Ein halbes Jahrhundert ist es nun schon her, dass im Zuge der Gebietsreform aus den Altlandkreisen Pfarrkirchen und Eggenfelden ein kräftiger neuer Distrikt erwachsen ist. Am 1. Juli 1972 trat der frisch geschaffene Landkreis Rottal in die Geschichte ein. Zehn Monate später folgte eine leichte Namenskorrektur, fortan sprach man vom Landkreis Rottal-Inn, der sich seitdem, wie nun eine Ausstellung in Eggenfelden zeigt, gerade in Sachen Kunst zu einer Vorzeigeregion gemausert hat.
Der traditionell bäuerlich geprägte Landstrich im südlichen Niederbayern mit seiner blühenden Pferdezucht wurde damals zum Sehnsuchtsland für Aussteiger, Künstler und Landkommunarden. Nachdem die Olympischen Spiele 1972 München in ein teures Pflaster verwandelt hatten und das Leben dort für viele Künstler unbezahlbar wurde, suchten sich viele ein Domizil auf dem Land. Gerade im Rottal mit seinen Streulagen und vielen Einzelgehöften entstanden nun Landkommunen und Künstlerhäuser. "Viele Aussteiger sind in den 70er- und 80er-Jahren hierher gezogen, weil die Häuser und Höfe billig waren", sagt der Künstler Fritz Dumanski, dessen Vater in den 70er-Jahren selber einen Hof im Rottal erworben hatte, auf dem jetzt der Sohn mit seiner Familie lebt.
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"Im Rottal bot sich eine gute Möglichkeit, ein autonomes und autarkes Leben zu führen, ein Ideal, das ja gerade Künstlern viel bedeutet", sagt Dumanski. Manche ließen sich freilich von falschen Erwartungen leiten. Ohne Ahnung von Ackerbau und Viehzucht zogen junge Leute von Schwabing nach Niederbayern, um in einer Kommune so unabhängig, einfach und ökologisch wie möglich zu leben. Das Experiment endete nicht immer glücklich. Weil oft ein Stück Land zum erworbenen Sachl dazugehörte, dachten manche, sie könnten sich nebenher mit Gemüseanbau selber versorgen. Bald wurde deutlich, dass sie diese Aufgabe nicht bewältigen konnten. "Dafür verstanden sie zu wenig von der Landwirtschaft", sagt Dumanski. Zu den wenigen, die sich helfen konnten, zählte sein Vater Johannes Dumanski, der sich ins Rottal zurückgezogen hatte, um hier als Künstler eine fast autonome Lebensweise zu pflegen.
Der Künstlerkolonie fiel es schwer, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen
Dumanski konnte tatsächlich hinlangen, denn er war auf einem Bauernhof in Ostpreußen aufgewachsen und musste dort schon als Bub hart arbeiten. Nach dem Krieg verschlug es ihn nach Bayern, wo der sensible junge Mann schon früh mit der Industrialisierung der Landwirtschaft haderte. "Er wollte anders leben", sagt sein Sohn. Die neue Rottaler Künstlerkolonie nahm aber auch rasch zur Kenntnis, dass es schwierig war, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen und sich in einem Umfeld zu integrieren, das von Feuerwehr, Kirche und CSU dominiert war und neuen Lebensentwürfen nicht immer sehr tolerant begegnete. In dieser Diaspora fanden Künstler und Landkommunen dann langsam zusammen. Es mehrten sich die Ausstellungen in Hofgalerien. Manche wanderten auch wieder ab in die städtische Galerieszene. Wer aber fleißig war, konnte mithilfe von Nebenerwerb und mit kleinen Zusatzverdiensten das Sachl in Schuss bringen und ein traumhaftes Atelier unterhalten.
Was bislang fehlte, war ein Überblick, was die Kunstszene im Rottal in den vergangenen 50 Jahren an Schätzen alles hervorgebracht hat. Drei Ausstellungen sollen dieses Manko aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Landkreises beseitigen. Den Anfang macht gerade die Ausstellung "50 Jahre Kunst im Landkreis" im Gotischen Kasten in Eggenfelden, der sich, großzügig umgebaut, in ein wahres Kleinod verwandelt hat. "Der Landkreis ist sich seiner spannenden Kunsttradition bewusst geworden", sagt dessen rühriger Kulturbeauftragter Ludger Drost. Die Schau entführt die Besucher auf eine spannende Reise zu bekannten, zu Unrecht vergessenen und manchmal neu zu entdeckenden Kunstwelten.
Was das Thema dieser Ausstellung für Drost so spannend macht: "Damals", so sagt er, "sind auch sehr namhafte und zum Teil schon international profilierte Künstler hierher gekommen." Manche davon, wie Rudolf Huber-Wilkoff, sind bis heute aktiv, manche sind schon gestorben. Viele Künstler verfolgten auch politische Ziele. Carlo Schellemann (1924-2010) beispielsweise, der als Kommunist besonders auch in der DDR gefeiert wurde. Die eine oder andere schräge Geschichte könnte man sich gar nicht ausdenken. Drost verweist etwa auf Walter Zehringer (1940-2020), der bereits sehr erfolgreich war, als er ins Rottal kam, und sogar schon Werke an das Museum of Modern Art in New York verkauft hatte. 1975 ließ er die Kunst Kunst sein und arbeitete aus Überzeugung fortan in der Lackiererei von BMW.
Der schon erwähnte Johannes Dumanski (1919-1990) gab seinerseits die bei Toni Stadler erlernte klassische Bildhauerei auf, widmete sich der Landwirtschaft und entwarf sehr individuelle Häuser und Einrichtungen in einer Art "frühökologischem" Bewusstsein. In Deutschland eher unbekannt, in Amerika hochberühmt ist die Keramikkünstlerin Elsbeth Woody, von der drei wunderbare Zeichnungen ausgestellt sind. Daneben sind viele bekannte Größen zu sehen, aber eher von ihrer unbekannten Seite: Ben Muthofer, Jürgen Reipka, Joseph Michael Neustifter, Josef Karl Nerud, Hans Reiffenstuel, Fritz Hörauf und Hans Wimmer.
"50 Jahre Kunst im Landkreis Rottal-Inn, Die 70er". Gotischer Kasten in Eggenfelden, Do-So 14-18 Uhr; bis 30. Juni. Im September folgen in Simbach und in Pfarrkirchen zwei weitere Ausstellungen zu den 80er-/90er-Jahren sowie zur zeitgenössischen Kunst seit 2000.