Kunst oder Müll?:Greislichs Trumm

Kunst oder Müll?: "Affencooles Ding", sagt der Chef eines jungen Kulturvereins zum Cocobello-Objekt. Die Jugend in Viechtach beklagt ohnehin, dass dort nicht viel los sei.

"Affencooles Ding", sagt der Chef eines jungen Kulturvereins zum Cocobello-Objekt. Die Jugend in Viechtach beklagt ohnehin, dass dort nicht viel los sei.

(Foto: Zappelbu.de)

Das "Cocobello" von Peter Haimerl spaltete Viechtach

Von Johann Osel, Viechtach

Ein knallroter Container, obendrauf ein sechs Meter breites Glasatelier - der Architekt Peter Haimerl hat den mobilen Kreativraum "Cocobello" konzipiert, vor mehr als zehn Jahren war das der deutsche Beitrag zur Architektur-Biennale Rotterdam, seitdem war die Anlage europaweit unterwegs, Berlin, Wien, Budapest. Und bis Donnerstag: Viechtach im Bayerischen Wald. Da stand das Container-Modul gut ein Jahr am Stadtplatz vor einer riesigen Baubrache. Richtig warm scheinen viele Viechtacher nie damit geworden zu sein. "Kunst oder Müll? Am Cocobello scheiden sich die Geister", schrieb mal der örtliche Bayerwald-Bote und merkte an, das Projekt sei nicht von allen Bürgern und auch Stadträten "als Bereicherung" empfunden worden. Auf Facebook erklingt zum Abschied der Jubel - im negativen Sinne: "Endlich" sei des "greisliche Trumm" weg, liest man dutzendfach, ein "Schandfleck" war das, "Zeit wird's". Einer empfiehlt frech: "Am besten wäre es, das Ding mit der Flex vor Ort zamzuschneiden, da würd' man beim Alteisenhändler vielleicht noch a paar Euro kriegen." Haimerl, der in Viechtach geboren ist und sein Büro in München hat, sagt dagegen: Sein Cocobello habe "fantastisch funktioniert".

Zwei Sichtweisen. Aber der Reihe nach. Mobile Ateliers können, so die Idee des Architekten, "an urbanen Brennpunkten andocken, aber auch in Randzonen aufgestellt werden oder städtisches Brachland zwischennutzen". Sie stünden für "kreative Prozesse" und könnten "konzeptionelle Kraft entfalten", Netzwerke bilden, Debatten entfachen. Konzeptionelle Kraft, in Viechtach ist die gut zu gebrauchen: Mitten im Zentrum liegt eine Brache von fast 20 000 Quadratmetern, ein altes Gebäudeensemble war 2014 abgerissen worden und hinterließ, mit denkmalgeschützten Ausnahmen, die Lücke. Der Stadtplatz selbst steht unter Ensembleschutz. Seitdem ist da: ein Loch im Herzen der Stadt, es tat sich nicht viel. Als Fläche, um stadtplanerische Ideen auszustellen, unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes, hatte sich Haimerl die Anlage vorgestellt. Der preisgekrönte Architekt rettet in seiner Heimat nicht nur alte Häuser vor dem Abriss und will Baukultur erhalten, sondern er will Impulse setzen für die Aufwertung des Bayerischen Waldes. Von ihm stammt etwa auch das aufsehenerregende Konzerthaus in Blaibach im Landkreis Cham. Ein paar Leute mit Facebook-Tiraden, sagt er, gebe es erstens immer; zweitens aber habe er eben gewollt, dass geredet wird, dass sich die Leute informieren, Gedanken machen. Die Mission sei "absolut erfüllt" worden, "als Emotionsverstärker".

Tatsächlich tut sich in Viechtach mittlerweile etwas: Auf dem Areal plant ein Investor eine Mischnutzung aus Gewerbe und Wohnungen. Zudem soll ins Zentrum ein Campus der Technischen Hochschule Deggendorf kommen. Die Zusage dafür hatte Ministerpräsident Horst Seehofer bei einem Besuch im Frühjahr dabei, auch ihm war die Lücke aufgefallen. Noch offen ist die Finanzierung, in den nächsten Wochen soll es Fortschritte geben, ob und wie das Ansinnen klappt. Auf jeden Fall wird die verschuldete Stadt wohl investieren müssen. Der Deggendorfer Hochschulpräsident Peter Sperber sprach am Montag im Stadtrat vom geplanten Konzept des "atmenden Campus": Kein Studentenstädtchen soll Viechtach werden, stets sollen jedoch ein paar Dutzend Leute hier in Laboren und Büros forschen. Es könnte vorangehen. Die Cocobello-Anlage habe "irgendwie schon mit dazu beigetragen", heißt es etwas verhalten in der Stadtverwaltung.

Der Container zieht jetzt übrigens weiter nach Waldmünchen bei Cham. Patrick Loibl wird das Atelier vermissen. Er steht dem jungen Kulturverein "Zappelbu.de" vor, der im Cocobello ein vorübergehendes Café bezog, Partys und Veranstaltungen wie einen Poetry-Slam abhielt. "Ein affencooles Ding", sagt er. "Wir sind ja ständig auf der Suche nach Örtlichkeiten. So etwas Außergewöhnliches zu bekommen, war ein Glück." Es gebe in der Stadt kaum noch Bars, die junge Leute besuchen könnten. Die Aufregung vieler Viechtacher über den "angeblichen Schandfleck" kann er nicht verstehen, die Brache sei der größere Schandfleck. "Viele denken halt einfach konservativ über moderne Sachen." Von den alteingesessenen Viechtachern interessiere sich eh keiner für die Jugendlichen, schreibt auch eine junge Frau auf Facebook. Endlich habe die Stadt mal was zu bieten gehabt für junge Leute - noch dazu etwas, was sonst keiner habe. Sie wette, "dass de ganzn Leid, wo über den Glaskasten gschimpft ham, kein einziges Mal drinnen waren". Name dieser Facebookgruppe: "Ist Viechtach schon tot?"

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