Veteranen über den Zweiten Weltkrieg:"Jetzt bin ich ein Kämpfer für den Frieden"

Fronteinsätze, Gefangenschaft, schwerste Verwundungen und sterbende Kameraden: Vier Veteranen erzählen vom Grauen des Zweiten Weltkrieges - und wie stets der Zufall über Leben und Tod entschieden hat.

Protokolle von Vinzent-Vitus Leitgeb

Valentin Mayer, 97: "Jetzt bin ich ein Kämpfer für den Frieden."

Junge Menschen fragen mich heute immer, warum wir Soldaten denn nicht einfach aufgehört haben. Das war gar nicht möglich. Du hast deinem Schicksal nicht entrinnen können. Entweder haben dich vorne die Russen erwischt oder hinten die SS-Leute. 1945 musste ich aus dem Genesungsurlaub zurück an die Front. Mein Vater hat gesagt: "Bleib daheim, wir verstecken dich. Der Krieg dauert nicht mehr lange." Aber ich konnte nicht. Die hätten mich an die Wand gestellt. Dass das sinnlos war, habe ich schon lange gewusst.

In einer Nacht ganz zum Schluss des Kriegs wurden wir gefangen genommen. Ich habe gesagt: "Wir hauen ab!" Nur einer kam mit. Wir haben beobachtet, wann die Wache herumgeht und sind dann gelaufen. Wir mussten bei minus 15 Grad ein Moor überqueren, sind immer wieder eingebrochen, weil das Eis nicht gehalten hat. Mit einem Ast haben wir uns wieder rausgezogen, sind am Bauch weiter gerobbt, waren klitschnass. Auf die Straße konnten wir nicht, da waren die Russen.

Wir sind also drei Tage durch die Wälder, bis wir wieder deutsche Truppen erreicht haben. Wir hatten aber kein Soldbuch mehr und plötzlich war die SS da. Die Leuten hingen schon reihenweise an den Bäumen. Mich haben sie auch als Feigling bezeichnet. Ich bin schon mit einem Strick um dem Hals auf einer Munitionskiste unter dem Baum gestanden. Da ist ein hoher General gekommen. Aufgrund meiner Auszeichnungen wurde ich in letzter Minute freigelassen.

Sieben Mal wurde ich verwundet. Drei Mal ganz schwer. Ich habe gedacht, den Krieg überlebst du nicht mehr. In Riga habe ich einen Querschläger rein bekommen. Der hat mir die Brustseite aufgerissen. Immer wenn ich den Arm gehoben habe, hat mir der Lungenzipfel rausgeschaut. Erst nach fünf Tagen war ich in Behandlung. Ich bin damit noch auf ein Sturmgeschütz geklettert. Einmal habe ich einen Schuss in den Fuß bekommen, ich bin kriechend zurück. Bei der Behandlung haben mich fünf Männer festgehalten, ich hatte ein Holz zum Draufbeißen, keine Narkose und sie zogen mir den Splitter raus.

Nach dem Krieg habe ich Bekanntschaft gemacht mit russischen Veteranen. Da hat sich eine Freundschaft entwickelt. Zehn Mal haben wir sie besucht. Genau da, wo unser Vormarsch im Krieg zum Stehen gekommen ist. Am Anfang war das ein bisschen komisch, dann aber hervorragend. Ich habe immer erzählt, dass ich da Soldat war. Und die müssen uns ja hassen wie die Pest. Das ganze Land bis Moskau wurde vernichtet. Die Russen waren danach aber immer freundlich. Nur so habe ich den Krieg persönlich bewältigt. Als Adenauer die Wehrpflicht eingeführt hat, bin ich aus der CSU ausgetreten. Ich war begeisterter Soldat, jetzt bin ich ein Kämpfer für den Frieden.

Engelbert Kainzinger, 99: "Ich war den ganzen Krieg an der Front."

Ich hatte Dutzende Kameraden in den Armen, die verwundet waren und gestorben sind. Dann habe ich gedacht: Als nächster könnte ich dran sein. Einmal, 1942 an der Ostfront, war zum Beispiel ein wahnsinniges Artilleriefeuer. Ringsherum sind Hunderte gefallen. Ich war kurz bei einem Freund im Schützenloch, beim Simmerl. Der hatte bald einen Sonderurlaub, weil seine Braut ein Kind bekam und er heiraten sollte. Ich habe ihm gesagt: "Wenn du heimkommst, geh zu meinen Schwestern, erzähl ihnen, wie es uns so geht." Dann spring ich rüber in mein Loch, keine 20 Meter weiter drüben, und höre schon eine Granate fallen. Ich bin in Deckung gegangen, es kracht, und genau da, wo der Simmerl war, hat es geraucht. Ich bin sofort wieder rüber. Er war komplett zerfetzt, da war nichts mehr übrig. Zehn Sekunden vorher war ich noch selbst da. Ich habe nur noch geweint.

