Kürzung von freiwilligen Leistungen:Auch das bayerische Krippengeld fällt weg

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Je kleiner die Kinder, desto teuer die Betreuung. Bislang bezuschusste Bayern Kita-Beiträge mit 100 Euro pro Monat. (Foto: Arno Burgi/dpa)

FW-Chef Aiwanger nannte den Zuschuss mal sein „Herzensanliegen“. Nach einigen Verwirrungen ist am Dienstag klar: Auch diese Unterstützung wird es künftig nicht mehr geben, vor allem Familien mit geringem Einkommen sind davon betroffen. Von Kürzungen will Ministerin Scharf trotzdem nicht sprechen.

Von Nina von Hardenberg, Johann Osel

Müssen Eltern von Kleinkindern in Bayern mittelfristig auf noch mehr Fördergeld verzichten als bisher gedacht? Angesichts von Haushaltslage und Wirtschaftsflaute halbiert der Freistaat vom Jahr 2026 an die direkte Zahlung des Familiengeldes – eine Leistung, die es so nur in Bayern gibt und die von der Koalition von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) 2018 neu eingeführt wurde. Diese Änderung hat die Staatsregierung am Dienstag nach Ende ihrer Klausur zum Nachtragshaushalt bekannt gegeben. Die andere Hälfte der bislang investierten Mittel soll dann in die Strukturen fließen, etwa in Aufbau und Qualität von Kitaplätzen. Eltern kleiner Kinder bekommen dann nur noch einmalig 3000 Euro zum ersten Geburtstag des Nachwuchses statt über die Jahre verteilt mindestens 6000 Euro vom Staat überwiesen.

Und das Krippengeld, ein monatlicher Zuschuss von 100 Euro für die Betreuung für die Kleinsten im Vor-Kindergartenalter? Söder nannte am Dienstag bei der Pressekonferenz Familiengeld- und Krippengeld stets in einem Atemzug. Ebenfalls eine Halbierung also? So wurde das vielfach aufgenommen, auch medial. Und erst mal herrschte: Verwirrung.

Im schriftlichen Pressebericht des Ministerrats hieß es am Dienstag dagegen schon: Das Sozialministerium prüfe, inwieweit Familiengeld und Krippengeld im geplanten einmaligen 3000-Euro-Bonus „zusammengefasst“ werden könnten. So stand es auch später am Tage in einer Pressemitteilung, die Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) versandte. Durch die „Richtungsentscheidung“ gebe man mehr Geld ins System der Kinderbetreuung, betonte sie. Und berichtete konkret von der Fusion von Familien- und Krippengeld zur künftigen Einmal-Förderung. Dass dies geplant ist, stellte sie auch am Mittwoch in einer Plenarsitzung des Landtags auf Nachfage von Abgeordneten klar. Scharf sprach von einem „Kinderstartgeld“. Aber es bleibe die gesamte Unterstützung für Soziales und Familien in der Summe die gleiche. Es seien, sagte sie, „Fake News“, wenn man jetzt von einer massiven Kürzung und vom Sparen rede.

Das bedeutet de facto die ersatzlose Streichung des Krippengeldes. Ein Projekt, das im Januar 2020 mit großen Erwartungen gestartet war, gerade auch, was den frühen Bildungserfolg von Kindern aus sozial schwächeren Familien betrifft. Nun ist die Aufregung im Land gerade auch über dieses Detail von Söders Spar- und Umschichtungsprogramm groß.

Mit dem Krippengeld bezuschusst der Freistaat den Krippenbeitrag von Kindern mit monatlich 100 Euro pro Kind bei allen Familien, die eine Einkommensgrenze von 60 000 Euro nicht überschreiten. Einen solchen Zuschuss gibt es seit 2019 auch schon für Kindergartenkinder. Dieser soll aber nicht angetastet werden.

