Landshut:Dieser Magier schaut in die Köpfe der Menschen

Landshut: Wer Thorsten Havener begegnet, sollte sich darauf gefasst machen, dass seine persönlichsten Geheimnisse aufgedeckt werden.

Wer Thorsten Havener begegnet, sollte sich darauf gefasst machen, dass seine persönlichsten Geheimnisse aufgedeckt werden.

(Foto: Veranstalter)
  • Thorsten Havener, 44, ist sogenannter Mentalmagier. Er spürt verborgene Gedanken ahnungsloser Zuschauer auf und kann Probanden der Lüge überführen.
  • Übersinnliche Fähigkeiten seien dabei nicht im Spiel, sagt Havener. Der Schlüssel sind Einfühlungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit und Übung.
  • Immer wieder gibt es Vorwürfe: alles Täuschung, der Magier lügt sein Publikum an. Havener sagt dazu: "Zu einem Comedian geht man, um zu lachen und zu mir kommt man, um zu staunen."

Von Tahir Chaudhry, Landshut

Auf magentafarbenen Projektionen erscheint eine Zeichenfolge: D3R KÖRP3RSPR4CH3-COD3. Während das Gehirn noch den Titel des Programms decodiert, ertönt eine Stimme aus dem Off. Das Publikum in der Landshuter Sparkassenarena wird aufgefordert, zu klatschen und Lärm zu machen. Mitten im Jubelsturm läuft ein sportlich-schlanker Mann mit dunklem, zurückgegelten Haar im schwarzen Anzug auf die Bühne. Die große Show von Thorsten Havener, 44, von Beruf Mentalist, kann beginnen. Havener braucht keine Requisiten, er schafft es, einen Saal ganz alleine mit seiner Präsenz und seinem Selbstbewusstsein auszufüllen.

Es wird wieder mal ein Abend, an dem er seine Zuschauer in ein geradezu fassungsloses Staunen versetzt. Denn Havener manipuliert Menschen mit seiner Rhetorik, spielt mit der Wahrnehmung seines Gegenübers und übersetzt nonverbale Körpersignale. Er scheint aus Sprache, Mimik und Gesten so leicht lesen zu können wie andere aus einem Buch. Er spürt verborgene Gedanken und Gefühle auf und überführt mehrere Probanden der Lüge.

Sein absoluter Hit aber ist das Gedächtniskunststück. Es geht so: Havener bittet einen beliebigen Mitspieler aus dem Publikum darum, an eine Zahl zwischen 50 und 100 zu denken. Quadratisch angeordnet stehen auf einer Tafel Zahlen von 1 bis 16, darunter kleine Felder, in denen Havener vom Publikum genannte Gegenstände und dazu von sich hinzugedachte Zahlen aufschreiben lässt. In Sekundenschnelle memoriert er mühelos alle Zahlen und Begriffe. Nachdem er sie fehlerlos aufgesagt hat, setzt er am Ende noch einen drauf: Die von ihm scheinbar zufällig genannten Zahlen ergeben in jeder erdenklichen Richtung die Zahl, an die der Mitspieler vor wenigen Minuten gedacht hatte.

Ein Raunen geht durch den Saal. Alles geht ihm so leicht von der Hand, dass man sich fragt: Wie macht er das bloß? Verfügt Havener über magische Kräfte?

So viel steht fest: Haveners Bühnenprogramme und Seminare füllen regelmäßig große Hallen und Theater. Seine vier Sachbücher sind Bestseller, die mittlerweile mehr als eine Million Mal in 16 Sprachen verkauft wurden. Er selbst bezeichnet sich mit demonstrativem Understatement als "psychologischer Unterhalter". Ihm haben es die Geheimnisse des menschlichen Bewusstseins angetan. Wenn Havener über psychologische Mysterien spricht, sieht man ihn in der Rolle eines leidenschaftlichen Aufklärers, der Menschen das Handwerkszeug für einen bewussteren Umgang mit sich selbst liefern möchte.

