Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Bayern:"Das ist kein Ponyhof, das ist Landwirtschaft"

Für Landwirte wie Hermann Tausend wird es immer schwieriger zu überleben. Er wünscht sich von der Politik, dass Lebensmittel mehr wert sind - und Milch nicht an der Börse gehandelt wird.

Reportage von Magdalena Latz, Plaika bei Gerzen

Der "Astronaut" hat heute Probleme. Sein Laser kann das unförmige Gebilde vor sich nicht richtig erfassen. Normalerweise erleichtert er die Arbeit von Hermann Tausend, ohne ihn müsste der Landwirt seine Kühe von Hand melken. Doch jetzt schafft es der Roboter nicht, seine Melkbecher auf die Zitzen der Kuh zu setzen. Immer wieder schwenkt der silberne Arm unter dem Euter vor und zurück. Die Kuh lässt die Prozedur geduldig über sich ergehen.

Auf seinem Hof in Plaika bei Gerzen in Niederbayern hält Hermann Tausend eine Herde aus 80 "Mc-Donald's-Kühen", wie er sie nennt. Sie gehören zum Simmentaler Fleckvieh, mit denen die Fastfood-Kette wirbt. Tausend betreibt ausschließlich Milchwirtschaft und baut das Futter für seine Tiere selbst an. Jeden Tag bekommen sie eine Mischung aus Weide- und Rapsschrot. "Kühe mögen Beständigkeit, sie lieben es, immer dasselbe zu fressen. Während bestimmt niemand von uns drei Tage hintereinander Schweinsbraten mit Knödeln mag."

Tausend erkennt jedoch andere Parallelen zwischen Kühen und Menschen: Manche sind besonders zutraulich und werden gerne gestreichelt, andere sind eher schüchtern. "Und die dahinten", der 41-Jährige deutet auf die andere Ecke des Stalls, "ist eine ganz blöde Kuh. Sie heckt immer irgendeinen Schmarrn aus, deswegen mussten wir sie isolieren." Die gespielte Strenge in seiner Stimme verschwindet, als er sie ansieht.

Hier im Außenklima-Stall sind die Wände offen. Die Wohlfühltemperatur einer Kuh liegt bei etwa sechs Grad. An der Decke hängen große Ventilatoren, um den Tieren heiße Sommertage erträglicher zu machen. Der Stall sei artgerecht und fast biokonform, betont Tausend immer wieder - draußen bräuchte es nur noch einen zusätzlichen Laufgang. Vor zehn Jahren wurde der Stall neu gebaut, was finanziell nicht einfach zu stemmen war.

Tausends Hof ist ein Familienbetrieb: Seine Mutter unterstützt ihn bei der Arbeit im Stall, gleichzeitig kümmert er sich mit seiner Frau um die drei Kinder. Wenn auf dem Feld in der Erntezeit viel zu tun ist, beschäftigt Tausend einen Mini-Jobber. Zusätzliche Angestellte kann er sich nicht leisten.

40 Cent würden ihm helfen. Wenn er die pro Liter bekäme, würde alles leichter laufen, meint er. Am Tag produziert der Hof etwa 1500 Liter. Momentan schwankt der Milchpreis in Bayern zwischen 35 und 36 Cent. Für Tausend funktioniert das gerade so. Doch vor zwei Jahren waren es zeitweise nur 25 Cent. "Das war eine Katastrophe." Größere Reparaturen an den Maschinen durften damals nicht anfallen, und zurücklegen konnte er auch nichts.

Die Landwirtschaft wird seiner Meinung nach zu sehr über den Markt gesteuert und ist zu stark von ihm abhängig. "Dass Discounter damit werben dürfen, dass sie den Butter-Preis gesenkt haben, ist ein riesiges Problem. Sie verschleudern Lebensmittel zu Dumpingpreisen," sagt er. Sein Wunsch ist es, dass sich die Politik dafür einsetzt, dass Lebensmittel einen höheren Stellenwert bekommen - und dass Landwirte dementsprechend entlohnt werden.

Sorge bereiten ihm auch politische Entscheidungen wie das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur. Er fürchtet, dass Länder wie Brasilien oder Argentinien dann wesentlich mehr Rindfleisch zu gleichen Zollkonditionen in die EU liefern dürfen.

Vorerst wird er seinen Hof so weiterführen wie bisher. Dazu gehört auch die Aufzucht der jungen Tiere. In einem separaten Stall tollen sie in ihren Gehegen über den mit Stroh ausgelegten Boden. Eines hat eine Lücke zwischen dem weißen Plastik-Iglu, das den Kälbchen einen Schutzraum bietet, und dem Gitterzaun entdeckt. Rasch drängt Tausend den Ausreißer zu den anderen Kälbchen zurück.

