Bayerischer Landtag: "Kein guter Tag für das bayerische Parlament"

Bayerischer Landtag

Die Regierungskoalition hat die Rederechte der Fraktionen im Landtag eingeschränkt.

(Foto: dpa)

Im Landtag sind künftig nur noch drei Zwischenbemerkungen pro Fraktion erlaubt, CSU und Freie Wähler schränken Rederechte ein. Heftige Kritik kommt von der Opposition.

Von Lisa Schnell

Für eine kurze Weile könnte die Stimmung im Landtag am Donnerstag fast versöhnlich genannt werden. Tobias Reiß (CSU) dankt allen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit. Jürgen Mistol (Grüne) würdigt ein teilweises Entgegenkommen. Das ist er, der von der Regierung angekündigte neue Stil der Zusammenarbeit! So jubeln die Freien Wähler. Und dann - tritt Volkmar Halbleib von der SPD ans Rednerpult. Wichtige Rechte der Opposition sollen "massiv eingeschränkt" werden, ja "bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt", ruft Halbleib. Es sei "kein guter Tag für das bayerische Parlament". Zusammenarbeit? "Null - Komma - Null."

Die große Erregung des sonst eher ruhige Abgeordneten Halbleib wird durch ein kleines Büchlein ausgelöst: die Geschäftsordnung des Landtags. Dabei geht es nicht nur um ein Stück Papier mit vielen Paragrafen, das regelt, wann sich das Plenum trifft. Es geht um die Kontrolle der Regierung durch die Opposition, den Kampf um das beste Argument, kurz: um die Demokratie.

Drei Monate bastelten alle Fraktionen an Änderungen, die einem Parlament mit nun sechs statt vier Fraktionen gerecht werden sollen. Das Ziel: eine einvernehmliche Lösung im Sinne des neuen Stils, den die Regierungsfraktionen versprochen hatten. Das Ergebnis: Die Opposition stimmt geschlossen gegen die Änderungen, die SPD schließt sogar eine Klage nicht aus.

Im Wesentlichen sieht die Opposition ihre Rechte in drei Punkten beschnitten. Da ist einmal die Einzelberatung von Gesetzesentwürfen. Sie dient dazu, einzelne Artikel von besonders umstrittenen Gesetzen genauer unter die Lupe zu nehmen. Im extremsten Fall kann sie zum sogenannten Filibustern führen: einer Endlosdebatte, die sich bis in die Morgenstunden zieht.

Nur äußerst selten, wie beim Integrationsgesetz 2016, macht die Opposition davon Gebrauch, um ihrer Kritik öffentlich Ausdruck zu verleihen. Mit der AfD im Landtag aber könnte sich das ändern, so die Befürchtung einiger bei CSU und FW. Die neue Geschäftsordnung beschneidet die Debattenzeit bei Einzelberatungen. Halbleib sieht darin einen Verstoß gegen die Verfassung, da die Zeit nur noch für drei Einzelberatungen reiche. Eine Oppositionsfraktion wäre damit um die Möglichkeit beraubt, eine solche zu beantragen. Die Zeit sei ausreichend, heißt es bei FW und CSU. Zudem gebe es in etlichen Bundesländern, wie etwa dem lange SPD-regierten Nordrhein-Westfalen, gar keine Einzelberatungen.

Punkt zwei auf der Liste der Streitpunkte ist die Frage: Wer darf wie viel reden? Bis jetzt war die Redezeit nach folgender Regelung aufgeteilt: Zweidrittel der Zeit wurden gleichmäßig auf alle Fraktionen verteilt, der Rest wurde nach Fraktionsstärke vergeben. Jetzt sollen nur noch 50 Prozent gleich verteilt werden. Größere Fraktionen wie die CSU, aber auch die Grünen werden also gestärkt. "Eine Kriegserklärung gegen die anderen Fraktionen", ein "Rückschritt in dunkle Zeiten", sagt Halbleib im Plenum und erntet laute Empörung aus den Reihen der FW.

Sie protestieren gegen die Worte ihres eigenen Fraktionschefs. Denn Florian Streibl wetterte so 2014, als die CSU-Alleinregierung die bis jetzt geltende Regelung durchsetzte. Zuvor durften alle Fraktionen gleich lang sprechen, unabhängig davon, wie viele Abgeordnete sie stellten. Nun sitzt Streibl selbst in der Regierung und findet an der geplanten Machtverschiebung nichts verwerflich. "Sie haben leider ihre damalige Haltung an der Garderobe der Macht abgegeben", sagt Halbleib. Um Macht ginge es doch gar nicht, sondern darum, dass das Parlament nicht zu einer "Spruchbude" werde, sagt Fabian Mehring (FW).

Zwei Fraktionen mehr im Landtag, das bedeutet auch längere Debatten und damit weniger Effizienz. So sehen das FW und CSU. In der vergangenen Legislaturperiode lag die Mindestredezeit jeder Fraktion bei fünf Minuten, jetzt sind es vier. Zudem sollen die Zwischenbemerkungen eingeschränkt werden. Bis jetzt durften Abgeordnete sich während einer Rede so oft zu Wort melden wie sie wollten und zwei Minuten lang sprechen.

Nur zwei Mal gab es 2018 in einer Debatte vier Zwischenbemerkungen, so das Ergebnis der Recherchen von Tobias Reiß (CSU). Es dürfte die Opposition deshalb nicht allzu sehr schmerzen, wenn es nun nur noch drei geben soll, jeweils mit einer Minute Redezeit. Warum einschränken, wenn es bis jetzt keine Probleme gab? Jürgen Mistol (Grüne) erschließt sich das nicht. Auch dabei dürfte die Angst vor von der AfD künstlich in die Länge gezogenen Debatten eine Rolle spielen. Sechs Fraktionen mehr, das bedeute einen höheren parlamentarischen Aufwand, aber es sei "der Wille des Wählers", sagt AfD-Redner Christoph Maier.

Die Debatte begann mit einem Lob auf den neuen Stil der Zusammenarbeit im Parlament und sie endet mit einem empörten parlamentarischen Geschäftsführer der FW. Er nutzt das Instrument der Zwischenbemerkungen. Nach der alten Regelung hat er noch zwei Minuten. Wie Halbleib die Regierung angegriffen habe, sei mit der Würde des Hauses nicht vereinbar, sagt er. Nicht die Regierung habe der SPD die Redezeit gekürzt, sondern die Wähler hätten das. Die Regierung habe der Opposition die Tür aufgestoßen, die SPD aber sei nicht durchgegangen. Stattdessen betreibe sie "Polit-Show". So ein neuer Politikstil, das sei keine Einbahnstraße. Mehring ist noch nicht fertig, seine Redezeit aber ist um. "Zwei Minuten können auch manchmal zu wenig sein", sagt Matthias Fischbach von der FDP und bemüht sich nicht, ein Lächeln zu unterdrücken.

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