Landtagswahl:Erlebt Bayern bald den Kretschmann-Moment?

Früher CSU-Mitglied, heute bei den Grünen: Josef Mayerhofer

In Haiming im Landkreis Altötting ist Josef Mayerhofer zu Hause. Mit 14 wurde er Mitglied der CSU - mit 47 wechselte er zu den Grünen.

(Foto: Evi Lemberger)

32 Jahre war Josef Mayerhofer CSU-Mitglied, jetzt wählt er die Grünen. Es ist der Moment, in dem es gefährlich wird für die bayerische Staatspartei - ein Moment, der an Baden-Württemberg erinnert.

Von Lisa Schnell

Ein alter Bauernhof in einem kleinen oberbayerischen Dorf. Im Innenhof spreizt ein Birnbaum seine knorrigen Äste. An der Wand des alten Kuhstalls sitzt Josef Mayerhofer auf einer Bierbank in der Sonne. Er blinzelt in den weiß-blauen Himmel und sinniert über sein Bayern und darüber, wo hier der richtige Platz für ihn ist, einen bekennenden Konservativen.

Konservativ sein, das heißt für ihn vor allem: Heimatliebe. Die Liebe zu Haiming, dem Dorf im Landkreis Altötting, in dem er vor 47 Jahren geboren wurde. Gleich um die Ecke ist die alte Holzkegelbahn, wo er als "Bua" die Kegel aufstellte. Im Ausland streamt der Vertriebsleiter einer Betonfirma den Volksmusik-Frühschoppen auf Bayern 1. Von seiner Bank aus sieht er den Zwiebelturm der Dorfkirche. Konservativ, das sind für ihn auch christliche Werte. Wo jemand wie er politisch hingehört? 32 Jahre lang war das klar: zur CSU. Mit 14 wurde er Mitglied, mit 16 jubelte er Franz Josef Strauß zu, mit 31 klebte er Plakate für Edmund Stoiber. Mit 46 aber, da zweifelte er: Gehört er noch zur CSU? Mit 47 gibt er seine Antwort - er ist jetzt bei den Grünen.

Was auch passierte, zwei Dinge waren in Bayern lange gewiss: Das Bier gibt es mindestens in Halblitergläsern, und die CSU regiert, meistens mit der absoluten Mehrheit und sicher nicht mit den Grünen. Jetzt aber scheint sich auch dieses besondere Land zu verändern. Auch hier sinkt die Zustimmung für Volksparteien wie CSU und SPD, die für kleine Parteien steigt. Es ist die Stunde der Grünen.

Fünf Wochen vor der Landtagswahl sind sie in den Umfragen mit bis zu 17 Prozent zum ersten Mal zweitstärkste Kraft. Eine schwarz-grüne Koalition steht bei den Befragten ganz oben auf der Wunschliste. Lange waren die Grünen die Großstadtmenschen, deren Gendersternchen-Welt mit dem Rest von Bayern wenig zu tun hatte. Jetzt wählt sie ein Dorfmensch wie Josef Mayerhofer. Es ist der Moment, in dem es gefährlich wird für die CSU, ein Moment, der an Baden-Württemberg erinnert.

Wie Bayern ist es konservativ, ländlich, katholisch, ein Land, in dem es Großstadtparteien schwer haben. Und trotzdem: Seit 2011 regiert dort ein Grüner. Kann es ihn also auch in Bayern geben, den Kretschmann-Moment? Wie weit ist es für die Grünen noch bis zur Macht? Wer das wissen möchte, der muss mit den regierungsfreudigen Grünen in Bayern sprechen und mit der skeptischen CSU, der muss einen Blick über die bayerische Grenze werfen nach Baden-Württemberg und sich aus Sicht der Grünen fragen: Ist Bayern schon so weit? Und aus Sicht der CSU: Wie konnte sie so jemanden wie Josef Mayerhofer verlieren?

