Prozess gegen Spitzenjuristen:Traunsteiner Justiz-Skandal

Lesezeit: 4 Min.

Der ehemalige Präsident des Landgerichts Traunstein (Mitte) sitzt als Angeklagter vor dem Amtsgericht im Münchner Strafjustizzentrum. (Foto: dpa)

Der frühere Präsident des Landgerichts in der oberbayerischen Kreisstadt soll seine Vorzimmer-Mitarbeiterin sexuell belästigt haben. Das Amtsgericht München hat ihn nun zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.

Von Matthias Köpf, München

Die Perspektive als Angeklagter mag ungewohnt sein, aber da lässt er sich nichts anmerken. Und die Szenerie dürfte ihm ja vertraut sein aus seiner langen Karriere in der bayerischen Justiz. Die begann 1987 bei der Staatsanwaltschaft im oberbayerischen Traunstein und führte über mehrere Stationen als Richter wieder dorthin zurück, wo er erst die Staatsanwaltschaft und seit 2019 als Präsident das Landgericht geleitet hat. Als solcher ist er im Oktober bei halbierten Bezügen vorläufig vom Dienst suspendiert und kurz danach auf eigenen Antrag mit 66 Jahren in den Ruhestand versetzt worden. Seine Arbeitstage im Gericht hatte er zuletzt offenbar gern und immer öfter mit seiner dazu gerufenen Vorzimmer-Mitarbeiterin und einem „Feierabendbier“ oder ein paar Gläsern Wein ausklingen lassen. Und seine ganze Karriere hat er dann im Prinzip schon im September 2021 damit beendet, dass er bei so einer Gelegenheit dieser Mitarbeiterin ein weiteres Mal und diesmal endgültig zu nahe gekommen ist. Und ihr statt der angekündigten nochmaligen Umarmung gegen ihren Willen einen Kuss auf den Mund gedrückt hat.

So sagt es die inzwischen 34 Jahre alte Frau jedenfalls als Zeugin und Nebenklägerin vor dem Amtsgericht in München aus. Sie muss das tun, weil der Angeklagte einem Strafbefehl des Amtsgerichts wegen sexueller Belästigung im April widersprochen hat.

Um den Verdacht der Befangenheit möglichst auszuschließen, war hier in München auch schon das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten geführt worden, nachdem das Präsidium des übergeordneten Oberlandesgerichts im Februar 2022 über eine justizinterne Beratungsstelle von dem Vorwurf erfahren hatte. Die Frau hatte sich zunächst ohne Nennung irgendwelcher Namen an die Stelle gewandt, aus ihrer Therapie in einer Klinik wegen ihrer Schlafstörungen, der Depressionen und des Alkoholentzugs heraus. Weil sie nach dem Vorfall nur noch weg versetzt werden wollte aus diesem Vorzimmer in Traunstein oder wenigstens so lange beurlaubt, bis „der Herr“ im Ruhestand ist.

Der Herr. Den einst so hoch angesehenen und jovialen Vorgesetzten einer ganzen Heerschar von Justizbediensteten, Richterinnen und Richtern nennt sie in ihrer Aussage nur „den Herrn“, mit maximaler Distanz. Im Saal auf ihrem Zeugenstuhl sitzt sie dabei vielleicht drei Meter von ihm entfernt, aber auch das ist schon viel mehr Abstand, als sie damals oft zwischen ihnen herstellen konnte, notfalls mit Hilfe irgendwelcher Aktenordner.

Jetzt vor Gericht ist sogar sie es, die sich entschuldigt – nämlich als sie den Angeklagten einen „älteren Herrn“ nennt. Angesichts seiner früheren Schmeicheleien, was für eine starke und schöne Frau sie doch sei, habe sie noch „gedacht, er will halt nett sein, ein netter älterer Herr“, berichtet sie von der monatelangen Vorgeschichte des Vorfalls.

Ob er sich danach bei ihr entschuldigt hat, als sie sich überwunden und ein Gespräch gesucht habe, das wisse sie nicht mehr ganz genau. Später über die Anwälte sei eine Entschuldigung als Möglichkeit im Raum gestanden, aber nicht ausgesprochen worden. Eine angebotene Entschädigung von 3000 Euro habe sie nicht akzeptiert, zumal die Summe nicht einmal die Kosten gedeckt hätte für den Heilpraktiker während der Wartezeit auf einen Therapieplatz.

Der Zeugin widersprechen und seine Sicht der Dinge schildern will der Angeklagte vor Gericht nicht. Aber auf seinem Recht, Zeuginnen zu befragen, besteht er schon, da können ihn seine beiden Verteidiger nur schwer bremsen. Die Fragen laufen darauf hinaus, wie der Fall öffentlich geworden ist und ob jemand im Justizbetrieb gegen ihn gearbeitet habe. An einem von seinen Verteidigern angeregten Rechtsgespräch darf er als Angeklagter nicht teilnehmen, obwohl so ein Versuch, sich im Richterzimmer unter Juristen auf ein schnelles Ende des Verfahrens zu einigen, doch ein schönes Thema wäre für einen Juraprofessor wie ihn.

Er spricht von verschleppten Ermittlungen und gravierenden Fehlern

Zu einer Einigung kommt es ohnehin nicht, also erzählt noch eine Richterin am Traunsteiner Landgericht als Zeugin, wie auch sie sich in zwei Situationen von ihrem damaligen Präsidenten, der auch über ihre Karriere entscheiden konnte, angemacht gefühlt habe – einmal verbal und einmal mit einer plötzlichen Umarmung, die sie als übergriffig und „eklig“ empfunden habe. Später habe ihr noch eine andere Frau aus dem Justizbetrieb von länger zurückliegenden Zudringlichkeiten erzählt und eine weitere von einem entsprechenden, aber abgewehrten Versuch.

Für den verhandelten Vorfall fordern die Vertreterinnen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 115 Euro, die Verteidiger sprechen wie der Angeklagte selbst von einem beschädigten Ruf durch die öffentliche Berichterstattung sowie von entgangenen Lehraufträgen und Einkünften. Zudem habe man sich ernsthaft, aber vergebens um einen Ausgleich bemüht. Vor allem aber seien in der Verhandlung Zweifel aufgekommen, ob der Angeklagte seine sich abwendende Mitarbeiterin tatsächlich auf den Mund oder nicht doch nur auf die Wange geküsst hat, was den erst fünf Jahre alten Tatbestand der sexuellen Belästigung nicht erfüllen würde. Für ihren Mandanten verlangen sie deswegen einen Freispruch.

Er selbst nutzt sein letztes Wort vor dem Urteil ausgiebig und spricht von verschleppten Ermittlungen und gravierenden Fehlern der Staatsanwaltschaft und einem Fall, der in der bayerischen Justizgeschichte einmalig sei. Unter anderem sei der Strafbefehl unversiegelt ins Traunsteiner Justizzentrum geschickt worden und sofort bei den Medien gelandet, weshalb er davon aus dem Radio erfahren habe. Es gebe „ein Komplott“ gegen ihn in der Justiz. „Es möchte mir jemand was Böses, ich sage jetzt nicht, wer, aber ich weiß es“, sagt der Angeklagte und lässt erkennen, dass er alles andere als einen Freispruch nicht akzeptieren wird.

Der junge Amtsrichter äußert für all das „wenig bis gar kein Verständnis“ und verurteilt den früheren Landgerichtspräsidenten zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. An der Spitze des Landgerichts Traunstein steht mit Anja Kesting seit April dieses Jahres die erste Frau.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRetter in der Not
:„Wir halten durch“

Seit Tagen kämpfen Zehntausende Feuerwehrleute gegen das Hochwasser in weiten Teilen Bayerns. Ihr oberster Vertreter Johann Eitzenberger spricht über einen Einsatz, wie es ihn zuvor noch nicht gegeben hat.

Interview von Matthias Köpf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: