Landtagswahl:SPD stürzt ins Bodenlose

Lesezeit: 3 Min.

  • Die SPD steht nach der Bayern-Wahl kurz vor der Bedeutungslosigkeit.
  • Sie erreichen nur knapp unter 10 Prozent, das ist nur noch halb so viel wie 2013.
  • Die SPD-Landeschefin Kohnen ist noch am Wahlabend angezählt.

Aus dem Landtag von Lisa Schnell, München

Saal 3 im Landtag: Auf jedem Tisch stehen rote SPD-Fahnen. Sie sind zum Schwenken gedacht, am Ende rührt sie keiner an. Die erste Prognose lässt die Genossen in Schockstarre zurück, kaum einer sagt ein Wort, manch einer kämpft mit den Tränen, andere lassen das Weinglas sinken. Grabesstimmung, als Spitzenkandidatin Natascha Kohnen den Raum betritt. "Klatschen, Leute!", schreit eine Frau. Es dauert einen Moment, bis sie ihre Benommenheit abgeschüttelt haben und der Aufforderung nachkommen.

Seit Wochen konnten die Genossen ihren eigenen Absturz in Umfragen verfolgen. Dass ein Schlag kommen würde, war allen klar, nur nicht, mit welcher Wucht. Jetzt wissen sie: Es ist nicht die Niederlage, auf die manche noch hofften, es ist eine Katastrophe. 9,6 Prozent, das ist nur noch halb so viel wie 2013. Die Position der SPD lässt sich mit einem Wort umschreiben: hinten. Sie sind hinter den Grünen, hinter den Freien Wählern und auch noch hinter der AfD. Bis jetzt waren sie immerhin die Großen unter den Kleinen im Landtag, jetzt sind sie - gemessen an ihrem Anspruch - kurz vor der Bedeutungslosigkeit.

Zwei schütteln den Schock sehr schnell ab. Kaum war die erste Prognose auf den Bildschirmen, drehten sich Florian Post und Christian Ude in die erste Kamera und forderten indirekt den Rücktritt von Kohnen. "Alle und alles muss auf den Prüfstand", so der fast gleiche Wortlaut des Bundestagsabgeordneten und des früheren Münchner Oberbürgermeisters. Es müsse inhaltliche und personelle Konsequenzen im Landesvorstand geben, sagt Post. Alles andere sei den Bürgern nicht vermittelbar. Er will möglichst bald einen Sonderparteitag, auf dem der Vorstand neu gewählt werden soll.

Es verwundert kaum, dass von ihnen die erste Attacke kommt. Post ist Kohnen in so inniger Abneigung verbunden, dass er an seiner Rücktrittsforderung wohl schon Wochen vor dem Wahlsonntag feilte. Die Frage ist jetzt nur: Wie viele folgen ihm? Und wie viele Natascha Kohnen?

So leise der Applaus für sie begann, so laut endet er. Als sie den Genossen dafür dankt, wie sie gekämpft haben, schallt es ihr zurück: "Du auch!" "Das ist eine echt schwere Stunde für die SPD", sagt Kohnen. "Es tut unglaublich weh." Für die Niederlage nennt sie zwei Gründe. Der fehlende Rückenwind aus Berlin und die Glaubwürdigkeitskrise der SPD, in der sie schon seit Längerem stecke. "Es wird ein langer Weg sein, dass wir uns da wieder herausarbeiten", sagt sie. Das ginge nur mit "einer klaren Haltung zu unseren Werten", also mit dem Weg, den sie im Wahlkampf eingeschlagen hat.

Es ist ihre Bewerbungsrede für die nächsten Tage, in denen es um ihr politisches Überleben gehen wird. Dazu gehört auch, die Kritiker zu beschwichtigen und sich Zeit zu verschaffen. Also verspricht Kohnen: Man werde "über alles reden". Aber dort, wo die Diskussion hingehöre: "in unsere Gemeinschaft". Schon am Wahlabend deutete sich an, dass sich diese Gemeinschaft in den nächsten Tagen wohl in zwei Lager teilen wird.

Der Sprachregelung "Alles muss auf den Prüfstand" schließen sich im Laufe des Abends noch einige an, die Kohnen auch zuvor eher skeptisch gegenüber standen. Man hört sie etwa von Roland Fischer, dem stellvertretenden Chef der München-SPD oder von dem Landtagsabgeordneten Florian von Brunn. Es sind aber nicht nur die üblichen Verdächtigen. Nicht wenige gingen davon aus, dass Kohnen gehen würde, falls die SPD wie jetzt einstellig wird. "Das ist eigentlich selbstverständlich", sagt ein Vorstandsmitglied.

Ein nicht kleines Gewicht dürften die Stimmen der Bezirksvorsitzenden haben. Oberfranken, Unterfranken und die Oberpfalz werden zum kritischen Lager gezählt, Niederbayern als unentschlossen beschrieben, Mittelfranken und Oberbayern gelten als klare Unterstützter von Kohnen. Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter stärkte ihr am Wahlabend den Rücken. Mit der Wohnungsnot habe die SPD auf das richtige Thema gesetzt, es ginge nun darum die Glaubwürdigkeit wieder zu gewinnen, vorschnelle Personaldiskussionen lehnt er ab.

Auf der "SPD-Party" sind sie an einigen Tischen schon in vollem Gange. Sie wurde von vielen in "Trauerfeier" umbenannt, der Ort, an dem sie stattfindet sei allzu passend: im Schlachthof-Viertel. "Halb-halb" schätzt ein Vorstandsmitglied die Chancen ein, dass Kohnen gehen muss. Jeder Aufstand aber braucht einen Anführer. Manche denken an Florian von Brunn, der bei der Mitgliederbefragung um den Landesvorsitz gegen Kohnen antrat, oder an die Landtagsabgeordnete Annette Karl aus der Oberpfalz.

Auch die Hoffnung, dass sich in der Krise vielleicht einer der erfolgreichen Bürgermeister der SPD überzeugen lasse, ist zu hören. Es ist neun Uhr, Kohnen kommt in den Schlachthof, die Genossen klatschen ausgiebig, am meisten allerdings an einer Stelle: Als Kohnen ihren Rücktritt nicht ausschließt. "Lasst es uns gemeinsam klären und nicht in irgendeiner Weise gegeneinander", bittet sie. Es könnte ein bloßer Wunsch bleiben.

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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