Fällt der Krippenzuschlag weg, träfe das primär Familien mit geringen Einkommen, kritisieren Experten. „Im Bereich der frühen Bildung sehen wir, dass gerade Kinder in herausfordernden Lebenslagen von einer frühen und qualitativ hochwertigen Betreuung profitieren“, sagt Pina Nell von der Auridis- Stiftung, die sich in Projekten für die Chancengleichheit von Kindern einsetzt. Gerade diese Kinder zögen im Kampf um den Kitaplatz oft den kürzeren. Höhere Krippenkosten könnten Familien zusätzlich abschrecken. Dabei sei es zentral wichtig, in den Bereich der frühen Bildung zu investieren und Familien hier frühestmöglich zu unterstützen, betont Nell. „Wir haben den Eindruck, dass das etwas aus dem Blick gerät. Der Fokus ist sehr auf Schule. Dabei wissen wir, je früher man investiert, desto mehr zahlt sich das aus.“

Das Krippengeld „tut Familien richtig gut“, schwärmte Aiwanger einst

Vorangetrieben haben die Einführung eines Krippengelds einst die Freien Wähler, Söder erklärte am Dienstag nach der Haushaltsklausur auch: „Familiengeld aus CSU-Feder, das Krippengeld aus Feder der Freien Wähler.“ Letztere Leistung war ein zentrales Versprechen der schwarz-orangen Staatsregierung 2018. In ihrem ersten Koalitionsvertrag hatten CSU und FW die Einführung aber noch ohne Einkommensgrenze aufgeführt, diese Idee kam erst im Zuge der Ausgestaltung zum Tragen. „Wir wollen, dass die Kindertagesbetreuung in Bayern allen zugänglich ist“, lobte die damalige Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) und betonte besonders die Entlastung von Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen. FW-Chef Hubert Aiwanger sprach damals von einem „Herzensanliegen“ seiner Partei, „das tut den Familien richtig gut“.

Geradezu einen Skandal sieht denn auch die SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag Doris Rauscher in der Art, wie Söder versucht habe, die wahren Auswirkungen seiner unsozialen Politik zu verschleiern. „Das Krippengeld wird eben nicht halbiert, wie von Söder gestern noch behauptet – die Staatsregierung will es komplett streichen.“ Damit falle die einzige familienpolitische Leistung weg, die gezielt auf Menschen mit niedrigen Einkommen zugeschnitten war, findet Rauscher. Sie rechnet vor, dass durch die vermeintlich harmlose Umschichtung der Gelder in einen anderen Haushaltsposten in Wahrheit überproportional bei Familien gekürzt werde – nämlich um 65 Prozent. Wenn eine Familie mit Familien- und Krippengeld bisher bis zu 8400 Euro erhalten konnte, sind es künftig nur noch 3000. „Das ist absolut unsozial und für Familien ein Schlag ins Gesicht.“ SPD-Fraktionschef Holger Grießhammer fasst das in einer Mitteilung so zusammen: „Jetzt offenbart Sparkommissar Söder sein wahres Gesicht.“

Auch die Grünen empörten sich über die Kürzungen. Junge Familien, die den Aussagen der Regierung vertraut hätten, seien zu Recht enttäuscht, sagte die Sprecherin für Soziales Kerstin Celina. Die CSU und die Freien Wähler hätten in Zeiten, in denen es hohe Einnahmen gab, 4,6 Milliarden Euro mit der Gießkanne ins Land verstreut, und dabei keinen einzigen Kita- oder Krippenplatz zusätzlich geschaffen. „Und jetzt, in der Krise, nehmen CSU und FW den jungen Familien kurzfristig das Geld weg, auf das sie vertraut haben.“

Der AfD-Abgeordnete Roland Magerl sprach von einer „radikalen Kürzung – für alles und jeden ist Geld da, nur für die eigene Bevölkerung nicht“. Bernhard Stiedl, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Bayern, teilte mit, die Betroffenen müssten nun „die strukturellen Versäumnisse der Vergangenheit ausbaden“.

Der bayerische Städtetag begrüßte indes die Entscheidungen des Kabinetts. Durch den Kurswechsel bei der Neuausrichtung beim Landespflegegeld, beim Familiengeld und beim Krippengeld, so der Vorsitzende und Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU), könnten die frei werdenden Mittel in die Strukturen fließen. „Damit kann zum Beispiel die Förderung der Kinderbetreuung ausgebaut und die Qualität von Pflege für die Betroffenen verbessert werden.“ Damit blieben die Kommunen „handlungsfähig“.

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