Landespolitik:Das Kopierwerk der CSU

Sitzung bayerischer Landtag

Im Maximilianeum hat die CSU das Sagen, was aber nicht heißt, dass nur die Staatsregierung Eingebungen erhält. Oft werden Anträge von SPD, Freien Wählern und Grünen leicht geändert als eigene Initiativen verkauft.

(Foto: dpa)

Bildung, Putenhaltung, Donau-Ausbau, Asylrichter - die Mehrheit im Landtag bedient sich immer wieder gerne bei Ideen der Opposition.

Von Lisa Schnell und Wolfgang Wittl

Haushaltsdebatte im Landtag, kurz vor Weihnachten. CSU und Opposition tauschen wie üblich Vorwürfe aus: Nichts als Jammerer auf der Oppositionsbank, sagen die einen; nur Schönmaler auf der Regierungsbank, behaupten die anderen. Dann tritt Bernhard Pohl (Freie Wähler) ans Rednerpult und äußert plötzlich eine ganz andere Art von Kritik: Die CSU werde die Vorschläge seiner Fraktion doch eh bald wieder als ihre eigenen einreichen, sagt er. Auch Reinhold Strobl (SPD) kennt das Phänomen offenbar. Er rätselt: Welche Noten es wohl fürs Abschreiben gibt?

In der Schule wäre es eine glatte Sechs. Im Landtag indes kann der Vorwurf, sich mit fremden Federn zu schmücken, allenfalls mit einem Murren und einer geharnischten Pressemitteilung geahndet werden. Die haben SPD, Grüne und Freie Wähler schon oft verschickt. Immer wieder sitzen ihre Abgeordneten verwundert über CSU-Anträgen und lesen - leicht abgeändert - ihre eigenen Worte, nun allerdings mit einem CSU-Briefkopf versehen. "Kindisch und nicht gerade souverän" sei das, findet Katharina Schulze von den Grünen. SPD und Freie Wähler sehen es genauso. Beispiele? Die gebe es zuhauf.

Etwa der Antrag der Grünen zum Bodensee. Fischer klagen, es gäbe keine Fische mehr, weil der Phosphatanteil im Wasser zu gering sei. Das könnte geändert werden, indem gereinigtes Abwasser direkt unter der Wasseroberfläche in den See eingespeist würde, lautet der Vorschlag der Grünen an die Staatsregierung, eingereicht am 22. März 2016. Die CSU lehnt ihn mit ihrer Landtagsmehrheit ab. Vier Monate später finden CSU-Abgeordnete den Vorschlag dann doch ganz gut. Die Staatsregierung solle sich dafür einsetzen, dass er auf der Internationalen Bodenseekonferenz untersucht wird, fordern sie.

Oder die Sache mit der Gentechnik. Am 5. Februar 2015 fordern die Grünen die Staatsregierung auf, sich für eine Kennzeichnung von Lebensmitteln einzusetzen, bei denen gentechnisch veränderte Futtermittel verwendet wurden. Keine gute Idee, meint die CSU. Antrag abgelehnt. Einen Monat später dann der CSU-Entwurf: Die Staatsregierung solle aufzeigen, wie dem Verbraucher transparent gemacht werden könne, ob Lebensmittel von Tieren stammen, die gentechnisch verändertes Futter bekamen. Ganz wunderbare Idee, finden die CSU-Abgeordneten diesmal. Antrag angenommen.

Die Liste der Grünen ist lang. Ob Blindengeldgesetz, niedrige Gehälter von Kulturvolontären, Putenhaltung, Erhöhung der Ökoprämie oder Online-Strafanzeige: Oft übernehme die CSU nur Teile der grünen Vorschläge oder schwäche sie ab, manchmal seien die Inhalte aber fast identisch. Man liefere ja nicht gute Ideen, damit sie andere dann als ihre eigenen verkauften, sagt Schulze. Die CSU solle doch einfach zustimmen, so wie es die Grünen auch bei CSU-Anträgen machen würden. Schulze tröstet sich damit, dass ihre Partei bei wichtigen Themen offenbar die Nase vorne habe: "Wir sind immer einen Schritt voraus und die CSU hechelt hinterher."

Ach ja, die CSU. Hubert Aiwanger hielte es für einen "Segen für Bayern, wenn sie ihre parteitaktischen Spielchen aufgeben würde, erst alle guten Vorschläge der anderen abzulehnen und dann mit großem Zeitverlust selbst einzubringen". Auch seine Freien Wähler hätten leidvolle Erfahrungen gesammelt, klagt Aiwanger: "Schnelles Internet, neunjähriges Gymnasium, mehr Asylrichter - viele vorausschauende Vorschläge von uns wurden um Jahre verschleppt." Daher wünsche er sich eine Staatsregierung, "die souverän und erwachsen genug ist, über Parteigrenzen hinweg besser zusammenzuarbeiten".

