Justizpanne:Ungereimtheiten nach Flucht aus Coburger Gericht

Justizpanne: Am Rosenmontag war ein 47-jähriger Häftling aus einem Fenster des Landgerichts Coburg geflohen, konnte aber am darauffolgenden Tag festgenommen werden.

Am Rosenmontag war ein 47-jähriger Häftling aus einem Fenster des Landgerichts Coburg geflohen, konnte aber am darauffolgenden Tag festgenommen werden.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

War der zwischenzeitig entkommene Häftling ein "Verdachtsfall Islamist"? Sein Verteidiger zeigt sich "völlig überrascht" von entsprechenden Meldungen - die einschneidende Konsequenzen haben könnten.

Von Olaf Przybilla, Coburg

Die Meldung hat für Wirbel gesorgt. Laut BR und Nürnberger Nachrichten sei Behörden bekannt gewesen, dass der 47-Jährige, der vor anderthalb Wochen aus dem Landgericht Coburg geflüchtet war, als "Verdachtsfall Islamist" geführt wurde. Demnach sei er "schon in der Vergangenheit aufgefallen" und "intern als sicherheitsbedenklich eingestuft" worden.

Nach Angaben des Innenministeriums dürfte der - aus den Berichten nicht hervorgehende - Hintergrund offenbar ein Vorfall aus der JVA Kronach gewesen sein. Dort habe der 47-Jährige einmal geäußert, seine Religion sei das "einzige Gesetz", das "Gültigkeit für ihn" besitze. Daraufhin sei beim Landesamt für Verfassungsschutz nachgefragt worden, das über keine weiteren derartigen Vorfälle zu berichten wusste. In der Folge sei ein Sicherheitsvermerk auf niedrigster Stufe verfasst worden ("Verdacht Islamismus"), aus dem sich keine erhöhte Fluchtbereitschaft ergebe. Dies sei den Beamten, die auf den Häftling während der Verhandlung aufpassen sollten, mitgeteilt worden. Der 47-Jährige war am Rosenmontag aus einem Gerichtsfenster getürmt und nach einem Tag festgenommen worden. Wegen einer Sexualstraftat wurde er in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Christian Barthelmes, der Strafverteidiger des 47-Jährigen, zeigte sich "völlig überrascht" von den Meldungen. Zwar sei der Mann von Verwandten als "streng gläubig" bezeichnet worden. Aus ihm vorliegenden Akten sei aber über potenziellen Islamismus "nicht auch nur im Ansatz" etwas hervorgegangen. Der 47-Jährige war, nachdem Belastungszeugen ihre Aussagen zurückgezogen hatten, zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen worden. Spätestens da hätte Barthelmes Ansicht zufolge die Staatsanwaltschaft zum "Islamismus"-Argument - würde es zutreffen - gegriffen, um dies zu verhindern.

Dies sei aber nicht erfolgt. Der Verteidiger kritisiert nun, dass sich sein Mandant auf unklarer Grundlage einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt sehe. Es sei nicht auszuschließen, dass dies für dessen JVA-Verbleib "einschneidende Konsequenzen" zur Folge haben könnte.

Die Staatsanwaltschaft wollte sich zunächst erst am Donnerstag zu den Umständen äußern. Teilte aber dann doch mit, sie sei über die Einstufung "Verdacht Islamismus" informiert gewesen. Für die U-Haft sei aber allein der Tatvorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern entscheidend gewesen. Angesichts der Schwere der Tatvorwürfe sei man von einer erhöhten Fluchtbereitschaft ausgegangen.

Anwalt Barthelmes schildert die Fluchtszene auch anders, als es offizielle Stellen getan haben. Dem Anwalt zufolge hat er selbst um eine Pause gebeten. Der 47-Jährige, dem die Fußfesseln während der Verhandlung abgenommen wurden, sei währenddessen im Sitzungssaal geblieben. Eigentlich hätten ihm die Fesseln währenddessen wieder angelegt werden müssen. Der Angeklagte habe sich lediglich in "anderthalb Metern Entfernung" von einem der Saalausgänge aufgehalten. Die Beamten dagegen, die ihn bewachen sollten, seien "etwa zehn Meter entfernt" davon gewesen. Aus Sicht des Verteidigers ein "persönliches Versagen" der Beamten.

Nach Angaben des Landgerichts Coburg wusste dieses nichts über eine etwaige Gefährdungs-Einschätzung des 47-Jährigen. Dergleichen nehme die Polizei vor, Entsprechendes habe aber nicht vorgelegen. Nachdem der 47-Jährige aus einem Fenster flüchtete, denke man nun über "konkrete bauliche Veränderungen" nach.

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