Die CSU, das war für Mayerhofer "eine Partei, die Politik machte für eine breite Mehrheit". Da war Edmund Stoiber, der Bayern als Global Player in die Welt hinaustragen, die Welt und ihre Fremden aber ungern hineinlassen wollte. Da war aber auch Alois Glück, der den Respekt vor anderen Kulturen als Chef der CSU-Grundsatzkommission zum Wesenskern der CSU erklärte. Allen eine Stimme geben und trotzdem eine klare Haltung haben - das Kunststück der Volksparteien beherrschte die CSU meisterhaft. Mayerhofer empfand sie als "verlässlich, sauber, gradlinig". Und jetzt?

Er atmet tief durch. "Da könnte ich emotional werden." Er zündet sich eine Zigarette an. Söder, Dobrindt, für ihn "Karrieristen und Populisten", von Überzeugung keine Spur mehr, liberale Stimmen kaum mehr wahrnehmbar. Der Gipfel war für ihn der Bundestagswahlkampf 2017, den Seehofer "gegen die Flüchtlinge führte" und damit gegen christliche Werte. So empfand Mayerhofer das und erinnert sich an einen Tag im Frühjahr 2017.

Er saß im Zug, neben ihm eine Frau mit auffallend roten Haaren. "Sind Sie ned die Margarete Bause?", fragte er und sprach dann zum ersten Mal mit einer Landtagsabgeordneten der Grünen. Am Ende sagte die zu ihm: "Sie gehören doch zu uns." Anfangs war ihm noch ein wenig mulmig, etwa auf der Fahrt zu seinem ersten grünen Parteitag. Strickende Veganer, die ihren Namen tanzen, so in etwa stellte sich das sein CSU-geprägtes Hirn vor. Am Ende wunderte er sich, wozu es all die Gendersternchen braucht, aber sonst: "Alles vernünftige Leute. Eine Politik für die Mitte der Gesellschaft." Schwarz-Grün? Mayerhofer sagt: "Mein Traum."

"Ich erlebe die CSU als irrational und das bayerische Volk als rational"

Es erscheint so, als hätten Grüne und CSU die Rollen getauscht. Die einst so verlässliche CSU irrlichtert durch die Republik. Kanzlerin Merkel ist ihr Feind, Freund, Feind, Seehofer kurz ohne Amt, dann wieder mit. Die CSU trieb das Land an den Rand einer Staatskrise, rief nebenbei das Ende Europas aus. Den Grünen fiel es da nicht schwer, sich als Hort der Stabilität zu präsentieren. "Pragmatisch die Welt retten" ist ihr Motto.

Forderungen, die überzogen wirken könnten, lassen sie weg und zeigen dafür einen absoluten Regierungswillen. Sie laden zu Polizeikongressen, haben die Wirtschaft auf ihrer Seite, wenn sie dafür eintreten, Flüchtlingen eine Arbeitserlaubnis zu geben. Zuletzt brachten sie mit einem Auftritt ihres Bundesvorsitzenden Robert Habeck sogar ein Bierzelt in Dachau zum Kochen, eine Übung, die der CSU noch weit häufiger gelingt, aber immerhin. Gehen sie gegen die CSU auf die Straße wie jüngst in München, stehen da mehr als 30 000 Bayern mit ihnen.

"Ich erlebe die CSU als irrational und das bayerische Volk als rational", sagt Manfred Lucha und fühlt sich erinnert an Baden-Württemberg. Nur ein paar Schritte über die Donaubrücke liegen zwischen Bayern und dem grün-schwarzen Land, von dem Josef Mayerhofer träumt.

Wie viele Schritte liegen noch vor den bayerischen Grünen, bis sie an der Macht sind? Niemand könnte das wohl besser beantworten als Lucha, der jetzt 300 Meter von der bayerischen Grenze entfernt in einem Ulmer Eiscafé vor einem großen Schokobecher sitzt. Lucha war auch mal ein bayerischer Grüner, er stammt aus einem kleinen Ort im Landkreis Altötting. Er zog nach Ravensburg, erlebte den Aufstieg der Grünen in Baden-Württemberg. Jetzt ist er dort Sozialminister.

