Süddeutsche Zeitung

Prozess in Ingolstadt:Wie Todkranken das Geld aus der Tasche gezogen wurde

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Eine Heilpraktikerin und ein Unternehmer sollen Krebspatienten Heilung durch eine wirkungslose Proteinlösung versprochen und damit viel Geld gemacht haben.

Von Lisa Schnell, Ingolstadt

Das Handeln der Angeklagten zeuge von "erschreckender Skrupellosigkeit" und lasse die Existenz jeglicher Moral vermissen, sagt die Staatsanwältin am Mittwoch in ihrem Plädoyer vor dem Landgericht Ingolstadt. Auf verwerfliche Art und Weise hätten die Heilpraktikerin Renate G. und der Unternehmer Ulrich B. Todkranke betrogen und ihnen das Geld aus der Tasche gezogen. Sie hätten ihnen Heilung durch das Präparat BG-Mun versprochen, das aber nichts weiter sei als ein "Abfallprodukt", unwirksam und ohne Zulassung als Arzneimittel. Und zwar nicht, weil sie den Schwerkranken helfen wollten, sondern nur, um sich selbst zu bereichern: "Das ist wirklich Wahnsinn."

Die Staatsanwaltschaft wirft den zweien gewerbsmäßigen Betrug in 17 (Renate G.) und 18 (Ulrich B.) Fällen vor, einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und im Fall von Renate G., die sich fälschlicherweise als Professorin ausgegeben haben soll, Titelmissbrauch. Für den seit etwa drei Jahren in Untersuchungshaft sitzenden Ulrich B. fordert sie eine Haftstrafe von acht Jahren. Er sei der "Erfinder dieser Betrugsmasche". Doch auch die Schrobenhausener Heilpraktikerin, die 14 Monate in Untersuchungshaft saß, sei als "gleichberechtigte Partnerin" zu werten. Für sie sieht die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten vor. Um zu verhindern, dass B. und G. von ihrem mutmaßlichen Betrug profitieren, solle der Staat von B. knapp 244 000 Euro einziehen und von G. rund 43 000 Euro. Ginge es nach der Staatsanwaltschaft, müssten beide ins Gefängnis.

In ihrem gut dreistündigen Plädoyer fasste die Staatsanwältin die Leidensgeschichte von etwa 15 Patienten zusammen. Vor allem schwerkranke Krebspatienten saßen bei Renate G. in der Praxis. Manche von ihnen kamen euphorisiert nach Hause und schwärmten von dem Wundermittel BG-Mun. Es könne Krebs mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit heilen, es würde Metastasen zum Platzen bringen, Krebszellen zerfressen und verbrennen. So erzählten es G. und B. den Verzweifelten, einigen von ihnen rieten sie von der Chemo-Therapie ab, etliche verstarben. Dabei hätten die zwei laut Staatsanwaltschaft genau gewusst, dass BG-Mun keine heilende Wirkung habe.

Das Präparat besteht laut Sachverständigen aus Proteinen von Rind und Schwein. Schon 2015, als B. Kontakt zum Hersteller aufnahm, sei er darauf hingewiesen worden, dass BG-Mun nicht für den medizinischen Gebrauch zu verwenden sei. Spätestens 2017, als eine krebskranke Patientin trotz der Therapie mit BG-Mun starb, hätte diese Erkenntnis in den Augen der Staatsanwaltschaft auch G. ereilen müssen.

B. soll sich als Graf vorgestellt haben, G. als Professorin

Die zwei aber machten weiter und verkauften ihr Präparat, das B. für 45 Euro die Flasche einkaufte, für etwa 600 Euro pro Flasche. Wenn Metastasen auftauchten oder sich ein mit Diabetes erkranktes Mädchen nach der Einnahme übergeben musste, sagten sie, die Familie müsse nur mehr an die Therapie glauben oder kritisierten die Schulmedizin. Einmal soll B. einer Patientin gesagt haben, wenn sie BG-Mun nicht nehme, werde sie Magenkrebs bekommen. Ein andermal habe er behauptet, BG-Mun habe ihn nach einem Unfall geheilt und aus dem Rollstuhl gebracht. B. soll sich als Graf vorgestellt haben, G. als Professorin. Sie erzählten, das Präparat käme aus Russland, sei früher als Arzneimittel zugelassen gewesen, aber von der Pharmaindustrie zurückgenommen worden, weil es zu erfolgreich sei.

Von Reue, so die Staatsanwältin am Schluss ihres Plädoyers, gebe es keine Spur. Die Verhandlung wird fortgesetzt.

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