Nach Abzug der Mönche:Niederaudorf will sein Kloster zurück

Nach Abzug der Mönche: 300 Jahre lang lebten Ordensbrüder im Kloster Reisach, seit zwei Jahren steht es leer.

300 Jahre lang lebten Ordensbrüder im Kloster Reisach, seit zwei Jahren steht es leer.

(Foto: Sarah Höger)

Seit zwei Jahren stehen die Gebäude leer, das Kompetenzwirrwarr der Behörden verärgert die Bürger: Sie können den Mittelpunkt ihres Dorfes nicht nutzen.

Von Sarah Höger, Niederaudorf

Wenn Günther Schmid über das Kloster Reisach spricht, vermischen sich Groll und Wehmut in seiner Stimme. Der drahtige Mann, der das Kloster schon seit seiner Kindheit kennt, hat eigentlich schon gar keine Lust mehr, die Tragödie der vergangenen zwei Jahre wieder und wieder zu erzählen. Bestimmt zwanzig Mal habe er in den vergangenen Monaten mit Behörden telefoniert. Briefe geschrieben hat er, sogar an die Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Immer geht es ihm um die eine Sache: Wie lange werden die Bürger noch aus dem Kloster ausgesperrt? Antworten bekomme er keine.

"Alles immer nur Bla Bla", sagt er. Hinter ihm ragt der Turm der Klosterkirche in den Spätsommerhimmel. Der ockerfarbene Putz bröckelt vom Turm, über dem Kircheneingang ist deshalb seit 2007 ein Gerüst mit Holzdach angebracht, darauf wächst Moos. Seit bald zwei Jahren darf eh niemand mehr das Kloster in der Gemeinde Oberaudorf (Landkreis Rosenheim) betreten. "Außer den Filmteams", wendet Schmid ein. Da schlägt der Groll in seiner Stimme wieder durch.

Obwohl das Kloster für die Dorfbewohner zugesperrt ist, durften Filmteams die Gebäude im Sommer als Kulisse nutzen. Der BR drehte einen München-Tatort, der im Winter ausgestrahlt werden soll. Wenig später rückte das ZDF für die Serie "Die Chefin" an. Schmid zeigt Fotos vom Dreh. Refektorium, Speisesaal, Bibliothek - fast überall durften die Filmleute rein. Schmid spricht von Willkür, weil sie durften, was den Ortsvereinen verwehrt bleibt. Und auch in Franz Böhm brodelt es. "Wir fühlen uns verarscht", sagt er.

Nach Abzug der Mönche: Franz Böhm und Günther Schmid (rechts) wollen das Kloster für die Gemeinde erhalten.

Franz Böhm und Günther Schmid (rechts) wollen das Kloster für die Gemeinde erhalten.

(Foto: Sarah Höger)

Die beiden Männer kämpfen dafür, dass die Vereine aus dem Dorf die Räume des Klosters wieder mit Leben füllen dürfen. Schmid ist Vorsitzender der Dorfgemeinschaft Niederaudorf. Jahrzehntelang war er Vorstand des Männerchors, der im Refektorium probte und bei den Gottesdiensten in der Kirche sang. Böhm ist sein Nachfolger als Chorvorstand. Auch die Frauengemeinschaft nutzte die Räume. Im Sommer feierten alle gemeinsam Klosterfeste und Konzerte, zu denen auch die Österreicher von der anderen Seite des Inns kamen.

Im November 2019 zogen die Mönche aus

Das Kloster liegt in Niederaudorf, die Idylle des Inntals wird nur von der direkt neben den Klostermauern verlaufenden Eisenbahnstrecke und der nahen Autobahn gestört. Bis zur Schließung war Reisach ein Kulturzentrum, ein Ort der Begegnung. "Der Zusammenhalt im Dorf ist stark, daran hat das Kloster einen großen Anteil", sagt Schmid, jetzt mit Wehmut in der Stimme. Und auch Böhm meint: "Da ist wirklich viel Herzblut geflossen."

Möglich war das, weil die Patres eine enge Freundschaft mit der Dorfgemeinde pflegten. Fast 300 Jahre lang lebten Brüder des Ordens der unbeschuhten Karmeliten im Kloster, zuletzt polnische. "Jeder im Dorf mochte die Patres, beim Wirt mussten sie nie eine Halbe selbst zahlen", erzählt Böhm. Im November 2019 zog der Orden die letzten drei Männer ab. Seitdem steht das Kloster leer - und keiner weiß, wie es weitergeht.

Bei den Behörden hüllt man sich in Schweigen, auf Nachfrage wird man von einer Stelle an die nächste verwiesen. Die Zuständigkeiten sind verworren: Eigentümer des Klosters ist der Freistaat, zuständig ist das Kultusministerium. Das gewährte dem Orden das Nutzungsrecht. Zum Januar 2020 gaben die Karmeliten dieses Nutzungsrecht an den Freistaat zurück. Nachwuchsprobleme, wie überall in der Kirche. Der Freistaat bot das Kloster dann dem Bistum München und Freising an.

Das verzichtete wegen der "beträchtlichen Kosten", die durch die notwendige Sanierung und einen Umbau entstehen würden. Das Bistum will nicht einmal die Klosterkirche übernehmen. Für die vorübergehende Nutzung ist nun das Staatliche Bauamt Rosenheim zuständig. Das hat auch entschieden, dass die Filmteams im Kloster drehen durften - obwohl laut Gutachtern bauliche Mängel bestehen. Wieso BR und ZDF reindurften, die Ortsvereine aber nicht, wollte das Bauamt auch nach mehrmaliger Nachfrage der SZ nicht beantworten.

Darüber, wie das Kloster längerfristig genutzt wird, entscheidet das Kultusministerium. Es gebe aber noch keine spruchreifen Pläne, heißt es dort. Involviert sind auch die Gebäudeverwalter der Immobilien Freistaat Bayern (IMBY). Hier prüfe man gerade, ob der Freistaat selbst Verwendung für das Kloster hat, wie ein Sprecher des Bauministeriums mitteilte.

Nach Abzug der Mönche: Das Refektorium steht ebenso leer wie alle anderen Räume des Klosters.

Das Refektorium steht ebenso leer wie alle anderen Räume des Klosters.

(Foto: Sarah Höger)

Mitreden darf auch die Kommune. Oberaudorfs Bürgermeister Matthias Bernhardt will das Kloster unbedingt für Bürger offen halten. Mit dem Bauamt in Rosenheim sei die Gemeinde im Gespräch, damit die Vereine schnellstmöglich wieder ins Kloster dürfen. "Ich sehe derzeit keinen Grund, der gegen eine Nutzung der Klosterräume für die Ortsvereine spricht", sagt Bernhardt nachdrücklich. Das Bauamt zieht aber nicht mit, von fehlendem Brandschutz im Gebäude ist die Rede, die Verkehrssicherheit sei nicht gegeben. Deshalb wurde einer weiteren Nutzung nicht zugestimmt. Die Sicherheitsbedenken scheinen im Fall der Dreharbeiten offenbar keine Rolle gespielt zu haben. "Menschenleben ist doch Menschenleben, oder nicht?", fragt sich Schmid.

Die Kirche ist einsturzgefährdet

Für Laien sieht das Kloster, erbaut in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, alles andere aus baufällig aus, abgesehen vom sanierungsbedürftigen Westteil. Die Schlafkammern im Hauptflügel wurden erst vor wenigen Jahren mit neuen Nasszellen ausgestattet, in der Küche glänzen die Oberflächen der neuen Industrieküchenausstattung. Highlight ist die Bibliothek: Rund 20000 Bücher verstauben hier in wandhohen Holzregalen. Die Bibliothek schließt unmittelbar an die Kirche an - und in der bestehe laut Gutachtern "erhebliche Einsturzgefahr". In die Kirche darf nicht mal mehr der Pfarrer.

Aktuell bereite das Bauamt eine Notsanierung des Kirchengewölbes vor, lässt die Sprecherin mitteilen. "Die Kirche ist der Knackpunkt an der ganzen Sache", sagt Bürgermeister Bernhardt. Die Gemeinde will das Kloster haben - aber ohne Kirche. "Eine Kirche zu sanieren und zu unterhalten übersteigt unsere Möglichkeiten." Man sei aber in "sehr guten" Gesprächen mit der Regierung und der Immobilienverwaltung, um eine Lösung zu finden.

Nach Abzug der Mönche: Die Bibliothek umfasst 20000 Bücher.

Die Bibliothek umfasst 20000 Bücher.

(Foto: Sarah Höger)

Im Ringen um die Zukunft des Klosters hat sich noch jemand eingeschaltet. Stefan Schirmer ist Elektroingenieur mit eigener Firma in Kiefersfelden. Dem Kloster sei er seit Jahrzehnten tief verbunden. Er möchte es kaufen, sanieren und dann für Gemeindebürger wieder öffnen. Außerdem solle ein Hospiz einziehen und eine Einrichtung für betreutes Wohnen. Als Seelsorger würden dann sogar die Patres wieder zurückkehren, mit ihnen sei er bereits im Gespräch. Seine Firma soll auch einen Teil des Klosters beziehen: Gerade bewirbt er sich um eine Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) für Wasserstofftechnologie. Geforscht werden soll - sofern er den Zuschlag bekommt - im Kloster.

"Die Sanierung des Klosters dürfte um die neun Millionen Euro kosten", schätzt er. Das könne er stemmen. Die Behörden wissen von Schirmers Plänen, seit Monaten bekomme er aber keine Antwort. Im Juni hat ihm das Bauamt mitgeteilt, dass die Klosteranlage zur Verwertung ausgeschrieben wird, sofern der Staat keinen eigenen Bedarf für das Gebäude hat - das übliche Prozedere bei Immobilien, für die der Freistaat keine eigene Verwendung hat. "Im Klartext heißt das: es wird an den Meistbietenden verkauft werden", sagt Schirmer. Er befürchtet, dass das Kloster dann an einen Käufer gehen könnte, der es ausschließlich privat nutzen will und die Bürger aussperren würde.

Gemeinsam hoffen die Niederaudorfer nun, dass das Gezerre um die Nutzung ein Ende hat. Sie wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Ganz im Sinne des Titels des Tatorts, der im Kloster gedreht wurde: "Wunder gibt es immer wieder."

Zur SZ-Startseite
Kochserie Teil 5

SZ PlusMuseum Indersdorf
:Rezepte, wie sie im Buche stehen

Pfarrer-Käpperl, Engelsaugen, Äpfel im Schlafrock: In der Schulküche der Barmherzigen Schwestern in Indersdorf lernten Frauen das Kochen. Ein Gericht ist im Ort heute immer noch sehr populär.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: