Warum wird der Fall Peggy erneut verhandelt?
Im Jahr 2001 verschwand die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg. Drei Jahre später wurde der geistig zurückgebliebene Ulvi K. als ihr Mörder verurteilt. Nach Ansicht der Richter am Landgericht Hof spielte sich der Fall folgendermaßen ab: Ulvi K. soll das Mädchen nach der Schule abgepasst haben, um sich bei ihr dafür zu entschuldigen, dass er sie einige Tage zuvor sexuell missbraucht hatte. Als sie um Hilfe schrie, habe er ihr solange Mund und Nase zugehalten, bis sie tot war. Dann verständigte er seinen Vater, der die Leiche beseitigt haben soll. Allerdings konnte das tote Mädchen bis heute nicht gefunden werden. Nach dem Indizienprozess blieben Zweifel an der Schuld von Ulvi K. Das Urteil stützte sich vor allem auf sein Geständnis. Das hatte er bei der Polizei gemacht, allerdings gibt es davon nur ein Gedächtnisprotokoll. Im Prozess widerrief der Angeklagte den Mord, er habe Ruhe vor den dauernden Vernehmungen haben wollen. Den sexuellen Missbrauch bestritt er nicht. 2013 stellte der Anwalt Michael Euler einen Wiederaufnahmeantrag. 1200 Seiten plus 900 Seiten Aktenauszüge gab er beim Gericht ab. "Das Geständnis beruht allein auf der Zermürbungstaktik der Polizei", sagte er damals der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er hatte Erfolg: Das Landgericht Bayreuth ordnet im Dezember 2013 an, dass Ulvi K. einen neuen Prozess bekommt.
Wie begründet das Gericht die Wiederaufnahme?
Die rechtlichen Hürden für eine Wiederaufnahme sind hoch. Notwendig sind beispielsweise neue Tatsachen, um einen Freispruch des Angeklagten zu begründen. Das Landgericht Bayreuth stützt die Wiederaufnahme auf zwei Punkte: Zum einen habe sich ein inzwischen verstorbener Zeuge "einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage zu Ungunsten des Angeklagten schuldig gemacht". Der Mitpatient von Ulvi K. aus dem Bezirksklinikum Bayreuth hatte vor Gericht ausgesagt, dieser habe ihm den Mord gestanden. Bereits 2010 zog er seine Aussage zurück. Im Prozess spielte sie nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings könne nicht sicher ausgeschlossen werden, dass die Aussage auf die Urteilsfindung Einfluss hatte, erklärte das Gericht. Der zweite Grund ist die Tathergangshypothese. Der Gutachter Hans Ludwig Kröber hatte im Prozess erklärt, er halte das Geständnis unter anderem deshalb für glaubwürdig, weil Ulvi K. nicht so einen detailreichen Handlungsablauf habe erfinden können. Allerdings wusste er nicht, dass die Ermittler dem Angeklagten ein hypothetisches Tatszenario vorgelegt hatten, das dem späteren Geständnis sehr ähnlich war. Das Landgericht will nun von dem Gutachter wissen, ob er unter diesen Umständen zu einer neuen Einschätzung kommt. Nach Recherchen zweier Journalisten hält Kröber das Geständnis aber nach wie vor für glaubwürdig.
Wiederaufnahme im Fall Peggy:Staatsanwalt legt Mandat nieder
Kommende Woche beginnt die Wiederaufnahme im Fall Peggy. Überraschend hat jetzt die Staatsanwaltschaft Bayreuth den bisher zuständigen Kollegen von dem Fall entbunden. Zwei Journalisten erheben außerdem schwere Vorwürfe gegen den Vorsitzenden Richter.
Wie läuft der Prozess ab?
Am 10. April beginnt vor der Jugendkammer des Landgerichts Bayreuth die Verhandlung - Bayreuth ist zuständig für Wiederaufnahmeverfahren des Landgerichts Hof. Vorsitzender Richter ist Michael Eckstein. Gemeinsam mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen soll er den Fall neu aufrollen. Zwei Journalisten erhoben schon vor Prozessbeginn schwere Vorwürfe gegen Eckstein, das Gericht widersprach. Sandra Staade und Daniel Götz werden die Anklage vertreten. Der eigentlich zuständige Staatsanwalt war eine Woche vor der Wiederaufnahme abgelöst worden. Er hatte in einer Vernehmung den Wunsch eines Verdächtigen nach einem Verteidiger entgegen der Strafprozessordnung ignoriert. Peggys Mutter ist Nebenklägerin in dem Prozess. Insgesamt sind neun Verhandlungstage angesetzt. Am Donnerstag soll zunächst die alte Anklage erneut verlesen werden, dann kann sich Ulvi. K zu den Vorwürfen äußern. Außerdem sind an den ersten Verhandlungstagen Zeugen, die Peggy am Tag ihres Verschwindens noch gesehen haben wollen, geladen. Und einige Polizeibeamte, die in dem Fall ermittelt haben. Neben Gutachter Kröber wird auch der Münchner Psychiater Norbert Nedopil im Gerichtssaal sitzen. Er soll die Schuldfähigkeit des Angeklagten beurteilen.