Die Freien Wähler nennen es "Antrags-Plagiat"

Bis der Wunsch in Erfüllung geht, werden sich die Freien Wähler noch manches Mal ärgern dürfen. Zum Beispiel, wenn sie, wie sie sagen, einen Antrag wie zur Förderung des Bayerischen Amateurtheaterverbandes auf Bitte der CSU sogar zweimal zurückstellen, um "zum Dank" plötzlich von einem ähnlich formulierten Antrag der Christsozialen "überholt" zu werden. Dass sie am Ende trotzdem dem CSU-Werk zustimmten? "Was blieb uns übrig, wir wollten ja etwas für die Theaterlandschaft in Bayern tun." Ein weiteres "Antrags-Plagiat", wie es die Freien Wähler nennen: Am 18. März 2014 legten sie ein Konzept gegen das "Wirtshaussterben" vor. Die CSU senkte den Daumen, hob ihn aber sechs Wochen später bei ihrem eigenen Vorschlag zur "Erhaltung von Dorfwirtschaften".

Auch bei der SPD wundert man sich von Zeit zu Zeit, wie nah die CSU bisweilen an den eigenen Positionen ist. Am 14. Dezember 2015 forderte die SPD die Staatsregierung auf, sich an dem Hamburger Modellprojekt "Schulbus" für Suchtprävention zu orientieren und an fünf Standorten in Bayern Daten zur Suchtmittelgewohnheit von Jugendlichen zu erheben. Für "eine eigene Schulbus-Untersuchung an fünf Standorten" plädiert ein halbes Jahr später dann auch die Staatsregierung. Der Unterschied: Der CSU-Antrag wird angenommen, der SPD-Antrag nicht. Einen ähnlichen Sinneswandel beobachtete die SPD-Landtagsfraktion, als es um die Milchkrise ging. Im Juni 2015 machte sie Vorschläge gegen den Preisverfall auf dem Milchmarkt: Der Interventionspreis, ab dem die EU den Bauern Milch abkauft, solle erhöht werden, ein Konzept müsse her, um die Liquidität der Betriebe zu sichern. "Wirksame Liquiditätshilfen" heißt es bei der CSU dann nicht mal einen Monat später. Sie wirbt für eine "angemessene Anhebung" des Interventionspreises.

SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher könnte noch mehr erzählen: Kinderbetreuung, Studiengebühren, Büchergeld, sanfter Donau-Ausbau. Alles Beschlüsse, bei denen sich die CSU an der SPD orientiert habe. Eine "Meisterin im Abschreiben" sei die CSU, tue aber so, als würde sie das Rad ständig neu erfinden, sagt Rinderspacher. Die Opposition dagegen arbeite oft "für den Papierkorb". Und doch ist er überzeugt, etwas zu bewegen - und sei es die CSU in die eigene Richtung. "Sonst könnten wir ja wirklich jeden Tag zum Psychiater gehen." Rinderspacher setzt darauf, dass die "Arroganz der Macht" bei der CSU mit dem Verlust der absoluten Mehrheit ein Ende haben werde. "Eine Periode der Demut" erhofft er sich dann, mit "mehr Kooperation, mehr Konsens". Ein Politikstil, wie die SPD ihn längst betreibe.

Oft stelle die Opposition Schaufensteranträge, kritisiert die CSU

Zum Stil der CSU gehöre es, sich intensiv mit allen Vorschlägen der Opposition zu beschäftigen, sagt Fraktionsgeschäftsführer Josef Zellmeier. Doch auch wenn die CSU einzelne Passagen für sinnvoll erachte, bedeute das nicht, dass sie dem ganzen Antrag zustimme. Es komme stets auf den Einzelfall, die Details und den Zungenschlag der Anträge an. Man müsse "nicht nur die Zielrichtung, sondern auch die konkrete Formulierung mittragen" können.

Weiterer Kritikpunkt der CSU: Oft stelle die Opposition nur sogenannte Schaufensteranträge. Als Beispiel nennt Zellmeier "nicht finanzierbare Forderungen wie die Kommunalmilliarde der Freien Wähler". Allein in dieser Legislatur summierten sich die Wünsche der Opposition nach Berechnungen der CSU bereits auf gut 15 Milliarden Euro. Manchmal würden auch Anträge gestellt, wie bei der SPD gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum, deren politische Lösung längst angekündigt oder bereits in der Umsetzung sei. Oder es änderten sich einfach nur die politischen Rahmenbedingungen, sagt Zellmeier. Dann stimme die CSU auch Anträgen zu, die man vorher noch abgelehnt habe.

Eines sagen CSU und Opposition aber auch: Die Mehrzahl der Anträge werde immer noch gemeinsam verabschiedet. Und der Rest? Den entscheidet die CSU dann eben allein.

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