Künftiger bayerischer Ministerpräsident:Kandidat Wankelmut

Bayerisches Chamäleon: Politisch ist der designierte CSU- und Regierungschef Horst Seehofer sehr schwer zu fassen.

D. Mittler, C. Sebald und A. Ramelsberger

Er gilt als charismatisch und charmant, als fernseh- und festzelttauglich. Die CSU wählt sich am 25. Oktober einen neuen Vorsitzenden, und der soll, so sieht es jetzt aus, auch der neue Ministerpräsident in Bayern werden. Horst Seehofer ist der Mann, der die CSU aus der Schockstarre der verlorenen Landtagswahl lösen soll.

Horst Seehofer; AP

Seehofer wäre aber nicht Seehofer, träte er nicht zeitgleich als Saulus und Paulus auf.

(Foto: Foto: AP)

Noch ein Jahr zuvor war der Hoffnungsträger Seehofer der Mehrheit der CSU nicht vermittelbar - und das nicht nur wegen seines jüngsten Nachwuchses, den seine Freundin in Berlin gerade geboren hatte. Noch mehr Vorbehalte als gegen sein Privatleben hatten viele Parteifreunde gegen die politischen Ansichten Seehofers. Den einen gilt er aus seinen Zeiten als Vorsitzender der CSU-Arbeitnehmer als verkappter Herz-Jesu-Marxist, der das "S" im Parteinamen überbetont. Den anderen gilt er als wankelmütig und unberechenbar - jemand, der heute A und morgen B sagt. Die Vorbehalte sind bei denen am größten, die mit seiner Politik schon einmal in direkte Berührung gekommen sind: bei den Bauern und im Gesundheitswesen.

Genmais ja und nein

Auch den Sozialverband VdK traf Seehofers Wandlungsfähigkeit bereits wie ein "Blitz aus heiterem Himmel". Der VdK hatte Seehofer im Juni 2005 als Vorsitzenden des bayerischen Landesverbands gewonnen - er sollte zum Nachfolger des Bundesvorsitzenden aufgebaut werden. Große Hoffnungen setzte der Verband in ihn - keine sieben Monate später war Seehofer weg, er hatte es vorgezogen, den Posten des Landwirtschaftsministers anzunehmen. Noch heute erinnern sich Mitarbeiter an das versteinerte Gesicht von VdK-Geschäftsführer Albrecht Engel, als er die Mitteilung erhielt.

Wendig ist Seehofer auch in seinem Amt als Landwirtschaftsminister. Als die Bauern im Frühsommer zehn Tage lang ihre Milch weggeschüttet haben, um einen fairen Milchpreis zu erstreiten, da reagierte Seehofer prompt: Als erster deutscher Agrarpolitiker bekannte sich der Minister zu den Forderungen der Milchbauern, obwohl Bauernpräsident Gerd Sonnleitner die Stirn runzelte. War es doch in Fachkreisen ausgemachte Sache, dass die Vorstellungen der Milchbauern erstens von gestern und zweitens nicht durchsetzbar sind.

Doch das kümmerte Seehofer nicht. Er fuhr doppelgleisig: Er stellte sich hinter die Milchbauern und versprach auch dem Bauernverband, was der will: einen neuen millionenschweren Milchfonds auf europäischer Ebene. Dass die EU dem Ansinnen postwendend eine Absage erteilte, störte Seehofer nicht. Genauso flexibel ist Seehofer bei der Gentechnik. In Bayern, so bekannte er erst kürzlich, würde er den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen am liebsten verbieten. In Ostdeutschland hingegen könne man problemlos Genmais anbauen. In Bayern nein, im Bund ja - das wurde Seehofer sofort als Beweis seines Wankelmuts vorgehalten.

In der Gesundheitspolitik ist es nicht anders: Seehofer trat lange für die Bürgerversicherung ein, wie sie auch die Sozialdemokraten und viele Sozialverbände wollten. Doch dann schwenkte er im Jahr 2003 um - ihm sei es wichtiger, die Kopfprämie zu verhindern. Im Jahr 2004 dann trat Seehofer vom Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Unions-Fraktion im Bundestag zurück, weil er sich nicht hatte durchsetzen können. Mittlerweile trägt er die Gesundheitsreform jedoch mit und befürwortet den Gesundheitsfonds.

Es sind solche Erinnerungen, die bei der bayerischen Ärzteschaft eine gewisse Skepsis hervorrufen. Einerseits gilt Seehofer als "einer der wenigen Politiker in Deutschland, der vom Gesundheitswesen wirklich was versteht", wie es ihm Hans Hellmut Koch, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, attestiert. Andererseits tragen viele Ärztefunktionäre Seehofer bis heute seine Jahre als Bundesgesundheitsminister nach. In den neunziger Jahren zog er eine Reform durch, mit der er die bedrohlich wachsenden Ausgaben im Gesundheitswesen in den Griff bekommen wollte.

Saulus und Paulus

In dieser Zeit trat Seehofer als beinharter Minister auf, setzte eine höhere Beteiligung der gesetzlich versicherten Patienten an den Behandlungskosten sowie Einschnitte bei den Ärzten und der Krankenhausfinanzierung durch. Alles Maßnahmen, die - wie die jüngsten Proteste der Ärzte und Krankenhausmitarbeiter beweisen - erst jetzt ihre volle Wirkung zeigen. Entgegen Seehofers Versprechen wurde die Budgetierung nicht nach zwei Jahren wieder aufgehoben, sondern gilt bis heute. Mit dramatischen Folgen: Bayerns Krankenhäuser kämpfen angesichts ihrer seit 16 Jahren gedeckelten Einnahmen inzwischen ums Überleben, weil im gleichen Zeitraum die Personal- und Energiekosten um ein Vielfaches gestiegen sind. Die praktizierenden Ärzte wiederum machen Seehofer für die "Knebelung" ihres Berufsstandes verantwortlich - vor allem die 1993 eingeführte Niederlassungssperre für Kassenärzte schmerzt sie.

Seehofer wäre aber nicht Seehofer, träte er nicht zeitgleich als Saulus und Paulus auf. Landesärztekammerpräsident Koch ist davon überzeugt, dass der CSU-Politiker nach seiner lebensgefährlichen Erkrankung 2002 - eine verschleppte Herzmuskelentzündung - einen Wandel durchgemacht hat: "Wir hatten in der Landeskammer wiederholt Gespräche mit ihm, die sehr positiv verlaufen sind und bei denen wir schon auf einer gemeinsamen Wellenlänge waren."

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