Süddeutsche Zeitung

Bayern-Wahl:"Über den Bürger hinweg kann man kein Land regieren"

Die Freien Wähler sträubten sich lange, eine Partei zu sein. Armin Grein setzte sich 1978 trotzdem für die Gründung eines Landesverbandes ein. Was sagt er zu einer möglichen Koalition mit der CSU?

Interview von Ana Maria Michel

Als Bürgermeister von Marktheidenfeld und später als Landrat im Kreis Main-Spessart machte Armin Grein auf einer Ebene Politik, die den Freien Wählern besonders wichtig ist: der kommunalen. Ende der Siebzigerjahre setzte er sich gegen großen Widerstand dafür ein, die vielen unterschiedlichen Wählervereinigungen in Bayern in einem Landesverband zu vereinen. Als langjähriger Landes- und Bundesvorsitzender der Freien Wähler war er der Vorgänger von Hubert Aiwanger.

SZ: Die Freien Wähler haben bei der Landtagswahl in Bayern 11,6 Prozent erzielt. Und noch dazu sind sie als künftiger Koalitionspartner der CSU im Gespräch.

Armin Grein: Die Freien Wähler sind nun schon seit zwei Wahlperioden im Landtag und haben sich dort recht ordentlich benommen. Sie wurden gewählt, weil sie realitätsbezogene Politik machen. Sie hatten zum Beispiel mit ihren Forderungen nach der Abschaffung der Studiengebühren oder der Straßenausbausatzung großen Erfolg. Bei dieser positiven Entwicklung bedauere ich es manchmal, dass ich bald 80 Jahre alt werde und nicht mehr mitwirken kann. Ich muss das nun den Jüngeren überlassen.

1998 sind die Freien Wähler zum ersten Mal bei einer bayerischen Landtagwahl angetreten - sie kamen nicht einmal auf vier Prozent. Hätten Sie sich vor 20 Jahren träumen lassen, dass sie sich möglicherweise einmal an der Regierung beteiligen?

Nein, damals waren die Freien Wähler noch ausschließlich auf kommunaler Ebene tätig. Außerdem scheute der Freie Wähler die Partei wie der Teufel das Weihwasser. Man muss aber eine Partei sein, um in den Landtag einziehen zu können. Das war dann 2008 der Fall.

Warum haben sich die Freien Wähler denn so dagegen gesträubt, eine Partei zu sein?

Unsere Bewegung sollte anders sein als die Parteien. Die haben sich damals nicht sonderlich bürgernah benommen. Wir dagegen, mit unserer Konzentration auf die kommunale Ebene, waren nah am Bürger. Aber um auf Landes-, Bundes- und Europaebene mitmischen zu können, muss man unbedingt eine Partei werden. Ich wollte damals aus den Freien Wählern zumindest eine parteiähnliche Organisation machen, um Vorteile wie die Parteienfinanzierung für uns zu erreichen. Der Freie Wähler war 1978 extrem organisationsscheu. Er wollte immer ganz frei sein und sich von niemandem beeinflussen lassen. Es war sehr schwer, den Landesverband zu gründen und die vielen Orts- und Kreisverbände in eine Organisation einzubinden. Manche wollten ihre Namen behalten, doch ich habe sie gebeten, davor zumindest "FW" für Freie Wähler zu setzen. Heute ist ein Großteil der Freien Wähler im Landesverband.

In ein paar Wochen könnten die Freien Wähler Teil der bayerischen Landesregierung sein. Wie viel hat das noch mit ihrem Selbstverständnis zu tun?

Die Freien Wähler werden sich auch weiterhin von den anderen Parteien im Landtag dadurch unterscheiden, dass sie offener für die Sorgen der Bürger sind. Über den Bürger hinweg kann man kein Land regieren.

Möglich, dass sich der Erfolg der Freien Wähler in Bayern auch auf andere Bundesländer auswirkt?

Es könnte sein, dass es sich ein wenig ausbreitet. Wir haben in Bayern eine recht starke Organisation der Freien Wähler im Landesverband. In anderen Bundesländern ist das aber noch nicht so.

Viele, die mit der CSU unzufrieden waren, sind zu den Freien Wählern gegangen.

Wir sind nicht allein aus dem Fleisch der CSU entstanden. Wir haben zwar einige Mitglieder, die vorher bei der CSU waren, aber genauso Mitglieder, die bei den Grünen oder der SPD waren. Unser Fundament ist breit - und das ist dringend notwendig. Man kann heute nicht mehr nur rechts, Mitte oder links sein. Man muss die moderne Gesellschaft ganz anders sehen und sich ihr anpassen. Trotzdem kommen die Freien Wähler weiterhin aus der konservativen Ecke.

Sind die Freien Wähler in Bayern für manche frühere CSU-Wähler die bessere Alternative zur AfD?

Ich wehre mich gegen die Aussage der AfD, dass sie in Bayern nicht so stark sei, weil es hier die Freien Wähler gibt. Das ist für uns eine Zumutung. Wir sind in keiner Weise AfD-ähnlich, sondern absolut in der Mitte. Auch wenn Aiwanger verkündet hat, dass wir die Zuwanderung organisieren müssen, heißt das noch lange nicht, dass wir gegen die Zuwanderung sind.

Im Sommer haben Sie die Freien Wähler noch vor einer Koalition mit der CSU gewarnt. Hat sich Ihre Meinung mittlerweile geändert?

Bisher war es doch so: Wenn sich eine Partei als Koalitionspartner mit der CSU ins Bett legte, lag sie meist nicht sehr lange dort, sondern wurden von der CSU aufgefressen. Etwa die Bayernpartei oder die FDP. Auch im Bund tut sich die SPD im Moment wahnsinnig schwer, in der Koalition mit der Union zu bestehen. Die CSU hat nach der Landtagswahl einen Schaden erlitten, das hat sicher auch mit ihrer Arroganz zu tun. Hubert Aiwanger kann gegen die Arroganz der CSU angehen. Er lässt sich nicht so leicht abwimmeln und ist nicht leicht von etwas zu überzeugen, das er nicht will. Ich kann mir vorstellen, dass Markus Söder und Aiwanger miteinander können. Beide haben eine große Durchsetzungskraft.

Haben Sie als langes Mitglied der Freien Wähler einen Rat für Hubert Aiwanger?

Er muss dringend sein Profil und das der Freien Wähler bewahren. Die CSU wird sicher versuchen, ihn über den Tisch zu ziehen, doch das darf er nicht zulassen. Wenn er sieht, dass es mit der CSU nicht geht, soll er die Koalition verlassen.

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