Landesentwicklung:283 Seiten für faire Lebensbedingungen in Bayern

Traktoren werden in Deggendorf ausgestellt

Stadt und Land im Einklang, nicht nur wenn Traktoren am Deggendorfer Stadtplatz ausgestellt werden, das sollte die Regel sein.

(Foto: Martin Siepmann/mauritius)
  • Die Enquetekommission für gleichwertige Lebensbedingungen hat im bayerischen Landtag nach mehr als drei Jahren ihre Empfehlungen vorgelegt.
  • Das Mobilfunknetz soll ausgebaut und der ÖPNV gestärkt werden. Das ist nicht neu - doch selbst darüber gab es Streit.

Von Christian Sebald

Wer Berthold Rüth sprechen will, der ruft ihn am besten auf dem Handy an. Rüth, 59 und CSU-Landtagsabgeordneter, ist ein ausgesprochen rühriger Parlamentarier. Wann immer es geht, eilt er in seinem unterfränkischen Stimmkreis Miltenberg von Termin zu Termin. Am Handy ist Rüth jedoch gut erreichbar, außer wenn er wieder einmal mit dem Auto in ein Funkloch rauscht. Dann wird das Gespräch abrupt unterbrochen.

Die Funklöcher auf dem Land sind ein tägliches Ärgernis für alle, die dort leben und arbeiten. Rüth will sie jetzt schnellstens beseitigen. Denn Rüth ist auch Vorsitzender der Enquetekommission "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern". An diesem Dienstag präsentiert die Kommission ihren Abschlussbericht. Eine zentrale Forderung darin lautet: "Aufbau eines flächendeckenden Mobilnetzes im 5-G-Standard."

Gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Bayern gehören seit jeher zum Markenkern einer jeden Staatsregierung und aller Landtagsfraktionen. Seit 2013 hat das Ziel sogar Verfassungsrang. Knapp 90 Prozent der Wähler stimmten in einer Volksabstimmung parallel zur damaligen Landtagswahl dafür, den Passus in der bayerischen Verfassung zu verankern, dass der Staat "gleichwertige Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnisse in ganz Bayern, in Stadt und Land, fördert und sichert".

Damit dieses Ziel nicht nur ein hehrer Satz bleibt, hat der Landtag 2014 die Enquetekommission eingesetzt. Ihr gehören 13 Abgeordnete von CSU, SPD, Freien Wählern und Grünen an, außerdem acht externe Experten, der Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, Holger Magel zum Beispiel, und Manfred Miosga, der an der Universität Bayreuth Stadt- und Regionalentwicklung lehrt. Auch namhafte Vertreter der Wirtschaft wie Walter Keilbart von der Industrie- und Handelskammer Niederbayern wurden in das Gremium berufen, das seit Oktober 2014 in insgesamt 34 Sitzungen tagte. Das Ziel der Kommission: den hehren Verfassungssatz mit Leben zu füllen.

Nun ist er da, der 283 Seiten starke Bericht der Kommission. Schon wegen seines Umfangs ist das Papier eher schwere Kost. Das ist es aber nicht alleine. Die ersten 50 Seiten sind sehr akademisch. Sie sollen eine Art theoretisches Gerüst für die Messung und Bewertung der Lebensbedingungen in Bayern liefern, gleich ob es um die wirtschaftsstarken Ballungsräume wie München geht oder strukturschwache Gebiete in Oberfranken und der nördlichen Oberpfalz. Dabei sind die gravierenden Unterschiede doch zumeist mit Händen zu greifen. Bei den Pro-Kopf-Einkommen etwa: Die Oberbayern können etwa 4000 Euro mehr im Jahr ausgeben als die Niederbayern und die Oberpfälzer. Zwar stammt die Zahl von 2015. Aber an der Diskrepanz selbst dürfte sich seither nicht viel geändert haben.

Politisch interessant sind die Handlungsempfehlungen. Mit knapp 160 Seiten nehmen sie den weitaus größten Teil des Berichts ein. Allerdings hat auch die Kommission das Rad nicht neu erfinden können. Zumal alle Empfehlungen mit dem Geld zu tun haben, das der Freistaat willens ist, für ihre Umsetzung auszugeben.

Kurz vor Weihnachten stand die Harmonie plötzlich in Frage

Im Zentrum stehen also Erhalt und Ausbau der Infrastruktur - des Schienen- und Straßenverkehrs genauso wie des ÖPNV oder der digitalen Netze -, der flächendeckende Zugang zu Bildung und Betreuung für Kinder und Jugendliche, die Verbesserung der medizinischen Versorgung und der Pflegeleistungen für Kranke und Senioren und natürlich immer wieder die Frage, wie man Jobs in strukturschwache Regionen bringen oder zumindest die dort noch vorhandenen halten kann. Es geht auch um die kommunalen Finanzen, die Chancen, die der Tourismus bietet, die Energiewende, eine bessere Bürgerbeteiligung in Genehmigungsverfahren und anderes mehr.

In diesem Dickicht an Ideen und Empfehlungen hat sich die Enquetekommission denn auch zuletzt verhakt. CSU, SPD, Freie Wähler und Grüne hatten gleich zum Auftakt ihrer Arbeitssitzungen entschieden, ihre politischen Alltagsdifferenzen in der Kommission zurückzustellen. Die Kommission sollte über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsame Konzepte erarbeiten, die in einen gemeinsamen Abschlussbericht münden sollten, den alle Parteien mittragen. Kurz vor Weihnachten stand die Harmonie plötzlich in Frage.

Die CSU kündigte den bisherigen Konsens auf und wollte eine ganze Reihe der zuvor einstimmig beschlossenen Empfehlungen streichen. Beim Ausbau des Mobilfunknetzes etwa sollte der 5-G-Standard wegfallen - obwohl Experten sagen, dass der schon bald technischer Standard sein wird. Oder bei den kommunalen Finanzen. Da hatte sich die Kommission auf die Forderung geeinigt, dass der Freistaat den Städten und Gemeinden mehr Geld aus seinen Steuereinnahmen überweisen soll. Oder beim öffentlichen Nahverkehr. Da wollte die Kommission, dass den Landkreisen künftig die Fahrtzeiten und der Mindesttakt der Busse vorgegeben werden. Bisher handelt es sich nur um Empfehlungen.

Der Ärger war groß, in den letzten Sitzungen soll es sehr turbulent zugegangen sein. Um den gemeinsamen Abschlussbericht nicht zu gefährden, einigte sich die Kommission letztlich darauf, bei umstrittenen Forderungen die Formulierung "Teile der Enquetekommission empfehlen" einzuführen. So zum Beispiel bei der Erhöhung der Zahlungen des Freistaats an die Kommunen oder den Vorgaben für Fahrzeiten und Takt im öffentlichen Nahverkehr. Die CSU wiederum verzichtete auf eine Reihe von Streichungen. So ist "der Ausbau eines flächendeckenden Mobilnetzes im 5-G-Standard" nun doch wieder in den Abschlussbericht hineingekommen.

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