KZ-Außenlager Kaufering:Wenn Opfer wieder einen Namen bekommen

KZ-Außenlager Kaufering: So sahen die Bunker aus, in denen unzählige Häftlinge des KZ-Außenlagers Kaufering für die Kriegsmaschinerie der Nationalsozialisten arbeiten mussten. Viele verloren dabei ihr Leben.

So sahen die Bunker aus, in denen unzählige Häftlinge des KZ-Außenlagers Kaufering für die Kriegsmaschinerie der Nationalsozialisten arbeiten mussten. Viele verloren dabei ihr Leben.

(Foto: Bundeswehr)

Unter mörderischen Bedingungen wurde das KZ-Außenlager Kaufering hochgezogen, eine bis heute unbekannte Zahl an Menschen kam ums Leben. Lange Zeit waren die Schrecken des Ortes beinahe in Vergessenheit geraten. Nun fand die Gedenkfeier zur Erinnerung an die NS-Opfer erstmals in einem KZ-Außenlager statt.

Von Dietrich Mittler

Mit einer zentralen Gedenkfeier im Bunkerbau der Welfenkaserne in Landsberg hat der Bayerische Landtag am Freitag der Opfer des Nationalsozialismus erstmals an einem der historischen Tatorte gedacht. Allein beim Bau dieser gigantischen Anlage aus Stahl und Beton, die zwischen Juni 1944 und April 1945 von Häftlingen des Dachauer Außenlagers Kaufering unter mörderischen Bedingungen hochgezogen wurde, sind eine bis heute unbekannte Zahl an Menschen ums Leben gekommen.

"Das Grauen übersteigt unsere Vorstellungskraft", sagte die Landtagspräsidentin Barbara Stamm in ihrer Gedenkrede - tief betroffen von den Schicksalen, die sich an diesem Ort abgespielt haben.

"Zwölf Stunden schwerste körperliche Arbeit, bei Minustemperaturen oder bei Gluthitze", so beschreibt Stamm den Alltag der Zwangsarbeiter im Lagerkomplex Kaufering, die Hitlers Plan umzusetzen hatten, gigantische zum Teil unterirdische Rüstungsfabriken zu bauen, in denen - geschützt vor den alliierten Luftangriffen - modernste Jagdflugzeuge entstehen sollten. Der Außenlagerkomplex Kaufering war 1944 allein zu diesem Zweck eingerichtet worden.

Nach früheren Recherchen waren mindestens 14.500 Häftlinge - oder weit mehr - umgekommen. Neuere Forschungsergebnisse des Stabsoffiziers Gerhard Roletscheck gehen davon aus, dass die Opferzahl bei nahezu 7000 liegt.

Aber das Leben und die Gesundheit der eingesetzten jüdischen KZ-Häftlinge spielte für die NS-Machthaber keine Rolle. Wer durch Krankheit, Misshandlung, kräftezehrende Arbeit oder unvorstellbar schlechte hygienische Verhältnisse starb, wurde eben als Abgang verbucht. Wer schwer erkrankte, den schickte die SS auf Transport in eine der zahlreichen Vernichtungsstätten, um sie zu vergasen. Doch wer überlebte, dem blieb die Erinnerung an eine Hölle.

Landtagspräsidentin Barbara Stamm nannte nur einige Beispiele aus dem unmenschlichen Lagerleben: Zu essen habe es für die Geschundenen lediglich eine Wasser-Suppe gegeben - und eine Scheibe Brot, gestreckt mit Sägemehl. Es blieb auf der Gedenkfeier den Überlebenden von Kaufering vorbehalten, das Grauen zu schildern, das bis heute auf ihrer Seele liegt. Der heute in Israel lebende Litauer Abba Naor - einer der ehemaligen jüdischen KZ-Häftlinge - gehört zu jenen, die immer wieder an den Ort des Schreckens zurückkehren. Bei der Gedenkfeier las er aus dem Buch seines Freundes und Leidensgefährten Solly Ganor vor, der selbst krankheitsbedingt nicht kommen konnte.

