Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Landshut im Dritten Reich

Eine eindrucksvolle Publikation wirft ein neues Licht auf die Jahre 1939 bis 1945. Die Autoren haben fünf Jahre an dem Projekt gearbeitet und sogar in Washington geforscht.

Von Hans Kratzer, Landshut

Wie in vielen anderen Städten galten auch in Landshut die Jahre des "Dritten Reichs" lange Zeit "als Stiefkind der Stadtgeschichtsforschung". Das habe sich zum Glück geändert, sagt der Historiker Mario Tamme. Im Jahr 2011 beschloss der Stadtrat die Verlegung von Stolpersteinen zum Gedenken an jüdische NS-Opfer. In den Schulen fördern seitdem engagierte Lehrer die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit. Der engste Partner ist dabei das Stadtarchiv, das jetzt eine gewichtige Publikation zur Landshuter Stadtgeschichte von 1939 - 1945 vorgelegt hat. "Fünf Jahre haben wir an das Projekt hingewerkelt", sagt Mario Tamme, einer der Autoren des fast 500 Seiten starken Bandes, der sowohl inhaltlich wie auch optisch durch eine außergewöhnliche Qualität besticht. Nur wenige Städte können ein vergleichbares Werk über diese Zeit vorweisen.

Es handelt sich - bei aller wissenschaftlichen Akribie der Autoren - um ein populär gefasstes Buch, das allen Interessenten einen leichten Zugang ermöglicht. Das Buch glänzt allein schon wegen seiner 400 Bilder, viele davon waren bis jetzt unveröffentlicht. Auch sonst wird viel Unbekanntes aufgetischt. Daniel Studener hat etwa in Washington erstmals einschlägige Quellen der US-Army ausgewertet. Das Buch macht schmerzhaft bewusst, dass auch in Landshut jüdische Bürger in die Vernichtungslager deportiert wurden, dass behinderte Menschen Opfer von Zwangssterilisationen und Euthanasie wurden.

Manche Geschichten weisen in ihrer Bedeutung weit über Landshut hinaus. Die Tragödie um die Bürgerin Anna Scharf etwa, die wegen verbotenen Umgangs mit Franzosen verurteilt und öffentlich gedemütigt wurde. Mario Tamme fand Fotos, auf denen zu sehen ist, wie Scharf und eine Freundin mit einem Schild um den Hals durch die Stadt getrieben wurden. Solche Bilder gibt es sonst nirgendwo mehr in Bayern.

Die Fotografien des zerstörten Bahnhofs zeigen, welch ein Glück es war, dass dieses Bombenziel weit vom Stadtzentrum entfernt lag, andernfalls wäre auch die gotische Altstadt in Schutt und Asche gelegt worden. Nach 75 Jahren verblassen die Erinnerungen, die Generation der Zeitzeugen stirbt aus, das Interesse der Jugend schwindet dahin. Ein Buch wie dieses, das chronologisch und strukturgeschichtlich die lokale NS-Historie dokumentiert, bietet die beste Basis, um das Interesse wachzuhalten und weitere Forschungen anzustoßen.

Landshut 1939 - 1945. Ein Zeitspiegel in Wort und Bild, hrsg. vom Stadtarchiv, 39 Euro

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Quelle:
SZ vom 14.10.2020/vewo
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