Havener erweckt - ganz anders als manch anderer Vertreter seiner Gattung - weder einen düsteren noch gekünstelt-mysteriösen Anschein. Für einen, der dauernd im Rampenlicht steht, kann er erstaunlich gut zuhören. Wenn Havener spricht, rückt er in gerader Haltung bis zum Rand des Sofas vor und gestikuliert. Er ist mehr so der empathisch-zugewandte Typ. Was also ist sein Geheimnis?

Nachdem der Bruder stirbt, führt Havener dessen Interesse fort

An dieser Stelle muss man vielleicht ein bisschen ausholen. Havener sagt: "Wir sind im Grunde nur Fußnoten der Geschichte, aber nehmen uns oft zu wichtig." Dieses Bewusstsein über die eigene Vergänglichkeit und das Nachdenkliche in ihm gehen auf einen Tag zurück, der alles veränderte. Im April 1986, als er 14 Jahre alt war, kam sein Bruder Christian beim Fallschirmspringen ums Leben. Beim Aufräumen seines Zimmers fand Havener dessen Zauberrequisiten. Es war der Beginn einer Faszination, die sich bald zur Sucht auswuchs. Schon im selben Jahr hatte Havener seinen ersten Auftritt als Magier in der Kirchengemeinde. "Da habe ich gespürt: hier eröffnet sich eine ganz neue Welt für mich", erinnert er sich.

Der Sohn eines Zahnarztes und einer Lehrerin steigerte sich bald noch tiefer in die Materie hinein und gab sein Taschengeld für neue Zauber-Utensilien aus. Fieberhaft erwartete er Pakete aus München, die dort von seiner heutigen Frau zur Post gebracht wurden. Sie hatte bei Haveners bevorzugtem Versandhändler gearbeitet. Erst später lernte er sie bei einem Zauberkongress kennen - und heiratete sie.

Seit 20 Jahren sind die beiden ein Paar, haben drei Kinder und leben in Oberbayern. Hier fühlt er sich wohl. Der gebürtige Saarländer schätzt Bayern wegen der Bodenständigkeit und der freundlichen Menschen sehr. Den bayerischen Einbürgerungstest hat er mit Bravour bestanden und trägt seitdem ein von Edmund Stoiber unterschriebenes Visum bei sich. "Naja, eigentlich von Wolfgang Krebs alias Stoiber unterschrieben. Aber das Symbol zählt!", sagt Thorsten Havener.

Zum Arbeiten fährt er gerne in sein Münchner Büro. Inmitten von Filmproduktionsfirmen und Youtube-Stars hat er sein kreatives Umfeld gefunden: die Bavaria Filmstadt. In einer loungig-modern eingerichteten Umgebung schreibt Havener derzeit an einem neuen Buch, das im September 2017 im Rowohlt-Verlag erscheinen soll. Darin geht es um altes Wissen und geheime Künste und was wir von ihnen lernen können. Havener erinnert sich noch gut an den einen Moment im Frühjahr 1998, der in ihm das Interesse für die menschliche Psyche weckte.

Damals studierte er angewandte Sprachwissenschaften in Monterey, Kalifornien. Eines Tages, in einer Dolmetscherübung, "da platzte der Knoten", erinnert sich Havener. Von einem bestimmten Moment an wusste er nämlich im Voraus, wann der Redner, dessen Vortrag zu übersetzen war, das Thema wechseln würde, wann er einen Witz erzählen oder Zahlen anführen würde. Der Schlüssel dazu waren Einfühlungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit - und Übung. "Im Alltag unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht großartig von anderen aufmerksamen Menschen und bin ständig in Gedanken versunken", gesteht Havener.

Scharlatane widern ihn an - seine Tricks verrät er dennoch nicht

Landshut: Thorsten Havener weiß, welche Karte gezogen oder gemerkt wurde.

Thorsten Havener weiß, welche Karte gezogen oder gemerkt wurde.