Am Anfang werden sie hier aus Eimern mit der Milch ihrer Mütter gefüttert. Damit keine zu starke Bindung entsteht, werden die Kälbchen möglichst früh von den Muttertieren getrennt. Dem Landwirt ist bewusst, dass viele Leute diese Praxis grausam finden. Doch die Kühe hätten es bereits nach kurzer Zeit überwunden, glaubt er: "Das ist kein Ponyhof hier, das ist Landwirtschaft." Die weiblichen Tiere behält er, die männlichen werden auf Großviehauktionen an Bullenmäster versteigert. Doch bis es soweit ist oder ein erster Zuchterfolg überhaupt sichtbar wird, dauert es zwei Jahre.

Was Tausend an der Politik kritisiert, ist ihre Schnelllebigkeit. Sie picke sich Momentaufnahmen heraus und treffe darüber politische Entscheidungen. "Die Landwirtschaft ist etwas Träges, aber auch Beständiges. Etwas, was Zeit braucht." Sie sei nicht so schnell wie die Industrie und sollte deshalb auch nicht so behandelt werden, findet er. Wenn dann noch, wie diesen Sommer, eine Dürre auftritt, macht das für Tausend die Planung umso schwieriger. Sein Betrieb ist zwar nicht so schlimm betroffen wie andere, die Hilfsgelder der Regierung annehmen mussten, doch das Thema macht ihn trotzdem wütend. "Im Freundeskreis heißt es immer, dass wir als Landwirte sowieso schon viel Geld von der Regierung bekommen. Obwohl zum Beispiel Subventionen ein extrem zweischneidiges Schwert sind!"

Etwa beim Thema "Greening". Seit drei Jahren muss jeder Landwirt, der mehr als 15 Hektar Ackerland bewirtschaftet, fünf Prozent als ökologische Vorrangfläche bereitstellen. Auf diesen Flächen sollen Maßnahmen umgesetzt werden, die das Ökosystem in der Region erhalten oder gar verbessern, indem zum Beispiel ein Blühstreifen für Insekten angelegt wird. Für die Umweltförderung bekommt der Landwirt Geld, derzeit sind es etwa 86 Euro pro Hektar. Auf der anderen Seite müsse er anschließend die Flächen mit Glyphosat behandeln, damit die Felder für den Futterpflanzen-Anbau frei von Unkraut sind, sagt Tausend. Für den 41-Jährigen passt das aber nicht zusammen. "Es wird uns da etwas aufgedrückt, was nicht richtig ist." Das Unkrautvernichtungsmittel ist stark umstritten, die Grünen wollen deshalb den Einsatz verbieten und langfristig eine Landwirtschaft ohne Pestizide aufbauen.

CSU will keine anonymen Agrarfabriken

Auch die Ausgleichsflächen sieht der Landwirt kritisch. Sie müssen geschaffen werden, wenn eine Fläche mit hohem Naturschutzwert bebaut wird, gehen damit aus Tausends Sicht aber für die Landwirtschaft verloren. Gerade in Bayern sei die Flächenknappheit extrem, weil es großen Konkurrenzdruck gibt, was die Pachtpreise in die Höhe treibt, sagt er.

Tausend ist kein "Ur-Bauer", wie er es nennt, er entwickelte früher als Sondermaschinenbauer Produktionsstraßen. "Die Landwirtschaft" habe er in Abendkursen gelernt und ist danach auf dem Hof seiner Eltern mit eingestiegen. Trotz aller Schwierigkeiten bereut er seine Entscheidung nicht. Er arbeite zwar viel, sei gleichzeitig aber daheim und könne so auch für seine Kinder da sein. Ob diese den Hof später übernehmen werden, steht noch nicht fest - dazu zwingen will er sie auf keinen Fall. Wenn sie sich dafür entscheiden und sich die Lage so weiterentwickelt wie bisher, müssten seine Kinder jedoch langfristig einen zweiten Betriebszweig aufbauen - oder die Herde verdoppeln.

Mit seinen 80 Kühen besitzt Tausend deutlich mehr Tiere als ein bayerischer Durchschnittsbetrieb - dort liegt die Zahl bei 39. Im Vergleich zu Höfen im Norden oder Osten Deutschlands, die bis zu 1000 Kühe halten, sind sie jedoch winzig. Die CSU beteuert in ihrem Programm für die Landtagswahl, dass sie keine solchen anonymen Agrarfabriken in Bayern will. Doch für die kleinen Betriebe wird es immer schwieriger zu überleben.

Auch Tausend hat Angst, dass es zukünftig nicht reichen wird. Die Politik rede zwar viel davon, den Bauern zu helfen, aber am Ende komme doch nichts dabei heraus. Stattdessen wünscht er sich, dass am Markt etwas verändert wird, dann müssten den Landwirten auch nicht so viele Subventionen gezahlt werden. "Milch wird an der Börse gehandelt. Das ist Irrsinn", findet er. "Das sollte sich mal eine Partei auf die Fahne schreiben".

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