Persönlich habe ich sieben Panzer abgeschossen, mit meiner Einheit 33 Panzer. Es hat uns leid getan, dass wir Menschen umbringen mussten. Ich weiß nicht, wie viele durch meine Panzer starben. Aber ich weiß: Wer sich vor dem Krieg drückte, ist erschossen worden. Wir haben einfach gehofft, dass wir durchkommen.

Ich war den ganzen Krieg über nur an der Front, außer in den Zeiten, in denen ich im Lazarett war. Dreimal bin ich im Panzer abgeschossen worden und hatte das Glück, dass ich lebend rauskam. Bei meiner ersten Verwundung hatte ich 33 Granatsplitter im Körper, das war lebensgefährlich. Ich kam ins Feldlazarett, das dann bombardiert wurde, sämtliche Ärzte fielen. Ich sollte in einem Lazarettzug weggeschickt werden, habe mich aber geweigert. Ich wollte nicht so wehrlos umkommen. Und ich hatte recht: Am nächsten Tag haben sie erzählt, dass alle im Lazarettzug von Partisanen ermordet wurden. Der nächste Zug mit mir ist durchgekommen, in Begleitung von vier Flugabwehrkanonen.

Am Kriegsende haben wir vor den Amerikanern kapituliert. Doch 14 Tage später lieferten sie uns an die Russen aus. Drei Jahre war ich in Gefangenschaft. Wir mussten schwer in einem Wald arbeiten. 1945 schneite es schon im Oktober. Einem Gefangenen haben sie seine Stiefel ausgezogen. Er wollte sie nicht hergeben, sie haben ihn erschossen. Mir wollten sie die schwarze Panzerjacke ausziehen, es hatte aber minus 15 Grad. Ich habe um eine andere gebeten, weil ich sonst erfroren wäre.

Den Krieg, die Gefangenschaft, das vergisst man nicht. Die Angriffe, die Abwehr. Ich habe zehn Jahre meines Lebens total verloren. Alle meine drei Brüder sind gefallen. Als ich aus der Gefangenschaft zurückgekommen bin, habe ich keine Hilfe vom Staat bekommen. Ich stand vor dem Nichts, hatte noch Granatsplitter im Körper. Und dann hatte ich eine Operation am Magen. Der Fraß aus der Gefangenschaft hat ihn ruiniert. Hören kann ich seit der Zeit bei der Panzerabwehr nur noch ganz schlecht. Nach jedem Angriff war ich zwei bis drei Tage komplett taub. Heute höre ich nur noch Gekreische, selbst mit Hörgerät.

Marolf Turban, 90: "Dann ging das Weinen für mich los."

Ich war noch nicht einmal im Stimmbruch, als ich 1943 zur Flugabwehr nach Friedrichshafen kam - mit 15 ½ Jahren. Das war früh, aber ich hatte in der Grundschule eine Klasse übersprungen. Irgendwann wurden wir klassenweise eingezogen, und natürlich hat niemand gefragt, wie alt ich bin. Dann ging das Weinen für mich los. Ich bin nur sehr mühsam damit fertig geworden, wenn wir einen Flieger über dem Bodensee abgeschossen haben. Das habe ich nicht verstanden. Ich habe nur gedacht: "Der hat ja auch eine Mutter."

1944 ist mein Bruder gefallen, direkt, als er in Frankreich ankam. Durch einen Kopfschuss. Ich selbst wurde als Grenadier in die Infanterie verlegt. Da gab es noch so einen Sensiblen wie mich. Ich hatte durch die Erlebnisse an der Flak nur schon mehr gelernt als er. Er war Student in der Hohner Ziehharmonikafabrik, hat wunderbare klassische Stücke gespielt und wollte nur das machen, sonst nichts. Die Kriegsübungen hat er einfach nicht ausgehalten.

Plötzlich, als wir einmal in unserer Gemeinschaftsunterkunft standen, knallte es. Er fiel tot um. Schon mehrmals hatte er mich nach Wegen gefragt sich umzubringen. Und ich habe immer versucht, ihn zu trösten: "Denk doch an deine Mutter, die hat schon einen Sohn verloren." Aber es ist doch passiert.

Als die Mutter kam und die Beerdigung war, musste ich die Trauerrede halten. Immer noch mit hoher Stimme. Sie hat mich noch nach dem Krieg oft besucht. "Ach", hat sie gesagt. "Du bist halt jetzt auch ein bisschen mein Sohn."

Dann kam ich auf die Offiziersschule in Schwäbisch-Gmünd, als die Front im Westen am Neckar einbrach. Da wurde schleunigst alles, was man hatte, mit einem Sonderzug hingeschickt. Den ersten habe ich verpasst. Kurz davor war ein General zu Besuch, der Geburtstag hatte. Ich hatte mit einem rasch geliehenen Cello den Abend begleitet und war deshalb noch beschäftigt. Die gesamte Einheit aus dem ersten Zug ist absolut erledigt gewesen. Es ist vermutlich keiner durchgekommen.