(Foto: lks)

Aber auf der Bühne wie in Landshut, da bündelt er all seine Aufmerksamkeit wie zu einem Laserstrahl und verwandelt sich in den Mann, der scheinbar Gedanken lesen kann. Die Erwartung, dass etwas wirklich funktioniert, sagt Havener, sei für das Gelingen seiner Kunststücke die Grundvoraussetzung. Das was schon so, als er als Lehrling auf der Zauberakademie ein Hypnosetraining absolvierte: Sein Lehrer brachte ihm einen ahnungslosen Probanden und flunkerte ihm vor, dass der weltbeste Hypnotiseur am Werk sei. Der blutige Anfänger Havener konnte daraufhin sein Gegenüber problemlos in Trance versetzen.

Immer wieder muss sich Havener den Vorwurf anhören, er lüge sein Publikum an und täusche ihm eine Fähigkeit vor, die er nicht besitze. "Zu einem Comedian geht man, um zu lachen und zu mir kommt man, um zu staunen", verteidigt er sich dann. Er hat so seine Grundsätze: Außerhalb seines magischen Theaters würde er nie behaupten, dass ein Trick wahr sei oder dass er übersinnliche Fähigkeiten habe. Das sei eine "moralische Grenzüberschreitung". In seiner Show aber sollen bewusst Schein und Sein miteinander verschmelzen. In mehreren Fernsehtalkshows zeigte Havener zum Beispiel ein verblüffendes Kunststück, bei dem er vorgab, durch bloße Beobachtung des Gegenübers dessen Lieblingsreiseziel zu erraten.

"Das ist Show. Niemand kann Sie anschauen und Ihnen anhand Ihrer Körpersprache sagen, woran Sie denken", offenbart Havener. War alles vorher abgesprochen? Auf keinen Fall. "Dieses Gefühl, das Sie hatten, als Sie es gesehen haben, das ist ein Gefühl, das ich mag und bei anderen wachrufen möchte", sagt Havener. Gerade bei einer Sache nicht zu wissen, wie das geht, sei in der heutigen Zeit etwas, was man gar nicht mehr schätze. Dabei habe das Nicht-Wissen eine geradezu philosophische Schönheit, doziert Havener.

Doch für viele Menschen ist das schwer auszuhalten, sodass sie manchmal anfangen, ihre eigenen kuriosen Theorien zu spinnen. In einem Youtube-Video versucht sich etwa ein Kommentator in der Erklärung des Reiseziel-Experiments. Für ihn ist klar: der vermeintliche Gedankenleser spricht in Wahrheit mit einem unsichtbaren Geist, der ihm die verborgenen Gedanken zuflüstert. Havener lacht und stellt klar: "Nein, ich rede mit keinen Geist." Schade eigentlich.

Vor Kurzem hat Havener die USA bereist und festgestellt, dass dort das Geschäft mit der Esoterik besonders groß ist. Mit Verstorbenen kommunizieren oder in die Zukunft schauen, im Live-TV. Geldgierige Scharlatane widern Havener an: "Ich will noch nicht einmal, dass jemand an so etwas denkt, wenn er mich sieht." Meist stecke hinter all dem eine einfache Methode, er kennt sie.

Würde er selbst vorgeben wollen, ein Wahrsager zu sein, dann würde er zunächst Leute anlocken, die empfänglich dafür sind. Durch wenige sprachlich gesteuerte Illusionen und Fragen, die als Aussage verpackt werden, würde er nach und nach wichtige Informationen aus ihnen herauskitzeln: "Ich habe den Eindruck, dass bei Ihnen kürzlich, in Ihrer Familie hat das Thema Geld eine Rolle gespielt, richtig?"

Doch Havener liegt es fern, alles Übersinnliche als Quatsch zu bezeichnen. Die Wissenschaft könne eben nicht alles erklären, nur gut beschreiben, wie vieles in der Welt funktioniert: das Wetter, der Körper, die Atome oder das Universum. Und trotzdem stünde der Mensch vor unzähligen Rätseln. "Es gibt Verborgenes, Spirituelles und mehr als das, was man messen kann", davon ist Havener überzeugt.

Und die Sache mit der erdachten Zahl in Landshut? Wahrscheinlich ahnt er, dass Tausende gerne wissen würden, wie der Trick funktioniert. Das Geheimnis, da ist Havener jetzt ganz der Magier, behält er für sich. Und leider kann man auch nicht in seinen Gedanken lesen.

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