Süddeutsche Zeitung

Kreuz-Beschluss:"Ich sehe mich nicht verpflichtet, hier zu handeln"

Der umstrittene Kreuz-Erlass tritt bald in Kraft - aber hängen die bayerischen Behörden dann auch wirklich Kreuze auf? Erste Leiter kündigen zivilen Ungehorsam an.

Von Anna Günther, Wolfgang Wittl, Olaf Przybilla und Birte Mensing, München/Nürnberg

Rechtlich ist die Sache im Grunde einfach. Von Freitag, 1. Juni, an gilt Paragraf 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für bayerische Behörden. Darin heißt es: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." Aber was ist ein Dienstgebäude? Nicht nur deswegen wird es kompliziert und verwirrend. Eine Woche, bevor der umstrittene Erlass des Ministerpräsidenten Markus Söder in Kraft tritt, gibt es dagegen auch offenen Widerstand.

Eva Kraus, die Direktorin des staatlichen Neuen Museums in Nürnberg, weigert sich, der Weisung nachzukommen: "Bei uns wird in der Sache gar nichts gemacht", kündigt Kraus an. Sie wisse, dass der Erlass wohl auch für ihr Haus bindend sei, das Museum gelte offiziell als staatliche Dienststelle. Sie habe aber entschieden, diesen nicht umzusetzen. Und sie wisse nicht, ob man sie dazu zwingen könne.

Die Direktorin erklärt, sie habe dies dem Kunstministerium bereits mitgeteilt. "Es ist schwierig, in einer zeitgenössischen Institution, die sich mit der Freiheit der Kunst beschäftigt, ein solches Zeichen zu setzen." Kunst müsse integrativ wirken, Diversität müsse möglich sein. Zeitgenössische Kunst lebe auch davon, "alles zuzulassen und zu dulden". Das sei "die Unabhängigkeit der Kunst", insofern passe das "nicht zusammen mit unserem Thema, mit der Aufgabe unseres Hauses". Eine Antwort aus dem Ministerium habe sie noch nicht. Alles in allem, sagt Kraus: "Ich sehe mich nicht verpflichtet, hier zu handeln."

Anders als das Neue Museum fallen Staatstheater, Opernhäuser oder Schlösser nicht unter den Erlass - die Schlösserverwaltung wiederum schon. Nicht nur im Schloss Neuschwanstein gibt es einen ausgedehnten Verwaltungstrakt. In allen 22 Verwaltungssitzen würden deshalb schlichte Holzkreuze im Eingangsbereich aufgehängt, heißt es aus der Verwaltung.

Was ein Dienstgebäude ist

Zu Dienstgebäuden zählen - vereinfacht gesagt - die Häuser von Behörden und Verwaltungen, die dem Freistaat Bayern unterstehen. Laut Innenministerium gehören dazu Ministerien, Polizeiinspektionen, Wasserwirtschafts-, Bau- und Finanzämter, Justizgebäude und Bezirksregierungen. Ausgenommen sind Rathäuser mit ihren Kommunalverwaltungen oder Landratsämter, die zwar auch staatliche Aufgaben erfüllen, deren Häuser aber von den Landkreisen gestellt werden. Gemeinden, Landkreisen und Bezirken werde empfohlen, dem staatlichen Kreuzerlass zu folgen, sagte Söder nach dem Kabinettsbeschluss am 24. April. Verpflichtet sind sie dazu jedoch nicht.

Der Landrat von Roth, Herbert Eckstein (SPD), lehnt Söders Kreuzerlass grundsätzlich ab. Eckstein hat seit jeher ein Kreuz in seinem Büro hängen, "aus Überzeugung", sagt er. Im Sitzungssaal des Landratsamts ist auch eins, das hänge dort, weil es so gewollt sei. Aber das Kreuz staatlich zu verordnen, "davon halte ich überhaupt nichts", sagt er. Das Kreuz stehe "für Hilfsbereitschaft und Barmherzigkeit", das lasse er sehr ungern für einen "Marketinggag" missbrauchen. Es gebe da ja sicher Bestimmungen fürs Aufhängen, aber zur Kenntnis genommen habe er die nicht, sagt Eckstein.

