Süddeutsche Zeitung

Prozess:"Wenn es so weitergeht, ist Bayern am Ende"

Das Münchner Oberlandesgericht muss darüber entscheiden, ob Regina Killers Kühe im oberbayerischen Holzkirchen weiter Glocken tragen dürfen.

Von Hans Kratzer

Die Bäuerin Regina Killer aus dem oberbayerischen Markt Holzkirchen wähnt sich mitten in einem Kulturkampf, den sie auf keinen Fall verlieren will. "Es geht um unsere Traditionen", sagt sie unbeirrt, "wenn es so weitergeht, ist Bayern am Ende." Die Frage, ob das Land tatsächlich am Ende ist, wenn die Kühe von Frau Killer keine Kuhglocken mehr tragen dürfen, ist noch nicht geklärt. Vieles hängt von den Gerichten ab, die sich im Falle der Holzkirchener Kühe seit Jahren abmühen. Ein Ehepaar, das neben der Weide wohnt, will mithilfe von Justitia das Ende des Kuhgebimmels erzwingen. Bislang vergeblich. Am Mittwoch wird das Oberlandesgericht München die nächste Entscheidung in diesem Endlosstreit bekannt geben.

Beschwerden über Kuhglocken gehören ebenso zur ländlichen Folklore wie das Gebimmel, das von seinen Anhängern gerne als "Soundtrack der Alpen" gepriesen wird. Aber die Wucht, mit der derlei Traditionen und das Ruhebedürfnis vor allem von ländlichen Zuzüglern aufeinanderprallen, nimmt unaufhörlich zu. Glockenläuten, Hahnenschrei und Gerüche aller Art, alles wird beklagt und verdammt, häufig zum Unverständnis der Einheimischen, die diese ehernen Phänomene als Bestandteil ihrer Identität keinesfalls missen wollen.

Auch in der Schweiz tobt zwischen Anhängern und Gegnern von Kuhglocken seit Jahren ein erbitterter Streit. Er hat unter anderem die Frage aufgeworfen, ob denn das Umhängen von Kuhglocken eine Art Tierquälerei bedeute. Wissenschaftliche Untersuchungen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich brachten bislang kein belastbares Ergebnis über eine mögliche Beeinträchtigung des Kuhwohlseins durch Glocken.

Unanfechtbar ist freilich die Behauptung, dass die Existenz von Kuhglocken Jahrtausende zurückreicht und weltweit belegt ist. Sie stammen aus einer Zeit, als die Erde noch weitgehend von Stille umfangen war. Aber auch damals waren Tierglocken unverzichtbar. "Sie hatten überlebenswichtige Funktionen", sagt der Münchner Brauchtumsforscher Michael Ritter. In archaischen Vorstellungswelten sollte der Klang von Schellen und Rasseln böse Mächte abwehren.

Ein einschlägiges Relikt ist das Wetterläuten, das mancherorts beim Heraufziehen eines Gewitters noch heute üblich ist. Die Glocken sollen Blitz und Hagel vertreiben. Ihrem hellen Klang traut man aber auch zu, gute Geister zu bezirzen. Nicht umsonst schwingen die Zuschauer etwa beim Skirennen in Kitzbühel Kuhglocken und Schellen, um die Götter des Glücks positiv zu stimmen. Die wichtigste Funktion der Tierglocken geht jedoch über Glücksbeschwörungen hinaus. "Man braucht sie im Gebirge dringend als Signalinstrument", sagt Ritter. Das Glockengeläut helfe dem Hirten, das Vieh im nicht eingezäunten Alm- und Berggelände wiederzufinden, bevor es etwa im Nebel abstürzt.

Diese Gefahr ist in flacherem Gelände wie etwa in Holzkirchen natürlich nicht gegeben. "Aber auch dort zählen Kuhglocken zu jenen kulturellen Gegebenheiten, mit denen man unbedingt rechnen muss, wenn man aufs Land zieht", sagt Ritter. Die guten Geister, mit deren Hilfe sich das Problem schnell lösen ließe, haben den Kuhglockenstreit in Holzkirchen aber bislang ignoriert.

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SZ vom 09.04.2019/axi
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