Ein Festival steht und fällt mit der Wahl des Ortes. Beispiel: Ein Gast stellt sein Zelt beim Zaun auf, der den Campingplatz von der Naturschutzzone am Kleinen Dutzendteich trennt. Von dieser Randlage erhofft er sich ein wenig Nachtruhe im Rock-Radau. Fällt nun aber nach Zapfenstreich im Disco-Zelt dieser Metallzaun, weil irgendein Besoffener dahinter eine Abkürzung durch das Vogelreservat entdeckt zu haben glaubt, und stapfen dann immer mehr Krawallbrüder scheppernd über das Metallgitter, dann hilft nur umziehen. Oder nicht. Weil woanders ist es auch nicht stiller oder längst kein Platz mehr (heutzutage gibt es für Ruhebedürftige eine "Green Camping Area", für die man aber zeitig reservieren muss).
Die Massen können strömen
1997 musste ein ganzes Festival umziehen nach zwei Jahren am Riemer Flugfeld und zwei Jahren im Olympiapark, den die Horden laut einem Ordner hinterlassen hatten "wie den Stall einer jeden Sau". "Rock im Park" war zu rockig fürs saubere München. Bekanntlich dauerte es 18 Jahre, bis hier am vergangenen Wochenende wieder ein großes Open-Air steigen durfte: Vom stramm durchgeregelten "Rockavaria" und gerade dem Ort selbst waren alles in allem viele der fast 50 000 Gäste recht angetan - könnte man auch noch zelten, kämen bei der angekündigten zweiten Auflage 2016 sicher etliche tausend mehr.
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Auch Nürnberg und das eingewanderte "Rock im Park" mussten zusammenwachsen, die ersten Jahre kamen - damals noch ins zweckmäßig-ungemütlichen Frankenstadion und im "Alternatent", einem Zirkuszeltchen fürs Nebenprogramm - weit weniger Gäste als zu "Rockavaria". Seit die Veranstalter Marek Lieberberg und Peter Pracht die kleinste Bühne in die Eishockey-Arena verlegt, eine zweite große Open-Air-Fläche am Sportplatz eröffnet und die Hauptbühne endgültig auf das weite Zeppelinfeld verlegt haben, können die Massen strömen - und sie tun es: Zum vierten Mal in Folge sind 75 000 Tickets verkauft, wenn "Rock im Park" (RIP) nun 20. Geburtstag feiert (mitgezählt wird der Rock im Olympiapark, nicht aber der in Riem).
Der Lieblingsort auf dem einstigen Reichsparteitagsgelände
Es scheint, als hätten die Stammgäste über die Jahre ihren Lieblingsort gefunden - ausgerechnet auf dem einstigen Reichsparteitagsgeländes der NSDAP. Auf der Großen Straße, über die einst Panzer paradierten, stehen jetzt die Campingmobile mit den Diesel-Aggregaten und Lautsprechern für Privatpartys rund um die Uhr. Und auf dem Zeppelinfeld, wo "Mädeltänze" in einem "Lichtdom" unter "Hitlers Altar" aufgeführt wurden, tanzen nun die Mädels und Burschen im Schein gewaltiger Lightshows verherrlichter Rocker. Besser so. Statt diesen verfallenden Täterort zur Andachtsstätte für Neonazis verkommen zu lassen und einzäunen zu müssen, will Bürgermeister Ulrich Maly ihn als "Lernort" erhalten.
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Durch eine Sanierung sollen "die steinernen Zeugen" (der Granit wurde von KZ-Häftlingen gebrochen) "auch in Zukunft sprechen". Als "Rock im Park"-Gast ist es schlicht unmöglich, angesichts der klobigen Bauten nicht wenigstens einmal an den unheilvollen Popanz von damals zu denken. Und sei es im Transformator-Häuschen, wo draußen noch der Umriss des Reichsadlers zu erkennen ist und man heute drinnen Burger mampft. Gelebte Conversion. Nicht wenige nutzen den Konzert-Leerlauf am Vormittag für einen Besuch im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, einer der wenigen Orte der Besinnung an den drei Festivaltagen.
Abgeriegelter Sehnsuchtsort
Danach sind die Lieblingsplätze wieder vor den Bühnen - man denke an den im wahrsten Wortsinn überragenden Auftritt der "RIP"-Rekordhalter, der Sportfreunde Stiller. Die gaben 2013 bei ihrer achten Teilnahme die Zugabe "Unter unten" in 30 Metern Höhe auf dem Lautsprecherturm. Heuer rocken über dem staubigen Platz Foo Fighters, Beatsteaks, The Prodigy und Die Toten Hosen, die schon 1996 in München spielten. Auf der etwas idyllischeren "Parkstage" gibt es Remmidemmi mit Deichkind, Tocotronic, Marilyn Manson, Motörhead oder Slipknot.
Der Sehnsuchtsort vieler Fans freilich ist abgeriegelt: Backstage. Dort in den Kabinen toben, wie der Autor dieser Zeilen von Interviews zu berichten weiß, allerdings keine orgiastischen Gelage. Die Künstler sind eher nervös und still - letzte Zuflucht für Ruhesucher.