Lucha blickt über seinen Eisbecher gen Bayern. "Das erinnert mich schon an den Aufbruch bei uns." Auch bei ihnen habe die CDU nach fast 60 Jahren an der Macht gedacht, sie gehöre zum Land wie Spätzle und Rostbraten. Die Leute aber wollten Demut und kein "von oben herab", wie es jetzt auch die CSU betreibe. Damals spülte die CDU den Protest gegen Stuttgart 21 mit Wasserwerfern weg, heute nennt die CSU den Protest gegen sie unanständig. Beide Male aber stand da das aufgeklärte Bürgertum, sagt Lucha. Auch sein Gegner 2011, Stefan Mappus, sei Söder "nicht unähnlich". Beides Konservative der alten Schule, die nicht mehr in die Zeit passten, zwei, die gerne austeilten, aber nicht einstecken könnten. Und deren Sympathiewerte ausbaufähig sind.

Natürlich machte die Grünen 2011, als sie in einer Koalition mit der SPD zum ersten Mal den Ministerpräsidenten stellten, vor allem eines groß: die Atomkatastrophe in Fukushima. Vielmehr noch fühlt sich Lucha deshalb an die Wahl 2016 erinnert, die zu einem grün-schwarzen Bündnis führte. Merkel - immerhin CDU-Chefin - sah sich selbst und ihre Flüchtlingspolitik im Sieg der Grünen bestätigt. Eine ähnliche Rolle haben die Grünen jetzt in Bayern, wo sie im Asylstreit von CDU und CSU auf der Seite von Merkel und liberalen Konservativen stehen.

Das Heimischwerden bei den Konservativen, in Baden-Württemberg verkörpert es keiner besser als Winfried Kretschmann: bürgerlich-spröde bis zur Langweiligkeit, schwäbisch-unaufgeregt, überzeugter Katholik. Er hat dieses Hemdsärmelige, das auch Lucha ausstrahlt. Minister hin oder her, er gibt jedem die Hand, auch der Eisverkäuferin. Er macht dann einen kleinen Diener und sagt: "Guten Tag, Lucha, Grüß Gott." Ob sie es 2011 auch ohne Kretschmann geschafft hätten? Da zweifelt sogar er. "Kretschmanns wachsen nicht auf Bäumen."

"Die Leute haben es satt, immer nur von Angst und Problemen zu hören."

Welchen Baum man in Bayern auch schüttelt, es fiel noch keiner herab. Dazu kommt, dass die Grünen in Baden-Württemberg im Gegensatz zu Bayern seit Jahrzehnten kommunal verankert sind. In Bayern sind ihre Hochburgen immer noch die Universitätsstädte. Einige der Stimmen, die sie jetzt in Umfragen dazugewonnen haben, stammen sicher von Konservativen wie Josef Mayerhofer. Vor allem mit ihrer Kritik an einem ausufernden Flächenfraß überzeugen sie auf dem Land. Auch Kretschmann betonte immer, dass es der Umweltschutz sei, die Bewahrung der Schöpfung, die ländliche Konservative und Grüne verbinden. Viele ihrer neuen Wähler aber sind wohl frühere SPD-Anhänger - aus den Städten, nicht vom Land, wo in Bayern Wahlen gewonnen werden.

Da sagt Lucha: "Ich glaube, der Sepp hätte es gekonnt." Sepp Daxenberger, einst Chef der bayerischen Grünen, ein Bauer, der den Grant der bayerischen Seele in sich hatte wie kein anderer. Er hätte sie vielleicht durchbrochen, die unsichtbare Wand zwischen den Grünen und den Trachtlern, der freiwilligen Feuerwehr, der Kirche. Daxenberger aber starb 2010. Lucha meint, seine Parteifreunde in Bayern würden das trotzdem hinkriegen. Sie heißen Ludwig Hartmann und Katharina Schulze, beide jung, beide aus München.

