Freie Kunstszene Nürnberg:Das Ende der Kult-Ateliers

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"Auf AEG" wie es zuletzt genutzt wurde: Knapp 90 Kreative designten, malten und bauten auf dem Gelände im Westen Nürnbergs, auf dem früher mal Waschmaschinen hergestellt wurden.

(Foto: Clara Lipkowski)

Nach dem Aus "auf AEG" in Nürnberg muss sich die freie Kunstszene in der ohnehin von Kultur-Rückschlägen geprägten Stadt neu sortieren. Manche bangen um ihre Existenz, andere tun neue Räume für sich auf.

Von Clara Lipkowski, Nürnberg

Im Sommer ging alles ganz schnell. Die letzten Künstlerinnen und Künstler "auf AEG" hatten die Schlüssel übergeben, vor dem großen Gebäuderiegel im Westen Nürnbergs rollten Abrissbagger an. Wo sonst etwa 90 Kreative designt, gemalt und gebaut hatten, wurde alles eingezäunt, Container für den Schutt wurden herbei gefahren und die Kult-Ateliers "auf AEG" waren Geschichte. Egal, wen man aus Kunst oder Politik in Nürnberg seither darauf anspricht, ständig ist die Rede vom Aus eines "Traumareals" der Kunst.

In Nürnberg herrscht ohnehin großer Mangel an Ateliers - und nun das: Auf einen Schlag fielen Arbeitsräume für rund 90 Leute weg, ausgerechnet, wo Nürnbergs Kulturszene sowieso mit Rückschlägen kämpft. Nach der verlorenen Bewerbung als Kulturhauptstadt, der Stardirigentin, die ihren Vertrag nicht verlängert hat, heftigen Diskussionen um die Oper-Interimsstätte und das fehlende Konzerthaus. Da weist das Ende von "auf AEG" einmal mehr darauf hin: Besonders gut scheint es um die Strukturen für Kunstschaffende in Nürnberg nicht zu stehen.

Linda Männel

Malerin Linda Männel hat eine neue Bleibe gefunden - in einem Gebäude in der Nürnberger Tillystraße, das sie jetzt "Tillystudios" nennen.

(Foto: Clara Lipkowski)

Linda Männel, 38, war davon direkt betroffen. Seit ihrem Abschluss an der Nürnberger Kunstakademie hat sie sich als Malerin in der Stadt etabliert. Sie war früh "auf AEG" eingezogen, 2009, damals sei im ersten Stock noch AEG abgewickelt worden, sagt sie. Sie sah die letzten Mitarbeitenden ausziehen, einst wurden "auf AEG" Waschmaschinen hergestellt. Und dann, nach zwölf Jahren war im Sommer auch für Männel Schluss. Sie stand vor der großen Frage: Wie geht es weiter?

Gut vier Monate später führt sie in einen hellen Raum ein paar Kilometer südlicher von "auf AEG". An der Wand hängt ihr "in between days", Sonne und Wasser aus Tusche, übersponnen mit Garn. Je nachdem, wie das Licht fällt, ändern sich die Farben. Das Garn liegt sortiert in einem Schrank. Wüsste man es nicht besser, man könnte meinen, Männel arbeite hier seit Jahren. Aber "ganz ehrlich", sagt sie, "wenn ich nicht gemusst hätte, hätte ich auf die ganze Arbeit im letzten halben Jahr sehr gerne verzichtet". Ein halbes Jahr lang hat sie kein Bild mehr gemalt. Sie hatte anderes zu tun.

Etliche Immobilien hat sie besichtigt, für Einzel- und Gemeinschaftsateliers, teils ohne WC, ohne Heizung, ohne fließend Wasser, teils "absurd teuer", wie sie sagt. So ging es ihr und den anderen von AEG. Schließlich fand sie mit Künstlerinnen und Künstlern ein Haus an der Tillystraße, sie nennen es heute "Tillystudios". Es ist ungefähr genauso ansehnlich wie "auf AEG", aber sie zahlen sechs Euro pro Quadratmeter - warm, mit Internet und Versicherung, ein "Deal auf Augenhöhe", sagt Männel. Die großen Flure seien nur zum Teil berechnet, riesige, dunkle Lagerräume gar nicht. Sie gründeten einen Verein, denn an einzelne, freischaffende Kreative, wer will da schon vermieten. Jetzt mietet und vermietet der Verein das ganze Gebäude. Seither, sagt Männel, kenne sie sich, kenne sich der Vorstand mit den kleinsten Feinheiten von Brandschutzverordnungen aus. Das Haus sei längst ausgebucht, sie könnten bei Weitem nicht die Nachfrage nach Räumen stillen.