Nach Angaben des Innenministeriums gibt es in Bayern etwa 1100 sogenannte Hauptdienststellen, in denen demnächst Kreuzpflicht herrscht. Die paar Tausend Schulen sind in der Zahl nicht enthalten, weil sie zumeist keine Dienststellen sind. Aber was ist mit jenen Schulen, die zugleich Dienstellen der Ministerialbeauftragten sind? Und wie sieht es mit Schulämtern aus, die Räume in Landratsämtern oder Rathäusern haben? Das weiß man im Kultusministerium auch nicht so genau.

Kompliziert ist die Lage auch an den acht staatlichen Universitäten: Unis haben Verwaltungsgebäude und Dienststellen. Nun herrscht Verwirrung: Es wurde ihnen doch lediglich empfohlen, Kreuze anzubringen? In Bamberg, Regensburg und Erlangen hängt man Vielfalt und Toleranz gegenüber allen Religionsgemeinschaften höher als Söders Edikt. Bayreuth nimmt es zur Kenntnis. "Außerdem steht im Erlass ja nicht, wie groß das Kreuz sein muss - über unserer Stempeluhr ist noch Platz", sagt einer. Offen zu spotten traut sich niemand. Auch die Unis wollen es sich nicht mit Söder verscherzen. In Augsburg und Passau beraten die Gremien lieber erst einmal gründlich. Die Stimmung sei unaufgeregt, versichert die Sprecherin der Uni Passau. Zwar fragen Studenten nach, aber Proteste wie in Regensburg gibt es nicht.

In der Oberpfalz haben Studenten um den Jungen Liberalen Tarek Carls eine Online-Petition gegen den Kreuzerlass initiiert. Gut 52 000 Menschen haben inzwischen unterzeichnet, und es werden noch mehr. An der Technischen Universität München sieht man den Erlass dagegen locker, die TU pflege ein "inniges Verhältnis" zu allen Religionen, sagt Sprecher Ulrich Marsch. "Wir hätten kein Problem damit, ein Kreuz im Eingangsbereich aufzuhängen." Und die Rechnung geht an die Staatskanzlei? "Rechnungen diskutieren wir überhaupt nicht. Wir bauen für 520 Millionen Euro eine neue Fakultät für Elektrotechnik, und dann schicken wir eine Rechnung über 15 Euro an die Staatskanzlei? Ich bitte Sie!"

Die meisten Behörden werden ähnlich wie das Statistische Landesamt in Fürth verfahren: Dort hat die Organisation für Beschaffung mehrere Kreuze zur Auswahl gestellt, die erweiterte Amtsleitung hat dann entschieden, welches im Eingangsbereich aufgehängt werden soll. Das wird voraussichtlich am 30. Mai der Fall sein, also am letzten Arbeitstag, bevor der Erlass gültig wird. Fein raus sind sie in anderen Behörden. Im Aschaffenburger Wasserwirtschaftsamt etwa muss man sich um nichts kümmern. Das Amt ist eingemietet beim Staatlichen Bauamt, also sind die zuständig fürs Aufhängen. Und "inhaltlich kommentieren wir das nicht", sagt ein Sprecher des Wasserwirtschaftsamts.

Einfacher ist auch die Situation in der Justiz. Weil Kreuze ohnehin in Gerichtssälen und Richterzimmern hängen, habe man "einen Bestand an Kreuzen", sagt Nürnbergs Gerichtssprecher Friedrich Weitner. Dieser werde ausgeschöpft für die diversen Dienstgebäude. Im denkmalgeschützten Haupteingang dagegen stehe eine "kostengünstige und optisch ansprechende Lösung" noch aus.

Egal, ob Empfehlung oder Verpflichtung - der Lichtenfelser Landrat Christian Meißner (CSU) hat in seiner Behörde offiziell herumfragen lassen, ob Kreuze vorhanden sind. Die Antwort lautete: "in Hülle und Fülle." Ob das auch im Eingangsbereich der Fall ist, da muss er selbst erst mal nachschauen. Aber genau das ist ein Grund, warum Meißner den Erlass gut findet. Das Kreuz werde wieder aktiv wahrgenommen, weil man darauf achte.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2018 / ANGU, MEBI, PRZ, WIW/ebri
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