In Lichtenberg haben viele nie geglaubt, dass er der Täter ist: Ulvi K., damals 23 Jahre alt, Sohn eines deutsch-türkischen Gastwirtspaares. Er hatte als Kind eine Hirnhautentzündung und ist auf dem Stand eines Zehnjährigen stehen geblieben, kann kaum lesen und schreiben, gilt im Ort aber als gutmütig. War er zu einem so perfekten Mord fähig? Eine Bürgerinitiative, in der sich auch Peggys Großeltern engagierten, kämpft seit Jahren um seine Rehabilitation. Nun gilt für Ulvi K. wieder die Unschuldsvermutung. Das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren soll Anfang Juni fallen. Doch egal wie der Prozess ausgeht, der Mann wird wohl im Bezirkskrankenhaus Bayreuth bleiben. Die lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes an Peggy hat er bis heute nicht angetreten. Das Landgericht Hof verfügte 2004 seine Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie wegen sexuellen Missbrauchs an Peggy und anderen Kindern. Erst wenn er soweit geheilt wäre, dass keine Wiederholungsgefahr mehr bestünde, müsste er die Haftstrafe antreten.
Fall Peggy:Chronologie eines rätselhaften Verbrechens
2001 verschwand die kleine Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule spurlos. Ein Fall mit immer neuen Wendungen, Ermittlungen und Hinweisen.
In welche Richtung ermittelt die Staatsanwaltschaft jetzt?
Unabhängig vom Wiederaufnahmeverfahren ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder im Fall Peggy. Dabei gehe es weniger darum, einen neuen Täter zu präsentieren. Man wolle sich auf die Suche nach der Leiche konzentrieren, erklärten die Ermittler. Zuletzt öffneten sie das Grab einer alten Frau auf dem Friedhof Lichtenberg, um dort nach Knochen von Peggy zu suchen. Vergeblich. Zuvor hatten sie bereits einen Hinterhof in Lichtenberg umgegraben. Als verdächtig gelten inzwischen drei Männer: Der Hausbesitzer, dessen Hinterhof umgegraben wurde - der Rentner saß wegen Kindemissbrauchs im Gefängnis. Er soll sich zwischen 1999 und 2003 an seinem Patenkind und seiner Enkeltochter vergangen haben. Die beiden waren im Alter von Peggy. Ein 29-jähriger Mann aus Halle hatte zudem eingeräumt, zwischen ihm und Peggy sei es vor ihrem Verschwinden zu Zärtlichkeiten gekommen. Einen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage gebe es aber nicht, sagt die Staatsanwaltschaft Bayreuth. Allerdings hatte der Mann gestanden, sich 2001 an seiner Nichte in Lichtenberg sexuell vergangen zu haben. Als verdächtig gilt außerdem sein Halbbruder, damals der Nachbar von Peggy. Sein Alibi hatte sich als nicht belastbar herausgestellt.
Wochenlang hatte die Polizei 2001 nach Peggy gesucht. Unterstützt wurde sie von Spürhunden, Tauchern, Feuerwehrleuten. Allerdings gibt es auch Menschen, die glauben, Peggy wurde gar nicht getötet. 4409 Spuren verfolgte die "Soko Peggy". Es gab Hinweise, dass das Mädchen in ein tschechisches Bordell entführt worden sei. Ein Mann hatte sich 2001 bei der Polizei gemeldet, weil er Peggy mit zwei Männern in einem Auto am Grenzübergang nach Cheb gesehen haben will. Auch ihr Stiefvater geriet damals ins Visier der Ermittler - es wurde untersucht, ob er Peggy in seine Heimat, die Türkei, verschleppt haben könnte. Zeugen behaupteten, das Mädchen 2003 auf einem Markt in der Türkei gesehen zu haben. Andere erkannten sie angeblich vor einem Blumenladen in Würzburg. Sarah K. will folgendem Anruf Wochen nach dem Verschwinden ihrer Freundin Peggy bekommen haben: "Sarah? Ich bin es Peggy. Mir geht es gut, aber ich weiß nicht, wo ich bin." Dann sei die Verbindung abgebrochen.