Landespolitik:Was Claudia Stamm mit ihrer neuen Partei vorhat

Landespolitik: Claudia Stamm war bei bei den Grünen. Jetzt gründet sie eine neue Partei, hier bei der Pressekonferenz mit Stephan Lessenich.

Claudia Stamm war bei bei den Grünen. Jetzt gründet sie eine neue Partei, hier bei der Pressekonferenz mit Stephan Lessenich.

(Foto: Robert Haas)
  • Die grüne Landtagsabgeordnete Claudia Stamm verlässt Partei und Fraktion. Stattdessen will sie eine neue Partei gründen.
  • Antreten will sie vorerst nur in Bayern. Bei der Landtagswahl 2018 wollen Stamm und ihre Mitstreiter auf fünf Prozent kommen.
  • Dabei wird sie auch mit den Grünen konkurrieren, die im Jahr 2013 8,6 Prozent erreichten.
  • Stamms Vorwürfe gegen die Grünen werden aus der Fraktion zurückgewiesen.

Von Lisa Schnell

Am Mittwochvormittag sind Claudia Stamm, Nikolaus Hoenning und Werner Gaßner erst ins Büro der Grünen in der Münchner Innenstadt gegangen. Dort haben sie ihre Austrittserklärungen abgegeben. Kurz danach sitzen sie im Ratskeller, dem Lokal unten im Münchner Rathaus, vor einer Runde von Journalisten und machen den Schritt öffentlich. Dass die Aufregung beträchtlich ist an diesem Tag, liegt natürlich vor allem an der Person Claudia Stamm - und daran, dass sie gleich auch noch ankündigt, mit einigen Mitstreitern eine neue Partei zu gründen. Eine, die hohe Ideale hat und die diesen Idealen auch gerecht werden soll. Anders als es die Grünen tun, zumindest nach Stamms Ansicht.

Seit 2009 sitzt Claudia Stamm für die Grünen im bayerischen Landtag. Aufmerksamkeit war ihr von Anfang an gewiss. Nicht nur, weil Landtagspräsidentin Barbara Stamm von der Regierungspartei CSU ihre Mutter ist (die den Austritt ihrer Tochter übrigens nicht öffentlich kommentieren will). Claudia Stamm, die zuletzt als Sprecherin für Haushaltspolitik, Jugend und Gleichstellung ihrer Fraktion fungierte, war immer eine Politikerin, die Öffentlichkeit gesucht hat - oft auch im Konflikt mit der eigenen Partei.

Stamm sah sich als Stimme der Basis, die für die ursprünglichen Werte der Grünen kämpft. Beim Parteitag 2015 hatte sie mit ihrem Antrag, Albanien, Kosovo und Montenegro nicht zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, die Partei in der Flüchtlingspolitik gespalten.

Nun will sie ihren eigenen Weg gehen. Die Grünen sind ihr auf Bundes- wie auf Landesebene zu "schwammig" geworden, erzählt sie, als sie ihren Austritt begründet. Auf Parteitagen gebe es Beschlüsse etwa zur Erbschaftssteuer oder dem Asylrecht, und dann werde in den Parlamenten doch anders abgestimmt. Dass die frühere Friedenspartei der Grünen für eine Bundeswehrmission in Syrien eintrete, sei "der Wahnsinn". Sie findet, dass die Grünen inzwischen eine größere Bandbreite an Positionen hätten als die CSU.

Sie habe schon länger mit sich gerungen, sagt Stamm. Der Tropfen, der für sie das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei die letzte Sitzung der grünen Landtagsfraktion gewesen, sagt Stamm. Wieder sei dort diskutiert worden, Positionen aufzuweichen, um "smarter dazustehen".

Nun will sie also eine neue Partei gründen. Das Ganze steht noch sehr am Anfang. Ein Logo gibt es nicht, auch kein genaues Programm. "Einstweilen sind wir die Partei ohne Namen", sagt Mitgründer Stephan Lessenich, ein Soziologie-Professor von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Aber immerhin gibt es schon ein Motto: "Zeit zu handeln". Das kann vieles heißen - oder auch nichts.

Ein paar grobe Eckpunkte nennen Stamm und ihre Mitstreiter dann auch. Als oberste Bedingungen stehe über allem "Demokratie, Basisnähe und Menschenrechte", sagt Stamm. Demokratie und Menschenrechte seien nur zu verwirklichen in einer Gesellschaft, die von sozialer Gerechtigkeit geprägt sei, sagt die Juristin und Flüchtlingshelferin Sabine Richly. Dazu gehörten gleiche Bildungschancen für alle und eine Wohnungsmarktpolitik, die nicht die Schwächeren gegeneinander ausspiele.

Die Zukunftsaufgabe Nummer eins sei die ökologische Transformation, ergänzt Lessenich. Die Politik im Freistaat sei konsequent darin, nicht nachhaltig zu sein. Das habe globale Konsequenzen, etwa bei den Fluchtursachen. Das Motto müsse sein: global denken, lokal handeln.

