Künstler statt Versandhändler:Die neuen Quellianer

Ehemaliges Quellegelaende in Nuernberg

Nur 15 Prozent des insgesamt 256.000 Quadratmeter großen ehemaligen Quelle-Areals werden inzwischen genutzt. In den Hallen ist viel Platz für Kunst.

(Foto: Peter Roggenthin)

Künstler, Designer und Architekten haben sich auf dem Areal des einstigen Versandhändlers Quelle in Nürnberg eingerichtet. Doch ein Großteil des denkmalgeschützten Gebäudes steht vier Jahre nach der Pleite wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse leer.

Von Olaf Przybilla

Vielleicht liegt der Schlüssel für den Untergang von Quelle ja irgendwo im Atelier von Tom Leather. Der 37-Jährige ist Fotograf und einer von inzwischen 150 Kreativen auf dem zweitgrößten Gebäudekomplex der Republik: auf dem Quelle-Areal im Westen Nürnbergs. Einen nicht unbeträchtlichen Teil der Wand seines Ateliers nimmt die Front des ehemaligen Quelle-Safes ein. Als Leather 2012 in sein neues Atelier zog, recherchierte er den Mann, der dort vorher seine Arbeit im Auftrag der Erben von Gustav Schickedanz verrichtet hatte. Er trieb den Schlüssel auf, sogar die Zahlenkombination ließ sich noch ermitteln. Öffnen lässt sich der Tresor trotzdem nicht. Verrostet. "Vielleicht liegt ja hinter meiner Atelierwand das verschollene Vermögen von Quelle", sagt Leather.

Natürlich ist das nicht ernst gemeint. Einen ernsten Hintergrund aber hat die Sache schon: Leather war einer von jenen, denen der Niedergang von Quelle einen Schlag versetzt hat, und nicht nur einen emotionalen. Zwar gehörte er nicht zu den 3500 Beschäftigten, die hier 2009 ihren Arbeitsplatz verloren haben. Aber er war einer jener, die mit Quelle einen ihrer wichtigsten Auftraggeber verloren haben. Leather fotografierte viel für den Katalog.

Und so gesehen ist er vor einem Jahr gemeinsam mit seinem Kollegen Chris Weiss ein bisschen zurückgekehrt zu den eigenen Wurzeln. Und hinzugestoßen zu einer Gruppe von Kreativen - Künstlern, Designern, Architekten - die sich als die neuen Quellianer betrachten. Mag der Bau auch noch so monströs wirken. Und mögen sich die neuen Mieter auch noch so sehr verlaufen in dem Klinkerkubus. "Man hilft sich, tauscht sich aus, fühlt sich zusammengehörig", sagt Leather, "wie fühlen uns hier inzwischen wie eine große Familie."

Vier Jahre nach dem Quelle-Aus sind kaum mehr als 15 Prozent der Fläche des Areals an der Fürther Straße vermietet. Gegenüber, dort wo AEG einst Waschmaschinen produziert hat, werden die meisten Hallen längst wieder genutzt. Aber es gibt natürlich Gründe für die Langsamkeit "auf Quelle", wie die Nürnberger sagen: Die Hallen, von denen aus früher die Päckchen verschickt wurden, sind extrem tief, schweren Lasten - etwa Werksmaschinen - würden sie nicht standhalten. Eingreifen darf man in das Gebäude kaum, der unverwechselbare Kubus des Bauhaus-Architekten Ernst Neufert steht unter Denkmalschutz.

Am schwersten aber wiegen die ungeklärten Eigentumsverhältnisse: Nach der Insolvenz eines niederländischen Fonds, der das Grundstück von Quelle gekauft hatte, steht das Areal seit 2011 unter Zwangsverwaltung. Zwar hat nun ein portugiesischer Investor einen Kaufvertrag für das Grundstück unterzeichnet, ein Hoffnungsschimmer. Der Vertrag aber enthält aufschiebende Bedingungen. Klar ist damit gar nichts.

Schon gar nicht für die Mieter auf dem zweitgrößten überbauten Gelände in Deutschland nach dem Flughafen Berlin-Tempelhof. Im Vertrag von Leather ist festgehalten, dass die 4,90 Euro für den Quadratmeter nur so lange gültig sind, bis ein Eigentümer das neu regelt. Rausgeschmissen werden könnte er jederzeit, da muss man als Mieter schon flexibel sein.

Man muss flexibel sein

Marco Junker nippt an einer Orangenlimonade. Er ist der Quartiermanager, beauftragt von einem Zwangsverwalter, der wiederum vom Amtsgericht bestellt ist. Junker ist in Nürnberg geboren, mit seiner Oma hat er einst im Quelle-Kaufhaus die neuen TV-Modelle bestaunt. Als er dann 2009 das Gebäude betrat und die Arbeitsplätze sah, hat ihn das tief bewegt: Schreibtische mit benutzten Kaffeetassen, als hätten da Menschen fliehen müssen. Klar, sagt Junker, werde das Areal noch immer als schlafender Riese wahrgenommen. Auch wenn es längst wieder Leben gibt auf Quelle: einen Supermarkt mit russischen Lebensmitteln, einen türkischen Möbelgroßhändler, Schreibbüros, Start-Up-Unternehmer und eben die Kreativen. Am Wochenende wurde gerade eine Tutanchamun-Schau eröffnet, eine Wanderausstellung. Auf dem Areal darf man sich seither in zwei ferne Welten versetzt fühlen: nach Ägypten und in den Quelle-Kosmos.

Natürlich, das weiß auch Junker, wirken 32.000 genutzte Quadratmeter von insgesamt 256.000 nicht gerade wie der große Wurf. Und doch, sagt er, "wir wollen zeigen, dass hier was geht auf Quelle". Auch wenn alles immer unter dem Vorbehalt eines neuen Eigentümers steht. Und die letzten Jahre keinen Durchbruch brachten.

Weil so wenig voranging, forderte die CSU zwischendurch sogar den Abriss des Gebäudes. Womit die Stadt zweifellos in die Architekturgeschichte eingegangen wäre, wenn auch auf unrühmliche Weise. Die Forderungen sind vom Tisch, "uns war klar, dass wir einen langen Atem brauchen", sagt Michael Fraas, der CSU-Wirtschaftsreferent in Nürnberg. Am liebsten wäre es der Stadt, wenn die Universität einen Campus aufs Areal verlagern würde. Die Kosten, die dafür kursieren, lassen allerdings nicht auf eine rasche Realisierung hoffen: von bis zu 750 Millionen Euro unken manche, machbar wäre das kaum.

Und Markus Söders Heimatministerium? Söder sucht etwas Repräsentatives in Bahnhofsnähe, auf Quelle trifft beides eher nicht zu. Und richtig vorwärtsbringen würde so eine Ministeriumsaußenstelle das Areal wohl auch nicht. Würden die Büroräume der etwa 100 Ministerialen großzügig ausfallen, dann würde das Teilministerium etwa ein Viertel eines Quelle-Stockwerks einnehmen, rechnet Junker vor und lächelt etwas spöttisch. Auf Quelle aber stehen 25 solche Stockwerke bereit.

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