Kriminalität:Ein schwäbischer Rentner rüstet auf

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Vorsichtig sei er, nicht ängstlich, sagt Walter Westerop, vor ihm seine Gaspistole. Seit im Winter Joggerinnen überfallen wurden, hat sich für ihn alles geändert. (Foto: Lisa Schnell)

Überwachungskameras, Spezialschlösser, Sicherheitselektronik - und neuerdings eine Walther P22: Walter Westerop fühlt sich bedroht. Damit liegt er voll im Trend.

Von Lisa Schnell, Schiltberg

Walter Westerop stellt sich das so vor: Er liegt mit seiner Frau im Bett. Ein Geräusch in der Dunkelheit. Westerop öffnet die Schublade von seinem Nachtkästchen: eine Schale mit Hustenbonbons und ein Schlüssel. Mit dem Schlüssel sperrt er die grüne Geldkassette auf, die neben seiner weißen Feinrippwäsche im Schrank liegt. Er nimmt seine Waffe, eine Gaspistole, Walther P22, legt das Magazin ein, zuerst Schreckpatronen, dann Gas.

Den Finger am Abzug, geht er in die Garage. Ein Mann hantiert an seinem Autoradio. Westerop hebt die Pistole in die Luft, drückt ab: ein lauter Knall. Der Mann läuft weg, Westerop stellt sich ihm in den Weg. Er will sein Autoradio. Der Mann hebt den Schraubenschlüssel in seiner Hand, stürzt auf Westerop zu. Und der: schießt.

So oder so ähnlich könnte es aussehen, wenn Westerop, 64, zum ersten Mal mit seiner Gaspistole auf einen Menschen schießt. Vor einem Jahr kaufte er sich die Waffe, weil er sich nicht mehr sicher fühlte. Er war nicht alleine mit seiner Angst. Fast 33 200 Bayern hatten 2016 einen kleinen Waffenschein, fast sechsmal so viele wie ein Jahr zuvor. Sie dürfen damit Gas- und Signalwaffen immer mit dabeihaben, wenn sie Munition und Pistole getrennt tragen und nicht auf öffentliche Veranstaltungen gehen. Feuern aber dürfen sie nur in Notsituationen. Westerop meint, er könnte schon mal in Not kommen.

SZ-Grafik; Quelle: SZ-Recherche, Bayerisches Innenministerium (Foto: tr)

Er und seine Frau wohnen in einem Einfamilienhaus im Schiltberger Ortsteil Rapperzell bei Augsburg. Zwei Straßen, Planschbecken hinter Jägerzäunen, ein Maibaum, weite Felder, ab und zu ein alter Bauernhof. Vor Westerops Haustür sitzt ein Buddha, auf dem Fußabstreifer das Bild einer schlafenden Katze. Bis auf die Koi in seinem Naturteich bewegt sich hier meistens nicht viel. Falls doch, kriegt Westerop es mit. Sechs Überwachungskameras hat er installiert, für 1100 Quadratmeter. Gegenüber von seinem Bett leuchten rote und grüne Lichter, damit er weiß, welche Türen verschlossen sind. Die Haustür hat ein spezielles Schloss, das alle zehn Minuten automatisch verriegelt.

Etwas ängstlich vielleicht? Vorsichtig sei er, sagt Westerop. Und ein Technikfreak. Früher bastelte er als Nachrichtentechniker an Telefonen herum, jetzt programmiert er als Rentner, was man an einem Haus programmieren kann: Türen, Kameras, Jalousien. Codes, Dioden, das fasziniere ihn, Waffen aber nicht. Er ist nicht im Schützenverein, als Kind freute er sich, wenn der Cowboy-Colt "puff, puff" machte, mehr nicht. "Ich bin ein gutmütiger Mensch, der den Menschen vertraut", sagt er. Sein Garagentor ließ er immer offen, 25 Jahre lang, bis letzten Winter.

