Krumbach:Kinderbetreuung zwischen Tablet und Matschhose

Krumbach: DIGITAL-Kindergarten / Evangelisches Haus der Kinder/ Haus der kinderbunten Wege

Erzieherin Nadine Schebesta übt mit den Kleinen spielerisch die ersten Grundlagen der Mengenteilung, die später das Bruchrechnen erleichtern.

(Foto: Johannes Simon)

Im evangelischen Haus der Kinder in Krumbach lernen schon die Jüngsten den Umgang mit den neuen Medien. Wenn sie nicht gerade durch den Wald stapfen oder mit Freunden spielen.

Von Anna Günther, Krumbach

Baam! Baam, baam! Miriam, Gero und Finni schlagen hektisch auf den Tisch. Wer zuerst trifft, ist den Vier- und Fünfjährigen kurz wichtiger als die richtige Antwort. Sie blicken erwartungsvoll ihre Kindergärtnerin an und dann auf den Tablet-PC vor Anne Müller - die Händchen weiter fest auf die eingeschweißten Zeichnungen von Schlange, Krokodil und Löwe gepresst.

Müller erklärt und lobt. Die Kleinen spielen "der, die, das", sie sollen Gegenständen die richtigen Artikel zuzuordnen. Wer richtig liegt, darf mit seiner Spielfigur ein Feld weiterziehen. Nächstes Bild. Müller wischt ein rotes Wollknäuel auf den Bildschirm. Baam, baam, baam. Miriam schlägt auf die Schlange und ruft: "Die Wolle!" Stimmt. Die Fünfjährige strahlt.

Normaler Umgang mit der Technik

Das Team des evangelischen Hauses der Kinder im schwäbischen Krumbach ist eines der wenigen in Bayern, das schon den Jüngsten den Umgang mit digitalen Medien beibringt. In der 13 000-Einwohner-Stadt lernen die Kinder spielerisch mit Apps oder Multimedia-Projekten Rechnen, Grammatik oder kreatives Schreiben. Kindergartenleiterin Müller findet das ganz normal. "Die Kinder kennen das von daheim, also arbeiten wir hier auch mit Tablets und Computer", sagt die 55-Jährige.

Krumbach: DIGITAL-Kindergarten / Evangelisches Haus der Kinder/ Haus der kinderbunten Wege

Das Team, das am Tablet gewinnt, bekommt ein Plättchen - und lernt dabei gleich, aus welchen Flächen sich Kreise oder Dreiecke zusammensetzen.

(Foto: Johannes Simon)

Seit 22 Jahren gibt es den Kindergarten neben der Evangeliumskirche, Computer und Medienerziehung gehörten von Anfang an zum Konzept. Auf Foto-Projekte, für die Buben und Mädchen sich gegenseitig knipsten, folgten der Blick hinter die Kulissen von Film und Fernsehen und eigene Animationsfilmchen mit analog gemalten Figuren. Die Geschichte dazu dachten sich die Kinder selbst aus - und sprachen in verteilten Rollen das Märchen vom Drachen ein, der von der Feuerwehr aus der Bauklötzchen-Burg gerettet wird. Technisch möglich machte auch das eine App.

Von den meisten Lernangeboten im Internet hält Müller allerdings wenig: "Die sind meist von Grafikdesignern und nicht von Pädagogen gemacht." Und Kinder, die mit Tablet und Lernapp in die Ecke gesetzt werden, verstünden meist gar nicht, was sie machen sollen. "Sie können zwar das Tablet bedienen, aber nicht das Spiel und verlieren dann rasch das Interesse", sagt Müller. Für das Deutsche Jugendinstitut bewertete sie Lernprogramme. Welche sinnvoll sind, ist im Internet nachlesbar. Im Krumbacher Kindergarten dürfen die Kleinen nur mit dem Tablet spielen, wenn eine Erzieherin dabei ist. Und sie spielen in Gruppen.

Teamplayer am Tablet gesucht

Müller und ihr Team entwickelten dafür eigens Brettspiele für die Lernapps. Dabei nimmt der erzieherische Bereich auf der Spielwarenmesse und auch in den Geschäften jedes Jahr mehr Raum ein. Bei Müllers Waldspiel zum Beispiel kommt schneller voran, wer auf dem Tablet eine Matheaufgabe löst. Wenn die Buben und Mädchen gemeinsam Spaß haben, bekommen sie nicht genug von Lernspielen, sagt die Erzieherin, und beim gemeinsamen Überlegen lernten sie gleich noch Kommunikation und logisches Denken.