Ein Café in der Münchner Innenstadt, über der Bar Retro-Glühbirnen, auf der Speisekarte Bircher-Müsli und amerikanische Pancakes, die Schulze gleich bestellt. "Mega-gut", sagt die 33-Jährige. Den Regen vor den Fenstern nennt sie "schrecklichstes Wetter ever", und was gerade in Bayern abgeht, ist "echt krass".

Wie ist das mit der unsichtbaren Wand zwischen ihr und etwa einem Bauern aus dem Allgäu? Kommt sie da drüber? Verwunderter Blick. Von einer Barriere spüre sie nichts. "Man kann ja trotzdem miteinander reden." Nein, bei den Grünen spürt sie etwas ganz anderes: Aufbruchstimmung. Gefühlt trete jeden Tag ein neues Mitglied ein, 10 200 sind sie jetzt, 2013 waren es noch 8300. Dass dieser Moment kommen würde, war ihr immer klar. "Die Leute haben es satt, immer nur von Angst und Problemen zu hören." Es wäre doch gelacht, wenn ein Land wie Bayern den Herausforderungen nicht gewachsen sei.

Früher war es die CSU, die der Opposition vorwarf, das Land schlechtzureden. Jetzt beklagt Schulze die Schwarzmalerei der CSU in der Flüchtlingsfrage. Da sind sie wieder, die vertauschten Rollen. Das Land ist reif, so sieht das Schulze, und die Grünen sind es sowieso: "Natürlich sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen." Nur: "Die letzten Monate haben es nicht einfacher gemacht."

Denn so sehr die Grünen mitregieren wollen, mit dem "Asyltourismus"-Söder können sich das nur wenige vorstellen. Bei der CSU ist es nicht anders. Bereits die Vorstellung, sich mit Schulze an einen Tisch zu setzen, verursacht bei vielen Magenprobleme. An den Inhalten müssten Gespräche mit den pragmatischen Grünen nicht mal scheitern, sagt ein CSU-Mann, der Schwarz-Grün nicht abgeneigt ist. Was Grüne und CSU trennt, seien die verschiedenen politischen Kulturen von Stadt und Land, Jung und Alt. In Baden-Württemberg konnten die Grünen 2011 mit der SPD regieren, in Bayern sind die Sozialdemokraten zu schwach. Es bliebe nur die Rolle des Juniorpartners bei der CSU. Die aber hat noch die konservativen Freien Wähler als möglichen Partner. Der Traum von Josef Mayerhofer, er würde ein Traum bleiben.

Immer hat die gläubige Christin die CSU gewählt - bis 2017

Mayerhofer hat jetzt genug erzählt, er will den Beweis antreten, dass es auch heute schon existiert, ein Bayern, in dem die Grünen auch auf dem Land wählbar sind. Er drückt sich von der Bierbank hoch, geht vorbei an dem alten Birnbaum zum Nachbarhaus. Dort beugt sich ein junger Mann mit dunklerer Hautfarbe über das Unkraut. "Servus Ali", sagt Mayerhofer. Vier syrische Familien leben hier, am Wochenende grillen sie oft zusammen. Das beste Kebab, das Mayerhofer je gegessen hat.

Auch seine Mutter kommt dann vorbei. Sie wählte immer CSU, so habe es sich für eine gute Christin eben gehört, sagt Mayerhofer. 2017 aber sagte sie zu ihm: Wie Seehofer mit den Flüchtlingen umgeht, "des passt irgendwie ned zamm". Mayerhofer geht weiter, da hinten wohnt der Sepp, ein Grüner. Früher verlacht im Dorf, jetzt kaufen sie bei ihm seine Bio-Eier. "Bayern ist viel weiter als die CSU", sagt Mayerhofer.

Dann kommt er beim Wirtshaus an, beim Georg, der wissen will, was der "Herr Nachbar" da macht. Die Zeitung ist da, weil er doch jetzt bei den Grünen ist. Staunen in Georgs Gesicht, Entsetzen in der Stimme: "Bei de Greeena?" Und dann: "Na, die san manchmal näher bei uns, als ma denkt."

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