Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Bayern:Die CSU ist zum Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden

Die Partei hat den wirtschaftlichen Fortschritt in Bayern organisiert. Das hat das Wahlvolk verändert, doch die CSU will es nicht wahrhaben.

Kommentar von Detlef Esslinger

Hämisch war der Tweet von Thomas Oppermann, und wahrscheinlich hatte der sozialdemokratische Vizepräsident des Bundestags dabei gedacht, nur eine Aussage über die CSU zu treffen. Er schrieb: "Edmund Stoiber beschimpft die Wähler: Die CSU stehe deshalb so schlecht in Umfragen, weil 1 Million Deutsche, die nach Bayern eingewandert sind, die großen Jahrzehnte der CSU nicht mitbekommen haben. Ich glaube: die letzten 3 Monate reichen aus."

Dieser Tweet erzählt viel. Zunächst illustriert er die unselige Neigung vieler Politiker, im Meinungskampf sinnentstellend zu zitieren. In dem Interview, auf das Oppermann sich bezog, "beschimpfte" Stoiber niemanden. Er stellte lediglich den Zuzug fest und fügte an, "nicht jeder" der eine Million Menschen "kann wissen, welch großen Anteil" die CSU am Erfolg Bayerns habe.

Indes haben nicht nur Erfolge, sondern auch Misserfolge viele Väter (und Mütter). Ja, Seehofer, Söder und Merkel haben alle dazu beigetragen, dass es für die CSU in den Umfragen bergab ging. Aber: Diese Tendenz hängt nicht allein mit Personen zusammen. Vielmehr hat sich die Zusammensetzung der bayerischen Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert.

Die Zuzügler bringen nicht jenes weiß-blaue Lebensgefühl mit, als dessen Erfinderin die CSU sich stets verstand (auch wenn die Neuen beim Oktoberfest nichts Eiligeres zu tun haben, als sich als Eingeborene zu verkleiden). Immer mehr Bayern leben in den Städten, immer weniger auf dem Land. Immer weniger Bayern gehören noch einer Kirche an. Immer mehr Bayerinnen bleiben auch als Mütter im Beruf.

Der CSU scheint dies deshalb zu schaden, weil sie immer noch glaubt, der von ihr organisierte wirtschaftliche Fortschritt habe keine gesellschaftlichen Folgen. Ihre Symbolik bedient nach wie vor eine Gruppe, die sie für repräsentativ hält, die jedoch immer kleiner wird. Der Kreuzerlass ist allenfalls etwas für besonders Fromme, das Familiengeld eher etwas für die Hausfrau. Und wer aus Paderborn oder Jena hierhergekommen und nun wahlberechtigt ist, wird maskuline CSU-Anführer, die sich traditionsgemäß aufplustern, kaum als Vertreter seines Lebensgefühls wahrnehmen. Das ist der größte Vorwurf, den sich die Partei machen muss: dass sie sich von ihren Wahlerfolgen so lange hat einlullen lassen.

Die Gesellschaft hat sich verändert. Und die CSU hat es nicht gemerkt

Ihr größter Einluller heißt übrigens Stoiber. 2003 prahlte er in halb Europa damit, eine Zweidrittelmehrheit erzielt zu haben - überging aber, dass er 200 000 Stimmen verloren hatte. Das vermeintlich gloriose Resultat bekam er nur deshalb, weil die Sozialdemokraten wegen der Agenda 2010 noch viel mehr, nämlich 1,5 Millionen Stimmen, eingebüßt hatten. Weniges aber ist riskanter, als sich an einem Scheinerfolg zu berauschen. Auch den vorübergehenden Verlust der absoluten Mehrheit 2008 hielt die CSU nur für eine Panne. Sie versäumte es, die gesellschaftlichen Veränderungen aufzunehmen. Vor allem deshalb könnte es nun mit ihrer Herrlichkeit zu Ende gehen.

Womit über den Tweet von Oppermann aber noch nicht alles gesagt ist. Dessen SPD steuert am Sonntag auf ein Ergebnis zu, für das "Desaster" eine Beschönigung wäre. Viele Sozis haben aufgehört, in Bayern für ihre Partei zu werben. Freude finden sie in der Schadenfreude. Was für eine Genügsamkeit.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2018/amm
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