Da kreisten auf einmal Polizeihelikopter über seinem Haus, blinkten in seiner Straße die Blaulichter. Im Waldstück, ein paar Meter entfernt, hatte ein 15-Jähriger drei Joggerinnen mit einem Brotmesser bedroht. Er wollte Geld und Handys, einer von ihnen steckte er die Hände in die Unterhose. Alle Frauen konnten entkommen. Sexuelle Nötigung heißt es in der Anklage.

In Westerops Erinnerung wurden die Frauen vergewaltigt. Seine eigene Frau traut sich seitdem kaum mehr, ein Bier aus der Garage zu holen. Für sie ist die Bedrohung immer noch da, gleich um die Ecke. Ein paar Meter weiter den Gartenzaun entlang wohnte der Täter in einem Heim für Jugendliche. Er war ein Asylbewerber aus Syrien. Jetzt beginnt Westerop in Anführungsstrichen zu sprechen.

Im Heim seien "alle - in Anführungsstrichen - Ausländer", sagt er. Eigentlich habe er gegen die nichts. Wer vor Bomben fliehe, der könne gern hier bleiben. Aber den Asylbewerbern werde schon "alles hinten rein geschoben", sagt Westerop - ohne Anführungsstriche. Die Jugendlichen hingen nur rum, vielleicht traumatisiert ohne richtige Betreuung, da habe er schon ein mulmiges Gefühl. Der Einbrecher in der Garage ist in seiner Vorstellung ein ausländischer Jugendlicher aus dem Heim.

Dort sitzen zwei Jungs unter einer Laube auf der Bank. Von den acht Bewohnern seien drei Flüchtlinge, keiner von ihnen traumatisiert, sagt Leiterin Gerda Albrecht-Arbaugh. Tag und Nacht sei das Haus betreut, auf zwei Jugendliche käme ein Betreuer. Seit der Tat im Januar 2016 habe es keinen vergleichbaren Fall gegeben. Die sei wohl passiert, weil sie trotz ihrer Bemühungen keinen Therapieplatz für den Täter finden konnten.

Albrecht-Arbaugh mag keine Waffen, versteht aber jeden, der sich absichern will. Sie wünscht sich aber auch, dass Nachbarn mit ihren Befürchtungen zu ihr kommen. Mit den Jugendlichen hat Westerop noch nie gesprochen. Man verstehe sie nicht. Die Ausländer sähen für ihn alle gleich aus. Wenn sie aber im Bus an ihm vorbeifahren, dann winke er.

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Dass er jetzt eine Waffe hat, scheint kaum jemand seltsam zu finden. Nicht die Leiterin des Jugendheims, nicht seine Nachbarin Susanne Förster, die nebenan den Gartenschlauch anwirft. Hier ein Anschlag, da Terror, dann der Junge mit dem Messer auf ihrer Joggingstrecke. Auch sie hat eine Waffe. Die Tochter schickt sie zum Kampfsport. Mindestens einen Ort aber gibt es im Landkreis Aichach-Friedberg, an dem man das ein wenig anders sieht.

In der Polizeistation lädt Peter Löffler zum Kirschsaft. Dass die Gegend gefährlicher geworden sei, könne er nicht bestätigen. Eine Gaspistole brauche man sicher nicht. Ihr Besitz berge sogar Risiken: Da sie von einer echten Waffe kaum zu unterscheiden ist, kann es zu gefährlichen Missverständnissen kommen. Zudem ist sie nicht ungefährlich.

Direkt am Kopf angesetzt, schlägt sie ein Loch in den Schädel. Drückt man zu nah vor den Augen ab, kann sie das Augenlicht nehmen. Westerop wusste das nicht. Als er davon in einem Fernsehbeitrag erfuhr, war er erstaunt. Deshalb sollte jeder, der einen kleinen Waffenschein beantragt, auch einen Kurs machen müssen, findet er. Er selbst hat einmal geübt mit seiner Waffe bei einer Grillparty von einem Freund, der sich auskenne. Als der erste Schuss in den Himmel donnerte, ist Westerop zusammengezuckt. Dreimal hat er dann noch abgedrückt. Seitdem liegt die Waffe neben seiner Wäsche im Schrank.

Davon aber, dass er im Ernstfall die Lage im Griff hat, ist Westerop überzeugt.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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