Entspannung im TV:Menschen, die auf Äcker starren

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Äcker so weit das Auge reicht: Der Gäuboden in Niederbayern. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Welt trieft vor Aggression, Intoleranz und Krisen. So war es schon mal in den 80er-Jahren, worauf Fernsehmacher mit ZEN antworteten: einer kuriosen Sendung zum Zuschauen, Entspannen, Nachdenken.

Von Hans Kratzer

Vermutlich ist die ausufernde Berichterstattung über die Fußball-Europameisterschaft auch dem Bemühen geschuldet, ein Sommermärchen wie anno 2006 herbeizuzaubern. Dieser Wunsch ist verständlich: Die Welt trieft zurzeit vor Aggression, Intoleranz und Krisen aller Art. „Die Gesellschaft sieht mittlerweile aus wie eine Windschutzscheibe nach dem Crash“, fasste kürzlich die Autorin Eva Menasse das Elend anschaulich zusammen. 

Noch dazu, als aktuell weder Politik noch Medien imstande sind, das Chaos zu heilen. Ähnlich verhielt es sich im Jahr 1981, in dem der Kalte Krieg und die ökologische Bedrohung an Schärfe gewannen. Damals startete das Bayerische Fernsehen (BR) eine bei Zeitzeugen unvergessene Sendereihe, mit der das Tagesprogramm endete. Auf dem Bildschirm leuchteten drei Wörter: Zuschauen, Entspannen, Nachdenken (ZEN).

Die Sendung dauerte nur fünf Minuten, aber sie war imstande, die Seelen der Zuschauer zu streicheln, ganz ohne Gaukelei und Getöse. Zu sehen waren Landschaftsbilder, die langen Einstellungen waren umrahmt von literarischen Texten. Da schaukelte beispielsweise eine chinesische Dschunke im Jangtse minutenlang still hin- und her. Oder die Kamera fing ein Schilfrohr ein, wie es der Wind bewegte. 

Die Sendung „Septembertag“ (1988) zeigte einen Acker, Obstbäume und ein Feldkreuz, zu hören war nur der Wind. Eine ruhige Männerstimme sagte: „Man ist den Wind hier gewohnt. In der weiten Landschaft findet er kaum Widerstand. Das Getreide, das seine Kraft sanft bremste, ist in den Scheunen. Jetzt liegt der Boden rau in groben Furchen.“ So wunderschön klang ZEN. 

Vor gut drei Wochen ist im Alter von 88 Jahren Walter Flemmer gestorben. Als Kulturchef des Bayerischen Fernsehens war er der geistige Urheber vieler ZEN-Beiträge und damit eines Schatzes, der zweifelsohne große Augenblicke der Fernsehgeschichte hervorbrachte. 

Als sich dann aber die Welt rasch veränderte und auf den Nachbarsendern des BR allerlei Nackerte zu stöhnen anfingen, da verließ die Programmchefs der Mut, weiterhin so etwas Edles wie ZEN zu senden. Nun triumphierte der Trash. Wenigstens ließ der Sender am 1. Juli 1994 auf das Zuschauen, Entspannen und Nachdenken die fantastischen Bilder der Space Night folgen. Anstelle von speckigen Bauernäckern durfte das Publikum nun die Erde aus dem All betrachten. 

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