Die Textstelle, die Naor mit fester Stimme vortrug, ließ den Teilnehmern der Gedenkfeier trotz Heizung und ausgereichter Decken die Kälte in die Glieder steigen. Solly Ganor beschreibt darin, was er mit eigenen Augen sah - den Tod von mehreren KZ-Häftlingen, deren Aufgabe es war, flüssigen Beton zwischen die Stahlgerüste zu schütten: "Plötzlich hörten wir von oben markerschütterndes Geschrei.

Die Männer, die den großen Schlauch bedienten, hatten den Halt verloren, sodass das Rohr herrenlos umherschwenkte und Beton nach allen Seiten spuckte. Verzweifelt versuchten die Männer, es wieder zu packen, doch es schlug wild hin und zurück und peitschte mehrere der Männer vom Gerüst. Einer nach dem anderen fielen sie auf das Stahlgewebe, und ihre Schreie hallten noch nach, während sich Flüssigbeton aus dem Schlauch über sie ergoss."

"Auch ein Tag der Hoffnung"

Insgesamt zwölf Menschen sind allein in diesem Bunker in der Welfenkaserne einbetoniert, der heute von der Luftwaffe genutzt wird. Seit Ende der 1980er Jahre bereits finden dank des Einsatzes von Gerhard Roletscheck in der Kaserne Gedenkfeiern statt. Er habe einfach gewollt, dass die Opfer wieder einen Namen, ein Gesicht bekommen, schildert Roletscheck seine auch von den Vorgesetzten unterstützte Erinnerungsarbeit. Landtagspräsidentin Stamm dankte deshalb der Bundeswehr ausdrücklich, es sei vor allem ihr Verdienst, "dass dieser bedrückende Ort zum Sprechen gebracht wurde".

Dass die zentrale Gedenkfeier zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus erstmals in einem KZ-Außenlager stattfand, war die Idee des Landtagsabgeordneten Karl Freller (CSU), der als Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten die Gedenkfeier mit ausrichtete. "Die Außenlager sind sehr lange Zeit in Vergessenheit geraten", sagte Freller. Und das sei "da und dort" auch so gewollt gewesen. Für die grauenhaften Verbrechen, die sich in solchen Außenlagern abgespielt hätten, stehe der Lagerkomplex Kaufering - selbst aufgeteilt in insgesamt elf zum Teil weit auseinanderliegende Lager, in denen die Häftlingskommandos untergebracht waren. Im Gedenken an die etwa 21.000 jüdischen Häftlinge von Kaufering sagte Freller, sie seien "schlechter als Vieh gehalten und zur Zwangsarbeit getrieben worden."

Der israelische Generalkonsul Tibor Shalev-Schlosser erklärte in seinem Grußwort, er verstehe Gedenktage an die Opfer des Nationalsozialismus nicht nur als "ein Tag der Trauer und Erinnerung". "Für mich ist es auch ein Tag der Hoffnung", sagte er in Anspielung auf den 27. Januar 1945, an dem das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit worden war. "An diesem Tag", sagte Shalev-Schlosser, "wurde die Todesindustrie der Nationalsozialisten zu Ende gebracht." Häftlinge, die bis heute als Zeugen der Menschheit erzählen könnten, was sich zugetragen hat, weckten die Hoffnung, "dass so etwas nie wieder passiert".

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern, mahnte alle Demokraten, wachsam gegenüber den Gefahren rechtsextremer Umtriebe zu sein.

Von der bayerischen Staatsregierung war lediglich Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) gekommen. Zeil ist zwar stellvertretender Ministerpräsident. "Aber an einem solchen Tag hätte Ministerpräsident Horst Seehofer anwesend sein müssen", sagte eine Teilnehmerin. Der Termin der Gedenkfeier war langfristig extra um drei Tage vorverlegt worden, um möglichst vielen Politikern die Teilnahme zu ermöglichen.

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