Landtagswahl in Bayern:Zwischen Ehrlichkeit und Eitelkeit

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Die Bürgermeisterin von Kollnburg in Niederbayern - frühere Bamf-Leiterin Bremen - war früher auch bei der CSU. (Foto: Sebastian Pieknik)

Josefa Schmid hat den angeblichen Bamf-Skandal aufgedeckt, nun kandidiert die FDP-Politikerin für den bayerischen Landtag. "Ich will damit nicht hausieren gehen", sagt sie - tut es dann aber trotzdem.

Von Andreas Glas

Ein Freitagnachmittag im September. Josefa Schmid, 44, steht in einer Wohnsiedlung, oben am Hang. Sie ist nach Bogen gekommen, um Haustürwahlkampf zu machen. Die Siedlung hier ist das, was man eine bessere Gegend nennt. Je höher am Hang, desto mehr Geld, man sieht das sofort. Stattliche Häuser, Doppelgaragen, Wintergärten. Wenn die FDP hier keine Wähler hat, wo bitte dann. Sie drückt die erste Klingel, es öffnet ein Mann mit Brille und Schnauzer. "Kommt rein", sagt Werner Länger, 60, "ich bin ein überzeugter Liberaler". Bingo!

Eine Minute später sitzt Schmid in der Stube, am Tisch unterm Herrgottswinkel. Sie greift in ihre Handtasche, packt direkt mal ihre Wahlkampfbroschüre aus. Vorne drauf: Schmid im knappen Dirndl, rapunzelhaft langes Haar. "Eine Karikatur", sagt Schmid über die Zeichnung, die definitiv zu schmeichelhaft ist, um eine Karikatur zu sein. Auf der Rückseite der Broschüre: Schlagzeilen. Nicht aus der Lokalzeitung, aus FAZ, Spiegel, Bild. Ein Beispiel: "Bamf-Skandal. Warum Josefa Schmid für Seehofer gefährlich wird." Sie sagt: "Ich will damit nicht hausieren gehen." Sie schaut so ernst, dass man ihr fast glauben könnte. Wäre da nicht der Umstand, dass sie genau das gerade tut: mit den Schlagzeilen von Haus zu Haus gehen. Da muss auch Werner Länger grinsen: "Das haben Sie geschickt gemacht."

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Bei mehr als 18 000 geprüften Fällen sieht der Abschlussbericht einem Medienbericht zufolge nur 165 grobe Verstöße. Damit ist der "Skandal" wohl deutlich kleiner als befürchtet.

Die Affäre um angeblich Tausende manipulierte Asylbescheide in der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat Josefa Schmid in der Republik bekannt gemacht. Sie war Leiterin der Außenstelle, verfasste den Bericht über die mutmaßlichen Missstände, der im Frühjahr an die Öffentlichkeit gelangte. "Mutig habe ich die Verantwortlichen drauf hingewiesen, was schiefläuft", schreibt Schmid in ihrer Wahlkampfbroschüre. Sie sieht sich als Aufklärerin, als Kämpferin für die Wahrheit. Sie will dieses Image nutzen, um dahin zu kommen, wo sie ihrer Meinung nach hingehört: in den Landtag, auf die große Politikbühne. Aber so einfach ist das nicht.

Denn inzwischen klingen die Schlagzeilen anders: "Der Bamf-Skandal, der keiner war" oder "Bamf-Skandal weit kleiner als angenommen". Statt Tausender Manipulationen listet der Prüfbericht des Bundestages nur noch 165 grobe Verstöße bei Asylverfahren auf. Und jetzt? Zweifeln die Leute, ob es Josefa Schmid tatsächlich um die Wahrheit ging. Oder doch nur um ihr eigenes Profil.

Auftritte als Schlagersängerin und Musikvideos in Bikini

Sie sagt: "Für mich war das keine Bagatelle." Sie will sich rechtfertigen, sich verteidigen, mehr über die Affäre erzählen. Aber sie darf nicht. Sie ist als Beamtin zur Verschwiegenheit verpflichtet. Also lässt sie ihre Wahlkampfbroschüre sprechen. Schmid hofft, dass die Schlagzeilen von damals stärker sind als das, was die Zeitungen heute so schreiben. Und sie beteuert, dass sie die Aufmerksamkeit "nicht provoziert" habe.

Es sind diese Widersprüche, die Josefa Schmid umgeben. Zwischen Ehrlichkeit und Eitelkeit, Tugend und Ehrgeiz, Pflicht und Versuchung. Womöglich stimmt es ja, dass sie in der Bamf-Affäre den Rummel um ihre Person nicht provoziert hat. Nur steht sie halt schon länger im Verdacht, die Bühne eher zu suchen als zu scheuen. So wie damals, als sich Schmid, Bürgermeisterin in Kollnburg (Kreis Regen), als Schlagersängerin probierte und in ihren Musikvideos im Bikini auftrat. Auch damals hat sie bundesweit Schlagzeilen gemacht. Und auch damals bestritt sie, dass die Singerei ein Trick war, um sich als Politikerin bekannt zu machen.

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Es gibt durchaus Argumente, ihr das zu glauben. Denn nur genutzt haben ihr die Schlagervideos nicht, jedenfalls nicht als Politikerin. Damals, 2015, gab es viel Spott im Netz und in den Medien, die bei Josefa Schmid brutal hingelangt haben - und auch brutal daneben. Die Huffington Post nannte sie "Bayerwald-Beyoncé", die versucht habe, "ihr gesangliches Flachland durch optische Kurven aufzuwerten". Und weiter: "trällernde Amazone", "frivole FDP-Frau", "Singschleuder", lauter Bosheiten. Doch wer erlebt hat, wie souverän Schmid mit den Bosheiten umgegangen ist, hat längst aufgehört, sich über diese Frau lustig zu machen.