"Auf AEG", das waren etwa 90 irrsinnig günstige Ateliers (zuerst 3,50 Euro warm pro Quadratmeter, später vier). Zwar baufällig, und schön waren die Linoleumböden auch nicht. Aber die Kreativen hatten sich ein Kollektiv geschaffen, es wurde viel gearbeitet, zu jährlichen Atelierschauen kamen zuverlässig Tausend Leute, es wurde Szeneort, aber blieb etwas versteckt, im Sommer wurde gegrillt - und allen war klar: So etwas gibt es sonst kaum in Deutschland. In einigen Jahren soll hier ein neues Stadtviertel entstehen und Teile der Technischen Universität.

Ausstellung auf AEG

"Auf AEG" wurde Kunst gemacht - und gezeigt: Öffentliche Ateliertage waren Chance für die Kunstschaffenden gesehen zu werden und Werke zu verkaufen. Auch Linda Männel stellte ihr "in between days" in den ehemaligen Werkshallen aus.

(Foto: Linda Männel/oh)

In den "Tillystudios" arbeiten jetzt knapp 50 der 90 Künstlerinnen und Künstler - ein kleines "AEG". Der Bildhauer Christian Rösner bangte bis vor Kurzem, aber hat nun ein eigenes Atelier gekauft, weil das letztlich günstiger sei, sagt er. In historischen Straßenbahndepots will er künftig auch ausstellen. Die Kreativen suchen sich ihre Wege. Problem gelöst also?

"Wenn wir alle verstreut sind, kommt keiner mehr", sagt der Video-Performancekünstler René Radomsky mit Blick auf die AEG-Ausstellungen, die eine Chance waren, gesehen zu werden. Das Theater Zwo Sieben, eines der ältesten freien Theater in Nürnberg, kämpft noch. Untergekommen zum Proben ist es für die laufende Produktion bei einem anderen Theater, danach werde man "pausieren, um sich über die Zukunft klar zu werden", sagt Künstler Jakob Jokisch. Einnahmen und Förderungen reichen nicht für Mietpreise von mehr als ein paar Euro pro Quadratmeter. Man bemühe sich um ein Probenzentrum mit anderen Kreativen, sagt Jokisch. Zwo Sieben wolle unbedingt bleiben. Für ihn selbst stelle sich aber immer wieder die Frage, ob Nürnberg noch der geeignete Ort für ihn sei, sagt Jokisch.

Wien, Leipzig, Berlin - das sind Städtenamen, die als leuchtende Orte freier Szenen immer wieder fallen. Radomsky, der viel Kunst mit Videos macht, kam auch in die Tillystudios, arbeitet an den nächsten Ausstellungen und ist "sehr erleichtert", dass er etwas gefunden hat. Doch die wirklich spannenden Galerien in Nürnberg seien überschaubar, sagt er. Wegzugehen sei ein Gedanke. Die junge Kunst werde von der Stadt toleriert, aber als nicht so wichtig empfunden.

Nach dem Aus auf AEG

Die "Tillystudios" liegen etwas weiter südlich, sind aber ähnlich ansehnlich wie "auf AEG" - nur war hier früher die Quelle AG ansässig.

(Foto: Clara Lipkowski)

Dieser Vorwurf steht immer wieder im Raum: Dass Nürnberg zu wenig Struktur biete, um anzudocken. In den knapp 15 Jahren, in denen klar war, dass "auf AEG" einmal enden würde, hätte die Stadt Ausweichorte auftun können, habe das aber verschlafen, heißt es. Stattdessen habe sie lieber Prestigeobjekte gefördert, das Deutsche Museum oder die Kulturhauptstadt-Bewerbung.

Die Kulturbürgermeisterin Julia Lehner hält dagegen: "Kein städtischer Haushalt, nirgends, wird jemals das Geld aufbringen können, um einfach Ateliers selbst zu kaufen und zu vermieten", sagt sie. Die Stadt habe reagiert: Scouts des städtischen Projekts "Raumkompass" seien Leerstand abgelaufen, hätten Gebäude Kreativen vorgeschlagen, bei Verträgen beraten, Kontakte vermittelt. Nicht nur, aber auch bei den Tillystudios, wobei Lehner Wert darauf legt, dass sie sich da rausgehalten habe. Ihrem Mann, dem Immobilienunternehmer Gerd Schmelzer, gehört das Gebäude. Es sei alles sauber gelaufen, soll das bedeuten, zeigt aber auch, wie verwoben die Netze in Nürnberg sind. Ihm gehört auch das Gebäude, in dem nun das prestigeträchtige Deutsche Museum residiert.

Auch wenn jetzt einige Kreative untergekommen sind, auch an der Kunstakademie beobachtet man den Mangel an Ateliers. Während der Ausbildung können Studierende Uni-Ateliers nutzen, danach aber, spüle die Akademie sie auf den Markt, sagt eine Mitarbeiterin. Da sind sie sich selbst überlassen - in Konkurrenz mit denen, die sowieso schon suchen.

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