Nadine Schebesta übt an diesem Morgen die ersten Grundlagen für Bruchrechnen. Vier Kinder drängen sich um Erzieherin und Tablet. Wer zu lange überlegt, wird von den anderen gedrängelt. Um einem kleinen Mammut den Weg frei zu räumen, müssen sie Lava im richtigen Verhältnis teilen. Wenn diese dann auf die Eisblöcke fällt, kann das Mammut weiterlaufen. Die Aufgabe wird peu à peu schwieriger.

Mit viel Spaß zur Medienkompetenz

Krumbach: DIGITAL-Kindergarten / Evangelisches Haus der Kinder/ Haus der kinderbunten Wege

Beim der-die-das-Spiel lernen die Kinder, Artikel zuzuordnen. Erlaubt sind 20 Minuten digitales Spiel, die Waldgruppe ist drei Stunden draußen.

(Foto: Johannes Simon)

Gedacht ist das Programm "Slice Fraction" für Kinder ab acht Jahren, die vier Krumbacher werden bis dahin noch einige Geburtstagskerzen auspusten. Wenn das Mammut laufen kann, darf sich das Team ein (analoges) Plättchen aussuchen, das es in vorgemalte geometrische Formen legt. Dann sind die anderen dran. Wessen Formen zuerst mit Plättchen gefüllt sind, hat gewonnen. Und ganz nebenbei lernen die Kleinen Grundzüge von Geometrie und Algebra, Teamgeist und Fairness.

Dass das digitale Konzept der Krumbacher keineswegs normal ist, hört man sogar vom Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP). "Das Thema hat in den meisten Kitas noch einen zu geringen Stellenwert", sagt Eva Reichert-Garschhammer, die stellvertretende Leiterin des IFP. Gründe dafür seien oft fachliche Vorbehalte gegenüber Medienpädagogik mit kleinen Kindern, aber auch schlechte technische Ausstattung in den Kindergärten und hoher Fortbildungsbedarf bei den Erziehern.

Selbst die Ausbildung hinkt hinterher

Sogar in der Ausbildung besteht oft noch Nachholbedarf: Die jüngste Krumbacher Kindergärtnerin kam 2015 von der Fachakademie. In Medienpädagogik seien Computer durchaus eingesetzt worden - als Präsentationsform. Inhaltlich waren Bilderbücher Prüfungsstoff. Dabei sind sich Bildungsforscher wie Norbert Neuß von der Uni Gießen einig, dass der richtige Umgang mit digitalen Medien so früh wie möglich vermittelt werden muss. Neuß sieht die Kindergärten in der Pflicht. Müller und ihr Team bekamen für ihr digitales Engagement 2015 sogar den Deutschen Arbeitgeberpreis für Bildung zum Thema "Lernen im digitalen Zeitalter".

Kritiker wie der Mannheimer Professor Gerald Lembke befürchten, dass eine Generation von Stubenhockern heranwächst. Vielleicht ist es Anne Müller deshalb so wichtig, an diesem grauen Februarmorgen bei Null Grad und Nieselregen noch in den Wald zu fahren. "Nehmen Sie gescheite Schuhe mit", warnt sie am Telefon.

Analoger Spaß im matschigen Winterwald

Die rot-weißen Gummistiefel sind dann auch das einzige, das die Kinder kurz aufblicken lässt. Wald ist spannender. Auf einer Lichtung tollen sie herum, dick eingemummt in bunte Schneeanzüge. Ein Bub sägt mit Miniaturwerkzeug an einem abgestorbenen Baum herum, daneben zwickt ein Mädchen mit der Astschere einen Zweig ab. Im Unterholz spielt eine Gruppe Ross und Reiter auf dicken Ästen.

Drei Tage pro Woche gehen die Kleinen in den Wald. "Auf dem Weg lernen sie gleich, wie sie sich im Straßenverkehr zu verhalten haben", sagt Claudia Setz. Sie betreut die Gruppe mit zwei Kolleginnen. Montags wird entschieden, wer mit darf, die anderen bleiben im Kinderhaus. Plötzlich ertönt Indianergeheul. Die jüngsten Waldarbeiter laufen sofort zum Bauwagen. Noch eine Runde Tee für alle, dann marschiert der kleine Trupp zurück.

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