Kunstprojekt mit Flüchtlingen:Eine Stimme für die Übersehenen

Kunstprojekt mit Flüchtlingen: "Ich habe viele Geschenke erhalten": Niklas Hoffmann hat viele Flüchtlinge stundenlang gefilmt und dabei erstaunlich offene Geschichten erfahren.

"Ich habe viele Geschenke erhalten": Niklas Hoffmann hat viele Flüchtlinge stundenlang gefilmt und dabei erstaunlich offene Geschichten erfahren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Filmstudent Niklas Hoffmann nimmt nicht kommentarlos hin, wie hierzulande mit Schutzsuchenden umgegangen wird. Sein Flüchtlingsprojekt "Invisible" soll aufrütteln - und ist ein Dokument der Zeitgeschichte.

Von Bernd Kastner

Es ist, als lägen sie vor einem im Bett. Man kennt ihre Gesichter vom Sommer, vom Rindermarkt, als Dutzende Flüchtlinge im Hunger- und Durststreik waren, ganz Deutschland hat im Fernsehen auf ihr Camp aus Zelten und Planen geschaut. Und jetzt sind da sechs Betten, und von jedem Bett aus erzählt einer.

Sie reden durcheinander, die Männer und Frauen aus Nigeria und dem Kongo, aus Pakistan und Äthiopien, man muss sich konzentrieren, um sie zu verstehen, wenn sie von den Essenspaketen sprechen oder von ihrer Unterkunft irgendwo auf dem Land. Oder davon, was sie in der Heimat erlebt haben. Die Narben im Gesicht sind zu erkennen, die auf der Seele aber bleiben unsichtbar.

Niklas Hoffmann lässt die sechs Flüchtlinge reden. Sie tun nur so, als lägen sie vor einem in den Stockbetten, in Wahrheit inszeniert Hoffmann in seinem Atelier Medienkunst. Kunst mit politischem Impetus. Der Drehbuch-Student an der Hochschule für Fernsehen und Film präsentiert ein ungewöhnliches Projekt an ungewöhnlichem Ort.

Er hat zwei Räume aus Sperrholz und Latten nachgebaut, wie man sie auch in einem der unzähligen Flüchtlingsheime finden könnte: Plastikstühle, Blechspinde, drei Betten jeweils, auf jedem Bett ein Kopfkissen, und auf diese projiziert Hoffmann die Gesichter von sechs Flüchtlingen, die er auch im Bett gefilmt hat. Dass sie liegen, ist auch symbolhaft zu verstehen, denn die Gesetze zwingen sie über Monate zum Nichtstun. "Ich habe viele Geschenke erhalten", sagt er. Geschenke in Form von Geschichten aus dem Leben von Schutzsuchenden. Nicht schön, aber echt.

Zu sehen ist die Installation in einem Atelier, das ein Jahr lang auch der Lebensraum von Niklas Hoffmann war: Das Gebäude, das versteckt an der Bavariastraße neben den Bahngleisen liegt, vergibt die vom verstorbenen Filmhändler Leo Kirch gegründete Kirch Stiftung, deren Filmstipendium Hoffmann gewonnen hat. Ein Jahr kostenfrei wohnen bedeutete das, im ehemaligen Gebäude einer Licht- und Tonfirma, in einem riesigen, luftigen Raum.

Die Stipendiums-Jury war schon begeistert von Hoffmanns Projektidee, doch dann wurde alles noch interessanter, ja dramatischer. Wer hätte vor einem Jahr schon geahnt, dass München einen Sommer des Protests erlebt? Niklas Hoffmann war fast immer dabei: Auf dem Rindermarkt im Juni hat er ohne Unterlass gefilmt, morgens, nachts.

Später haben sich in seinem Atelier die Flüchtlinge getroffen, haben diskutiert und weitere Aktionen beschlossen. Dann hat Hoffmann sich einem der Protestmärsche angeschlossen, ist mit von Bayreuth nach München gelaufen, zwei Wochen lang, immer die Kamera in der Hand. In all diesen Tagen hat er viele "Non-Citizens", wie sie sich selbst nennen, kennengelernt, Menschen, die für die meisten Bürger hierzulande unsichtbar sind. "Invisible" hat Hoffmann deshalb seine Installation genannt, in der er den Übersehenen eine Stimme gibt.

"Ich will Fragen aufwerfen"

Niklas Hoffmann, aufgewachsen in Karlsruhe, ist trotz seiner 26 Jahre irgendwie ein Student vom alten Schlag. Ein leiser, bescheidener Lockenkopf, der mit seiner Arbeit bewegen will, Menschen und Politik. Der es nicht kommentarlos hinnimmt, wie hierzulande mit Schutzsuchenden umgegangen wird. "Ich will Fragen aufwerfen", sagt Hoffmann. Zum Beispiel, warum immer nur dann alle reden und viel versprechen, wenn Spektakuläres passiert, sei es ein Hungerstreik in München oder ein gesunkenes Flüchtlingsschiff im Mittelmeer? Warum die Versprechungen ganz schnell wieder vergessen sind? Warum so viele Bürger so viel Angst haben vor den "Non-Citizens"?

Hoffmanns Installation, bei deren Aufbau ihm seine Kommilitonin und Freundin Rebecca Meining viel geholfen hat (das betont er immer wieder, weil er den Erfolg teilen will), ist nur wenige Tage zu sehen. Danach, so ist der Plan, soll alles auf den Sperrmüll, wenn sich nicht noch jemand findet, der sie dauerhaft bewahrt. Es wäre zu wünschen, denn die Porträts in diesem Ambiente sind Dokumente der Zeitgeschichte.

Bleiben werden auf jeden Fall die unzähligen Stunden Filmmaterial, das er und Mitstudenten gedreht haben. Daraus wollen sie Dokumentarfilme machen - vom Rindermarkt gibt es schon eine 75 Minuten lange Rohfassung - und sie auf Festivals schicken. Und wer weiß, vielleicht traut sich ein Fernsehsender, diese Filme zu zeigen, obwohl, oder weil sie Partei ergreifen für die Schwächsten, für die Unsichtbaren.

Invisible. Zu sehen bis Donnerstag, 28. November, 18 bis 23 Uhr. Finissage am Freitag, 29. November, 19 Uhr; Bavariastraße 6a

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