Wie die Grünen auf den Austritt reagieren

Landespolitik: Neue Partei in Planung: Claudia Stamm (zweite von links) und ihre Mitstreiter Stephan Lessenich, Sabine Richly und Werner Gaßner (von links nach rechts)

Neue Partei in Planung: Claudia Stamm (zweite von links) und ihre Mitstreiter Stephan Lessenich, Sabine Richly und Werner Gaßner (von links nach rechts)

(Foto: Robert Haas)

Auch auf der gesellschaftlichen Vielfalt soll ein Schwerpunkt liegen. Es gehe nicht um Gleichmacherei, sondern um den Abbau von Ungleichheiten etwa bei der sexuellen Identität, sagt der Queerpolitiker Gaßner. Er findet es "enttäuschend", dass die Parteispitze der Grünen sich nicht klar für die Ehe für alle positioniere. Sie hätten wirklich gekämpft in der Partei, aber es bringe nichts.

"Wir brauchen eine Politik, die Mitgefühl statt Angst vermittelt", kündigt er an. Das habe in Bayern eigentlich gut funktioniert. Unzählige Ehrenamtliche hätten die Flüchtlinge mit bayerischer Herzlichkeit empfangen, die Politik aber höhle das Grundrecht auf Asyl massiv aus, sagt Stamm. "Hier wollen wir ganz klar dagegen halten."

Die genauen Inhalte des Parteiprogramms sollen durch Regionalversammlungen in ganz Bayern erarbeitet werden. Die erste findet am 7. Mai in Nürnberg statt, es folgen weitere etwa in Regensburg, Passau, Augsburg und München. Spätestens nach der Sommerpause soll die Basis Inhalte erarbeitet haben, auch einen Namen für die neue Partei will Stamm dann nennen können.

Unterstützung erhoffen sich Stamm und ihre Mitstreiter nicht nur von unzufriedenen Grünen-Wählern. Auch für viele konservative Wähler sei die CSU aufgrund ihrer Asylpolitik nicht mehr wählbar, sagte Stamm. Die Unzufriedenheit sei nicht mehr in links und rechts einzuordnen, sie gehe quer durch die Gesellschaft. Vor allem unter Ehrenamtlichen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, sei sie weit verbreitet.

Antreten soll die Partei vorerst nur in Bayern. Ziel ist, bei der nächsten Landtagswahl fünf Prozent zu erreichen. Ein ehrgeiziger Plan. Die lang etablierten Grünen kamen 2013 auf 8,6 Prozent.

Das reichte für 18 Sitze im Landtag. Künftig wird die Fraktion nur noch 17 Mitglieder haben. Stamm behält ihr Mandat als Fraktionslose.

Stamms Austritt und die angekündigte Neugründung einer eigenen Partei traf die Grünen unvorbereitet. "In der Fraktion hat sich dieser Schritt nicht angedeutet", erklärt die Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze am Mittwoch bei einem eigens einberufenen Pressegespräch kurz nach Stamms Auftritt. Die Fraktion bedauere den Austritt, respektiere ihn aber natürlich.

Dass Stamm ihr Landtagsmandat behalten möchte, findet Schulze nicht gut. Die Wähler hätten 18 grüne Abgeordnete gewählt. Da Stamm keine grüne Politik mehr vertrete, "halten wir es für geboten, dass sie auch ihr Mandat zurückgibt", sagte Schulze.

Den Vorwurf der politischen Beliebigkeit weist sie zurück. "Unsere politischen Linien sind klar", sagt Schulze. Die Grünen seien die erste Adresse, wenn es um den Schutz von Geflüchteten gehe, sie stünden in engem Kontakt mit Helferkreisen und verteidigten die Weltoffenheit der Gesellschaft auch auf Demos. Stamm hatte unter anderem kritisiert, dass bei den Protesten gegen die Abschiebungen nach Afghanistan nur sehr wenige Grüne anwesend gewesen sein sollen.

Die letzte Fraktionssitzung, die Stamm letztendlich zu ihrem Austritt veranlasst haben soll, sei ganz normal abgelaufen, sagt Schulze. Sie selbst war zu dieser Zeit auf einer Auslandsreise, ihr sei aber kein Streit bekannt. "Wir diskutieren viel und gern und umfassend", sagte sie. Thema waren unter anderem der neue Nationalpark für Bayern, die geplante Wahlreform und die zweite Stammstrecke in München.

Hier soll auch darüber gesprochen worden sein, wie die Grünen damit umgehen, wenn nun am 5. April der Spatenstich für die ihnen abgelehnte Stammstrecke ansteht. Ein bloßes "Wir sind dagegen" würde da nicht mehr reichen, soll diskutiert worden sein. Trotzdem sei die Sitzung keine besondere gewesen, heißt es aus der Fraktion. Er sei auch manchmal unzufrieden, aber deshalb trete er nicht gleich aus, sagt ein Fraktionsmitglied.

Stamm galt schon seit langem als isoliert in der Fraktion. Sie habe den Anspruch gehabt, in der Partei aufzusteigen und einmal Fraktionsvorsitzende zu werden. Doch erst kürzlich wurde Schulze mit 15 von 18 Stimmen in diese Funktion gewählt. Wer solche Ansprüche habe wie Stamm, müsse auch irgendwann die Konsequenzen ziehen, sagt einer aus der Fraktion. Das hat Stamm nun getan. So viel steht fest.

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