Landtag:"Ich will nicht alt werden im Asylheim"

Junge Flüchtlinge sprechen im Landtag. Viele wünschen sich vor allem das: arbeiten zu dürfen - ohne Angst vor Abschiebung

Von Dietrich Mittler

Sayed Reza Hossiny hat für diesen Tag extra seinen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd angezogen. Der 22-Jährige aus der afghanischen Stadt Masar-i-Scharif ist einer von etwa 150 jungen Asylbewerbern, die am Donnerstag im Landtag zu Besuch sind. Mit Bussen oder der Bahn sind sie - begleitet von Lehrern - aus verschiedenen Integrationsschulen nach München gekommen. Der Höhepunkt ihres Besuches ist, dass sie selbst eine Plenarsitzung gestalten dürfen. Deutsche Schüler, bei denen die Stunde im Plenarsaal ebenfalls auf dem Besuchsprogramm steht, nutzen diese Gelegenheit bisweilen dazu, Faxen zu machen. Die jugendlichen Flüchtlinge jedoch nehmen die Sache todernst.

So steht schließlich auch Sayed Reza Hossiny vor dem Mikrofon, in das sonst Politiker wie Horst Seehofer, Markus Rinderspacher, Hubert Aiwanger oder Margarete Bause sprechen. "Ich komme aus einem Land, in dem seit langer Zeit Krieg ist", beginnt er. Seitdem er aber hier in Bayern sei, habe sein Leben eine neue Perspektive. "Deshalb, ich sage danke", sagt er gerührt. Einen Moment lang wird es im Plenarsaal leise. Dann aber tost Applaus auf, als Hossiny sagt: "Ich wünsche mir, dass die ganze Welt ohne Krieg ist. Alle Menschen sind gleich - warum Krieg?"

Viele der jungen Flüchtlinge - sie kommen aus Ländern wie Mali, Ghana, dem Senegal, Nigeria, Pakistan - haben schreckliche Erlebnisse hinter sich, so auch Evans Adeny aus Uganda. Als 13-Jähriger, so erzählt er, sei er von der Rebellenarmee Lord's Resistance Army verschleppt worden, es folgten drei Jahre als Sklave und Kindersoldat, bis er schließlich entkommen konnte und die Flucht nach Deutschland antrat. Heute ist der gut 20-Jährige, der seinen Hauptschulabschluss mit der Note 2,2 hingelegt hat, im Begriff, eine Berufsausbildung anzutreten, und das alles nach nur drei Jahren in Deutschland.

Auch er steht nun elegant gekleidet am Rednerpult. Dort setzt er zum Appell an: Man solle doch bitte jenen Asylbewerbern, die bereits ein oder zwei Jahre in Deutschland leben, eine Arbeitserlaubnis geben. "Das tut uns gut, und es tut Deutschland gut - denn dann spart sich Deutschland viel Geld." Das sei doch nur logisch. Und wieder tost Applaus auf. Die Grünen-Abgeordnete Christine Kamm, die die jungen Leute an diesem Tag betreut, nickt zustimmend. Sie kann heute einmal erhöht Platz nehmen, dort, wo sonst die Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) die Sitzungen leitet. Auch sonst ist die Platzverteilung ein wenig anders. Der Stuhl von Ministerpräsident Horst Seehofer ist ebenfalls grün besetzt - mit Kerstin Celina.

Es sind Schicksale im Zeitraffer, die nun vor den Zuhörern im Plenarsaal ablaufen. "Jeder von uns hat seine Heimat, seine Familie verlassen müssen", sagt ein hochgewachsener junger Mann. Ein anderer appelliert, die Leute in Deutschland, die keine Ausländer mögen, sollten doch bitte umdenken: "Wir sind keine schlechten Menschen", sagt er, "wir möchten nie dieses Land runterziehen - auch wenn unsere Haut dunkel ist und unsere Haare schwarz sind." Ein anderer junger Asylbewerber ruft temperamentvoll ins Mikro: "Ich bin jung, ich habe Kraft, ich will etwas lernen, und ich will arbeiten. Ich will nicht alt werden im Asylheim."

So denken die meisten jugendlichen Flüchtlinge, bestätigen ihre Lehrer. Doch eines hindere einige daran, ihr Leben in die Hand zu nehmen: die Angst vor der Abschiebung. Adeny erzählt von einem Landsmann, der ihn auf der Fahrt nach München gefragt habe, ob es sinnvoll sei, auf die Schule zu gehen. Adeny sagte "ja". "Warum?", fragte der andere. "Weil wir Deutsch lernen müssen, um hier leben zu können." Daraufhin kam nur die Bemerkung: "Vielleicht bekomme ich morgen einen Brief und muss zurück nach Uganda. Soll ich dort mit den Affen deutsch sprechen?" Kamm sieht solche Sätze als Auftrag: "Wir müssen die jungen Menschen in ihrer Hoffnung stärken - es sind wertvolle Menschen."

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