Frage: Was macht das mit einem Parlament, wenn nicht mehr vier Parteien im Plenum sitzen, sondern sechs oder gar sieben, falls neben FDP und AfD die Linke einziehen sollte.
Einen "Problemfall der Demokratie" nannte Ministerpräsident Markus Söder auf dem Parteitag der CSU so ein Parlament: "gelähmt, aufgebläht, hoch aggressiv". Moehl von election.de dagegen verweist darauf, dass es in Deutschland schon mehrere bunte Parlamente gibt. Solange stabile Mehrheiten gebildet werden können, sieht er darin kein Problem. Auch SPD und Grüne können Söders Bedenken nur teilweise nachvollziehen. "Kein Land gehört einer Partei", sagt Katharina Schulze, die Fraktionschefin der Grünen. Der Landtag halte sicher auch mehr als vier Parteien aus. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher mahnt an, den Wählerwillen zu respektieren, auch wenn sich das Parlament mit sechs oder sieben Parteien verändern würde.
Die AfD bereitet allen Fraktionen Sorge
"Es ist zu erwarten, dass die Debatten rauer, schriller und länger werden", sagt er. In den Zeitungen gebe es bestimmt nicht mehr Platz, nur weil mehr Parteien im Landtag sitzen. Bleibe für jede Partei noch ein Satz, der müsse dann sitzen: "Wer sich Gehör verschaffen will, setzt dann eher auf die Pauke als auf leise Streicherklänge." Die Seriosität könnte leiden, vor allem wenn Abgeordnete der AfD am Rednerpult stünden, die nur darauf aus seien zu provozieren und zu emotionalisieren. Rinderspacher erwartet "Protestgeschrei und Tabubrüche". "Das vergiftet das Klima und schadet dem Land", sagt FW-Chef Aiwanger. Nur, was tun?
Die AfD würde nach der jetzigen Geschäftsordnung des Landtags wohl einen Ausschussvorsitzenden stellen sowie einen stellvertretenden Landtagspräsidenten, wie es allen Fraktionen zusteht. Dies durch eine Änderung der Geschäftsordnung zu verhindern, lehnen offenbar alle Fraktionen ab. "Da sind wir uns einig", sagt Ulrike Gote, Vize-Landtagspräsidentin der Grünen. Die AfD würde die Chance nur nutzen, um ihre angebliche Opferrolle zu zelebrieren. Im parlamentarischen Kontrollgremium aber, in dem sensible Informationen der Geheimdienste besprochen werden, will Rinderspacher die AfD nicht sehen: "Die AfD gehört vom Verfassungsschutz kontrolliert und nicht umgekehrt." Die sieben Mitglieder des Kontrollgremiums werden vom Parlament gewählt.
Aus der CSU gibt es keine Äußerung zum zukünftigen Umgang mit der AfD, man wolle dem Wählerwillen nicht vorgreifen. SPD, Grüne und FW wollen die AfD inhaltlich stellen. Gleichzeitig aber dürfe man nicht über jedes "Provokationsstöckchen" springen, sagt Rinderspacher, und umfasst damit die ganze Schwierigkeit im Umgang mit der AfD. Aiwanger plädiert sogar dafür, dass die Regierung vernünftige Vorschläge der AfD aufnehmen solle. Indem der AfD schlüssige Ideen abgenommen werden, will Aiwanger verhindern, dass sie neben der Flüchtlingsfrage andere Themen für sich besetzt. Er selbst schließt nicht aus, auch mal einem AfD-Antrag zuzustimmen, wenn er ihn für sinnvoll halte. Johanna Werner-Muggendorfer muss sich darüber keine Gedanken mehr machen. Sie tritt 2018 nicht mehr für die SPD an. Am Dienstag sitzt sie mit einer Zeitung vor dem Plenarsaal. Ihr graut, wenn sie daran denkt, wie es im Landtag nach der Wahl zugehen könnte. Sie habe schon viel durchgemacht, sagt sie, aber: "Des brauch i sicher nimma."