Süddeutsche Zeitung

Kritik an CSU nach Neonazi-Terror:"Nähe zu rechtsextremen Einstellungen"

Nach der Neonazi-Mordserie preist Bayerns Innenminister Herrmann den Freistaat als Bundesland mit den niedrigsten Zahlen rechtsextremer Gewalttaten. "Zynisch" sei das, antwortet die Opposition. Unterdessen werden in Bayern ungeklärte Straftaten neu geprüft - darunter auch der Fall Mannichl.

Ulrike Heidenreich

Nachdem sich in der Mordserie durch rechtsextreme Terroristen immer neue Abgründe auftun, gerät Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stark in die Kritik. Sein Hinweis, wonach der Freistaat bei rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten "die niedrigsten Fallzahlen aller Länder" habe, wertet SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher als "geradezu zynisch".

Sepp Dürr von den Landtags-Grünen sagte zur SZ: "Der Innenminister will sich nur herauswinden. Er und die CSU haben eine Nähe zu rechtsextremen Einstellungen - deshalb sind sie auf dem rechten Auge blind."

Auf Weisung des Bundesinnenministeriums müssen alle größeren Straftaten, die seit 1998 unaufgeklärt geblieben sind, neu geprüft werden - in Hinblick auf einen rechtsextremen Hintergrund. Ein Sprecher des Innenministeriums in München konnte am Montag allerdings keine Zahlen zu Fallprüfungen nennen: "Wir wissen ja nur dann, ob ein Fall einen rechtsextremistischen Hintergrund hat, wenn wir den Täter haben."

Zwar habe man Anhaltspunkte bei einigen Delikten - die Anweisung des Innenministers Herrmann besteht aber darin, sich vorerst auf die Arbeit der Nürnberger Sonderkommission "Bosporus" zu konzentrieren, die sich mit der Mordserie befasst. Diese wurde auf 30 Beamte aufgestockt. "Wenn der Fall gründlich durchleuchtet ist, sehen wir, welche Schlüsse wir ziehen", sagte der Sprecher.

Ein ungeklärter Fall mit möglicherweise rechtsextremen Hintergrund ist der Messeranschlag auf den damaligen Passauer Polizeichef Alois Mannichl im Jahr 2008. Das Landeskriminalamt soll nun eine Verbindung zur rechtsextremen Terrorserie prüfen.

Mannichl hatte damals ausgesagt, ein Unbekannter habe ihn mit den Worten "Viele Grüße vom nationalen Widerstand" niedergerungen. Als Polizist hatte sich Mannichl gegen die rechte Szene engagiert. Alle Nachforschungen blieben erfolglos, der Täter wurde bis heute nicht gefasst.

Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das erste Halbjahr 2011 hatte Herrmann noch im August darauf verwiesen, dass die Gewaltzahlen im Rechtsextremismus mit 29 gemeldeten Delikten in Bayern stagnierten und dass dies "auf dem konsequenten Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen rechte Gewalttäter" beruhe.

Der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr, Fraktionssprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus, fordert nun eine Erklärung des Ministers zu den Hintergründen der Mordserie: "Wir wollen wissen, ob hier überhaupt in Richtung eines rechtsextremistischen Terrorismus ermittelt wurde."

Besonders empört die Grünen, dass die Opfer als kriminelle Ausländer vorverurteilt worden seien, wogegen die Behörden einen rechtsextremen Hintergrund ausgeblendet hätten: "In diesem Fall muss sich Minister Herrmann völlig umstellen. Denn die Begriffe kriminell und Ausländer sind für die CSU nicht weit entfernt voneinander."

Auch die SPD im Landtag drängt auf einen Bericht des Innenministers zum Terror des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Rinderspacher sagte: "Will Herr Herrmann ernsthaft seine These aufrecht erhalten, dass rechtsextremistische Gewalt im Freistaat keine Rolle spielt?"

Fünf der neun Morde an vorwiegend türkischstämmigen Kleinunternehmern in den Jahren 2000 bis 2006 seien in Bayern verübt worden. Die "lapidaren Verweise auf die Zahlen im Verfassungsschutzbericht sind auf erschreckende Weise widerlegt worden", sagte Rinderspacher. Lediglich bei der Forderung nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren sei man einer Meinung.

SPD und Grüne verlangen nun auch eine Überprüfung aller bayerischen Maßnahmen im Kampf gegen Neonazis. "Die Blindheit auf dem rechten Auge der CSU-Politiker ist nicht mehr hinnehmbar", sagte Rinderspacher.

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SZ vom 15.11.2011/tob
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