Süddeutsche Zeitung

Kultusministerium:Piazolo will kein Machtwort sprechen

Ob es um die Debatte zu "Fridays for Future" oder um die Aufregung um das Mathe-Abi geht: Ganz anders als seine CSU-Vorgänger, hält sich Kultusminister Michael Piazolo zurück.

Von Anna Günther und Lisa Schnell

Es ist die Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung in dieser Woche: Auf der einen Seite sitzt der Ministerpräsident. Markus Söder sagt ein paar Worte, dann merkt er: Das Mikrofon ist aus. Er schaltet es ein und fängt von vorne an. Kein Wort darf verloren gehen. Und dann, wie aus einer anderen Welt: Kultusminister Michael Piazolo. Mikro aus? Na und, geht auch so. Er will sich kurz fassen. Dass man ihn kaum versteht, stört Piazolo, 59, offenbar nicht. Da beugt sich Markus Söder vor und macht seinem Minister das Mikro an.

Der neue Kultusminister von den Freien Wählern ist nicht von überbordendem Geltungsdrang getrieben. Das kann man gerade bei der Diskussion um das Mathe-Abitur beobachten. Das halbe Land ist in Aufregung ob der vermeintlich zu schweren Prüfung. Nur der Minister ist die Ruhe selbst. "Wir prüfen sorgsam", viel mehr sagt er nicht dazu. Bei seinem Amtsantritt vor einem halben Jahr waren viele froh über diese Gelassenheit. Das Gerangel um G 8 und G 9 schuf lange genug Unruhe an den Schulen. Ein unaufgeregter Minister schien gerade recht zu kommen. Mittlerweile aber fragen sich manche: Geht es nicht doch eine Spur deutlicher?

Etwa wenn es um die klimabewegten Schüler geht, die freitags nicht in die Schule, sondern auf die Straße gehen. Die Demonstrationen hören nicht auf und auch nicht die Diskussion. Und was sagt der Kultusminister? Macht, was ihr wollt! Er überlässt es den Schulleitern, Schwänzer zu disziplinieren. Das Ergebnis kann man Vielfalt nennen oder Chaos: Manche lassen die Kinder nacharbeiten, andere erklären Demos zu Projekttagen oder drohen mit Geldstrafen. Was wiegt mehr: die Schulpflicht oder das neu erwachte politische Engagement der Jugend?

Piazolo hält zwar an der Schulpflicht fest, lobt aber auch das politische Interesse der Schüler. Er will sich nicht einmischen. Muss er auch nicht, es stehe schließlich alles im Gesetz, sagt er. Viele Direktoren schätzen die Freiheit, hätten sich aber dennoch eine klare Vorgabe gewünscht, so wie sie es von CSU-Ministern wie Ludwig Spaenle gewohnt waren. Andere Schulleiter warfen Piazolo gar vor, er tauche ab.

Ein CSU-Minister hätte sicher anders reagiert, sagt ein Kabinettsmitglied. Wenn sich die Sache nicht verläuft, müsse Piazolo sich festlegen: "Da steht ihm noch was bevor." Piazolo aber will kein Machtwort sprechen. Er lehnt entspannt im Stuhl, den noch sein Vor-Vorgänger angeschafft hatte, und sagt: "Wenn die Schüler einen Regelverstoß begehen, will ich nicht mit einem Regelverstoß reagieren." Das Büro im Ministerium sieht aus wie zu Spaenles Zeiten, aber gepoltert wird nicht mehr. Für Piazolo ist das Machtwort ein "Eingriff ins Gesetz".

Der unaufgeregte Blick auf die Fakten, abwägen und Argumente sammeln - Piazolo kann und will nicht anders. Er hat Jura und Politik studiert, die Uni nie wirklich verlassen. Piazolo war nebenberuflich Dozent, bevor er Politikprofessor wurde. Diese akademische Entscheidungsfindung hat er in die Politik mitgenommen. Wie ein Ministerium funktioniert, wusste er früh: Sein Vater war Amtschef im Kultusministerium Baden-Württembergs. Piazolo wuchs in Stuttgart auf, zum Studium kam er dann nach München.

