Landtagswahl 2018:Natascha Kohnen will reden

SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen im Gespräch mit niederbayerischen Genossen.

Natascha Kohnen im Gespräch mit dem Kreisbrandrat und niederbayerischen Genossen.

(Foto: C. Melis/oh)

Die SPD-Spitzenkandidatin tourt durch Bayern - auch dorthin, wo Genossen eine Rarität sind und die AfD stark. Kann das klappen?

Von Lisa Schnell

Richard Anzenberger ist in Fahrt, sein Redefluss kaum zu stoppen, da hilft der Stupser seines Nachbarn auf den Rücken auch nicht. Bei einer Frage aber wird er abrupt still. 46 Jahre bei der SPD in Niederbayern, wie fühlt sich das an? Der Genosse drückt sich mit ausgestreckten Armen vom Tisch ab, wirft von oben einen ernsten Blick auf die Fragestellerin. Es war doch grad so lustig. Kurz überlegt er: Leidensgeschichten aus der Diaspora oder Galgenhumor? Er entscheidet sich für letzteres: "Ich sag immer, das Glas ist halb voll." Es folgt ein tiefer Schluck aus dem Bierglas. Das Glas ist jetzt ganz leer.

Es ist kurz vor sieben, ein drückender Sommerabend in Niederbayern. Trotz der Hitze sitzt Anzenberger mit etwa 50 Genossen im Vereinsheim Fischerdorf in Deggendorf. Sie warten auf ihre Spitzenkandidatin Natascha Kohnen. Sie soll der SPD den Weg weisen hinaus aus dem Jammertal, der in Niederbayern besonders versteckt zu sein scheint. Im Freistaat sind Genossen eine Seltenheit, in Niederbayern eine wahre Rarität.

Knapp 14 Prozent wählten hier bei der Bundestagswahl 2017 die SPD, dafür schoss der Balken einer anderen Partei in die Höhe. Mit 19 Prozent ist der Wahlkreis Deggendorf AfD-Hochburg. Auch die SPD verlor Stimmen an sie, zudem kommt die AfD vor allem bei ehemaligen Nicht-Wählern gut an. Was stellt die SPD der AfD entgegen? Wo steht sie in der Asyldebatte? Das will Stephan Bieber von Kohnen wissen, wegen dieser Fragen ist der Genosse zu der Veranstaltung gekommen.

Zunächst aber geht es ums Hochwasser. Fischerdorf war abgesoffen, fünf Jahre ist das jetzt her. Ein guter Anlass, dachte sich der Gastgeber, Landtagskandidat Bernd Vilsmeier, bei Flüchtlingen koche die Stimmung immer so hoch, sagt er. Also machte er das Hochwasser zum Thema von "Kohnen-Plus", der Wahlkampfveranstaltung, mit der Kohnen durch Bayern zieht. Als Gast kommt Kreisbrandrat Alois Schraufstetter, Einsatzleiter beim Donauhochwasser und Stadtrat - für die CSU. Über Parteigrenzen hinweg interessante Menschen treffen, kein Frontalvortrag, sondern wirklich mit den Leuten ins Gespräch kommen, das ist das Konzept von Kohnen-Plus. Es soll vor allem Leute erreichen, die sonst eher nicht zur SPD kommen.

Es geht los in Deggendorf. Begrüßt werden: SPD-Ortsvereinsvorsitzende, SPD-Landtagskandidaten, SPD-Bürgermeister, ein Grüner hat sich noch her verirrt, sonst nur Genossen. Vielleicht ein Niederbayern-Effekt, wo jeder Sozialdemokrat weiß, was es heißt, alleine dazustehen. Überhaupt muss die niederbayerische Seele anders gestreichelt werden als die der Oberbayern. Um herauszufinden, wie das geht, lohnt es sich mit Ruth Müller zu sprechen, SPD-Landtagsabgeordnete aus Landshut. Nicht als Politikerin, sondern ganz persönlich müsse Kohnen sich geben, direkt und ehrlich. Der Niederbayer sei zudem zwar gesellig, aber auch gerne unter sich. 46 Jahre lebt Müller jetzt in Niederbayern, 46 Jahre von 51, und immer noch wird sie gefragt: "Bist du eigentlich von da?"