"Mein Kreuzchen haben Sie", sagt Werner Länger, als er Schmid zurück zur Haustür begleitet. Warum er überzeugt ist, dass die FDP-Kandidatin eine gute Abgeordnete wäre? "Weil sie geschickt ist", sagt Länger, und "weil sie wahrgenommen wird". Es gibt ja diesen alten Spruch: Schlechte Schlagzeilen sind besser als keine Schlagzeilen. Wenn da was dran ist, stehen die Chancen gut für Josefa Schmid. Sie selbst sieht das natürlich anders. Nach den Schlager-Schlagzeilen sagte sie: "Die Leute wählen mich auch so, da brauche ich die Musik nicht als Beschleuniger."

Auch das ist so eine Seite an dieser Frau, die man lange nicht begreifen konnte: dieses brutale Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlt. Viele haben dieses Selbstbewusstsein mit Naivität verwechselt. Weil sie nur das Bikiniblondchen sahen, das Texte singt, die das Blondchen-Klischee fleißig mitbedienen ("Tiziano, ti amo / Tiziano, und mein Puls rast davon / Tiziano, ti amo / Tiziano, die Nacht ist kurz, los komm"). Doch Skandal hin oder her: Nach der Bamf-Affäre haben selbst die Spötter begriffen, dass niemand zur Chefin einer Behörde wird, ohne irgendwas auf dem Kasten zu haben.

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Auch Schmid selbst sagt, dass die Leute sie inzwischen nicht mehr unterschätzen. Zum Beispiel im Kreistag, wo sie als Bürgermeisterin sitzt. "Die sehen mich jetzt mit anderen Augen, das war so richtig spürbar", erzählt sie über den Tag, als sie nach Aufploppen der Bamf-Affäre in den Sitzungssaal einmarschierte. "Ich bin daran richtig gewachsen." Manche, die ihr zuvor mit Naserümpfen begegneten, seien "auf einmal respektvoll" gewesen. Nur daheim, in Kollnburg, waren sie nicht so angetan, dass ihre Bürgermeisterin die Bundespolitik aufmischt. Die Kollnburger erfuhren im April aus den Medien, dass Schmid seit Monaten zwischen Bayerwald und Bremen pendelt.

"Wir haben uns gewundert, weil sie einfach nicht anwesend war", sagt Ludwig Saller (SPD), Zweiter Kollnburger Bürgermeister. Nicht dass sich jemand daran gestört hätte, dass Schmid einen Job neben ihrem Amt als Rathauschefin hat. Sie ist ehrenamtliche Bürgermeisterin, sie darf das. Nur waren die Kollnburger im Glauben, dass sie immer noch fürs Bamf in Deggendorf arbeitet, 30 Kilometer entfernt. Zwischen Bremen und Kollnburg dagegen liegen mehr als 700 Kilometer. Das ist dann doch ein bisschen weit weg, fanden einige. Sie fragten sich: Kann es funktionieren, dass eine Frau mit Büro in Bremen nebenbei eine 3000-Seelen-Gemeinde im Bayerwald managt?

Schmid braucht man diese Frage nicht zu stellen. Sie sei ja drei Tage die Woche in Kollnburg gewesen, habe 50 bis 60 Stunden für die Gemeinde gearbeitet, "ich war immer präsent". Aber, ja, es tue ihr schon leid, "dass ich es meinen Gemeinderäten nicht gesagt habe". Ihre Aufklärerrolle in Bremen sei eben heikel gewesen, "das wollte ich nicht gefährden", sagt Josefa Schmid und beteuert: "Ich bin mit meiner Gemeinde verheiratet."Auch das möchte man ihr glauben. Hätte man zuletzt nicht das Gefühl gewonnen, dass ihr die Bühne im Bayerwald zu klein geworden ist, dass sie nach Größerem strebt.

Wieder ein potentieller FDP-Wähler - Zufall?

Damit das klappt, klingelt Schmid an der nächsten Haustür. Wieder öffnet ein Herr, wieder darf sie rein. Der Hausherr Franz Prebeck besitzt eine Stahlfirma, war früher Handwerkskammerpräsident und kommt direkt auf die Bamf-Affäre zu sprechen. "Sie habe es sehr gut gemacht", sagt Prebeck, "da gehört Mut dazu." Dann sagt er, dass die Politik mehr für den "kleinen Unternehmer" tun müsse. Bingo! Wieder ein Fan, wieder ein potenzieller FDP-Wähler. So ein Zufall. Oder?

Hm, schon seltsam, dass der Tisch bereits gedeckt und der Kaffee schon fertig war, als Reporter und Landtagskandidatin das Haus betraten. Es beschleicht einen das Gefühl, dass diese Frau wirklich nichts dem Zufall überlässt. Man beobachtet weiter, lässt das Gespräch laufen und das Gespräch läuft gut. Es geht um Abschaffung des Soli, Abschaffung der Grunderwerbssteuer, Abschaffung der Mietpreisbremse. Man ist sich einig, man verabschiedet sich herzlich.

Und, wird es im zweiten Anlauf klappen mit dem Landtagsmandat? Na ja, sagt Schmid, erst mal müsse natürlich die FDP in den Landtag kommen. An ihr wird es jedenfalls nicht scheitern, da ist Schmid selbstbewusst genug: "Ich war beim letzten Mal schon Stimmenkönigin der FDP in Niederbayern." Ob sie ihr Bürgermeisteramt aufgibt, wenn es mit der großen Bühne klappt? Nein, auf keinen Fall. Dafür, sagt Josefa Schmid, "bin ich einfach zu bodenständig".

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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