Piazolo, ein Kuriosum bei den Freien Wählern

Nach der Landtagswahl wollte er ein Ministerium, als Münchner Chef der Freien Wähler und Nummer zwei hinter Hubert Aiwanger bekam er seinen Willen. Piazolo macht seit Jahren Bildungspolitik, zudem ist Schulpolitik Ländersache, das Kultusministerium also ein wichtiges Haus. Lehrer, Eltern und Schüler freuten sich, man kennt ihn und schätzt seine nonchalante Art, seine Reden, seine Scherzchen. Aber Schulpolitik ist undankbar: Wenn an den Schulen alles läuft, wird nicht gelobt, wenn etwas hakt, umso lauter kritisiert. Denn jeder war mal in der Schule, jeder hat eine Meinung. Die Fachabteilungen im Ministerium eifern wie die Schularten selbst um Aufmerksamkeit, Budget und Macht.

Piazolo ist Herr über einen Milliarden-Etat und verantwortlich für 115 000 Lehrer sowie 1,7 Millionen Schüler. Als wahre Herren im Haus fühlen sich jedoch die Beamten, die gern kokettieren, es sei egal, wer unter ihnen Minister ist. Aber sie respektieren, dass Piazolo Ahnung hat. Kritik an seiner Zurückhaltung hört man trotzdem: "Wo bleiben große Würfe, Ergebnisse bei der neuen Oberstufe, beim Lehrermangel?", fragt ein Beamter. Piazolo kümmere sich um "Quatschthemen" wie die Stärkung der Wirtschaftsschulen und die flexible Einschulung. Er löste damit Versprechen ein und beim größten Lehrerverband BLLV Entrüstung aus.

Fachlich sei er in der Materie drin, heißt es auch aus der CSU. Dabei setzte er schon ein Thema, das der CSU nicht so passte. Piazolo sprach sich für das Wahlrecht ab 16 Jahren aus, eine ewige Forderung der FW, die von der CSU nicht geteilt wird. Als er dafür im Kabinett einen kleinen Rüffel bekam, soll ihn das wenig gejuckt haben. "Er zieht sein Ding durch", sagt ein CSU-Minister. Weh getan aber habe das der CSU natürlich auch nicht. Bei Schülern und Studenten löste Piazolo damit Begeisterung aus, das gab es bei seinen CSU-Vorgängern nie.

Also gar keine Vision? Große Würfe brauche es nicht in Bayern, sagt er, das System funktioniere schließlich. Er will, dass Kinder individueller lernen können, den Weg dahin sieht er in der Digitalisierung. Deren Umsetzung sei herausfordernd genug. Da ist sie wieder, seine typische Zurückhaltung. "In Zeiten ständig hochkochender Aufregung ist es doch gut, sorgsam abzuwägen", sagt Piazolo. Er stehe zu seinen Entscheidungen. Falls beim Mathe-Abi alles in Ordnung ist, könne er auch "basta" sagen. "Es wird nicht per Mehrheit über Noten abgestimmt."

Bei den Freien Wählern war Piazolo immer ein Kuriosum. Er ist der einzige Großstädter in der Fraktion. Manche behaupten, er sei auch der einzige Intellektuelle. Als Generalsekretär bildete er mit FW-Chef Hubert Aiwanger ein Paar, das so ungleich war wie harmonisch. Auf der einen Seite der Landwirt mit Hang zur drastischen Sprache, auf der anderen Seite Hochschullehrer Piazolo. Manchmal fragte man sich, was bei Piazolo überwog, wenn er das Phänomen Aiwanger beobachtete: Unglauben über das, was sein Chef da von sich gab. Oder Bewunderung, dass er es sich traute. Kritik an Aiwanger aber hörte man von Piazolo nie. Er fühlte sich immer wohl in dessen Halbschatten. Als Minister steht er nun selbst im Rampenlicht. Ob er will oder nicht.

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SZ vom 11.05.2019/baso
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