"Von da" ist die Münchnerin Kohnen nicht. In Deggendorf versucht sie manchmal ihrem Hochdeutsch eine dialektalische Färbung zu geben. "Gibt's no was?", sagt sie dann. Sie kommt trotzdem gut an. Persönlich kriegt sie hin, erzählt von Hannah und Paul, ihren Kindern. Direkt auch. Als ihr Gast von der CSU den Satz "Frauen an die Macht" eigenwillig interpretiert: "Machen Kaffee, machen sauber", sagt Kohnen: "Da ist die Tür."

Um Asylpolitik und die AfD geht es in Niederbayern nicht

Gut zwei Stunden sind jetzt um, es ging um die Donau und die Isar, um Polder und die Nachwuchsprobleme der Feuerwehr. Über die Asylpolitik oder die AfD ging es nicht. Obwohl diese Themen die Niederbayern am meisten umtreiben. Zumindest sagt das jeder, den man im Vereinsheim fragt. Die meisten haben eine klare Meinung. Sonja Hofmeister etwa, 42, aus Straubing und selbst Genossin. "Die SPD muss sich eingestehen, dass es nicht richtig war, den Leuten zu sagen, sie können alle rein 2015", sagt sie. Solidarität ja, aber es müsse auch Grenzen geben, das hört man oft hier am Biertisch. Ob das auch die Linie der Bayern-SPD ist, kann Hofmeister nicht genau sagen. "Da müsste man mehr drüber reden", sagt sie.

Wie ausgiebig das passieren soll, da sind sie sich in der SPD nicht ganz einig. Offensiver und auch selbstkritisch müsse die SPD hier auftreten, rät Christian Flisek, ehemaliger Bezirkschef von Niederbayern. Nicht der, der über das Thema spreche, mache die AfD stark, sondern der, der es nicht tue. Andere behaupten das genaue Gegenteil und meinen, Asyl sei kein Gewinnerthema für die SPD. Vor allem nicht für den eher linken Landesverband Bayern, in dem viele die von der SPD im Koalitionsvertrag im Bund mitgetragenen Ankerzentren kritisch sehen. Und Natascha Kohnen?

Ehrlich und sachlich will sie die Debatte führen und aufklären, was etwa im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schiefgelaufen ist. Und natürlich gebe es eine Linie: "Wer bleiben kann, den müssen wir integrieren, wer abgelehnt ist, der muss tatsächlich wieder gehen." Davon, das Thema hochzujazzen, wie es die Medien oder die CSU machten, halte sie nichts. Wenn sie mit den Leuten rede, höre sie vor allem eine Sorge. "Wir haben eine Wohnungsnot und niemand redet darüber", sagt Kohnen. Sie selbst tut es sehr ausgiebig. Es ist auch ihre Strategie gegen die AfD und die Neiddebatte. Man müsse deutlich machen, dass dieser Staat stark sei, dass die SPD die Sicherheit gebe für ein gutes Leben.

Zurück nach Deggendorf. Stephan Bieber fährt durch die Nacht nach Hause, am Bahnhof vorbei, der einsam und dunkel daliegt. Die AfD-Wähler, die er kenne, seien vor allem Frauen, die sich fürchteten, sagt er, und kommt auf all die Fragen, die er Kohnen gerne gestellt hätte zu ihrer Asylpolitik und zur AfD. Dass sie unbeantwortet blieben, lässt ihn ein wenig enttäuscht zurück. Warum er nicht einfach gefragt hat? "Ich dachte, es soll nur um Hochwasser gehen", sagt er. Aber vielleicht habe er das falsch verstanden.

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