Als wir hinterher kamen, ging es auch sehr übel zu. Wir hatten bald keine Munition mehr, keinen Nachschub. Es löste sich komplett auf. Bei einem Kampf sind um mich herum sehr viele gefallen. Ich bin dann einfach in einen Wald nach hinten gerannt. Dort bin ich einem Offizier in die Arme gelaufen. Der sagte rührend: "Geh Bub, wo ist denn deine Mutti?" Dann hat er mir den Munitionsgürtel abgenommen und mich zu einem Kloster in der Nähe geschickt. Dort haben sie mich in einen lila Anzug gesteckt und satt gefüttert. Sie haben mir gesagt, ich solle um Gotteswillen, wenn ich nach Hause laufe, Schauspieler sein und weinen. Und den Franzosen sagen: Ich sei deportiert worden, ich gehöre eigentlich in die Klosterschule, zu der ich wieder muss. Das habe ich mehrmals gemacht, und es hat funktioniert. Dann war ich zu Hause. In dieser Zeit ist meine Stimme dunkel geworden.

Werner Eckhardt, 92: "Es war falsch, was wir getan haben."

Meine Eltern waren entsetzt, als der Krieg ausbrach. Mein Vater hatte im Ersten Weltkrieg vier Jahre lang kämpfen müssen. Der einzige Bruder meiner Mutter war 1918 in Russland gefallen. Nun, 1939, waren ihre beiden Söhne 13 und 14 Jahre alt und in Gefahr, bald eingezogen zu werden. Als dann Polen, Frankreich, Jugoslawien und sogar Russland überrollt wurden, waren wir begeistert. Wir haben gedacht: Der Krieg ist gewonnen. Als Segelflieger meldete ich mich mit 16 zur Luftwaffe. Ich wollte Jagdflieger werden, um die mörderischen Bomber abzuwehren, die 1943 die deutschen Städte zerstörten. Meine Pilotenausbildung wurde aber 1944 abgebrochen. Ich wurde Fallschirmjäger.

Da brach die Normandiefront zusammen. Die Panzerarmee Montgomerys stieß auf Deutschland zu, ohne echte Gegenwehr. Wir wurden alarmiert. Fast nur mit Handfeuerwaffen brachten wir die Panzer zum Stehen, mit wahnsinnigem Opfermut. Nach den ersten drei Kampftagen waren nur noch zehn Prozent von uns am Leben. Als einziger der Kompanie wurde ich mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Nicht, weil die anderen weniger tapfer waren, sondern weil sie alle tot waren. Damals wusste ich nicht, dass unser Widerstand sinnlos war, denn hinter uns wurden die deutschen Städte zerbombt, Tausende Frauen, Kinder und Alte getötet.

Ende November 1944 kam ich ins Lazarett und entging so der Ardennen-Offensive. Erst im März 1945 wurde ich wieder in den Kampf geschickt. Wir kämpften jetzt nicht mehr so verbissen wie noch im letzten Herbst. Jeder wusste, dass der Krieg verloren war. Wir versuchten mit möglichst wenigen Opfern zu überleben. Trotzdem wurde ich am 18. April 1945 ein zweites Mal verwundet. Die Infektion flammt immer noch ab und zu auf - zuletzt als ich 88 Jahre alt war.

Nach den schrecklichen Kriegserlebnissen war ich verstört und selbstverständlich überzeugter Pazifist. Nicht erst 1968, sondern gleich 1945, haben wir uns vom Nationalsozialismus abgewendet, der uns in die schlimmste Katastrophe geführt hatte. Die Erinnerung an den Krieg verursachte uns schlimme Albträume, also haben wir uns der Zukunft zugewendet. Wir sollten "Aufbaugeneration" genannt werden. Dass wir unbedingt Frieden gehalten haben, darauf bin ich stolz.

Es war unsere Pflicht, das geschenkte Leben sinnvoll zu leben. Jeder muss seinen Begabungen folgen und sie am Ende des Lebens zurückfließen lassen in den allgemeinen göttlichen Geist. Ich selbst wurde Architekt. Meine zweite Begabung war die Grafik. Von Kindesbeinen an war ich ein eifriger Zeichner. Mit meinem Schulfreund Herrmann habe ich im Gymnasium einen freundschaftlichen Zeichenwettbewerb geführt. Er wurde nach einer kurzen Infanterieausbildung auf den Balkan geschickt und als vermisst gemeldet. Die verzweifelten Eltern hofften immer, dass er heimkehrt. Als sein Vater in den Sechzigerjahren starb, war in der Todesanzeige Herrmann als Trauernder aufgeführt. Sie wollten es nicht wahrhaben. Dass ein so begabter junger Mann umgebracht wurde, das ergibt keinen Sinn.

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