Kratzers Wortschatz:Wenn die Sau Tartuffo frisst

Was haben Gromben, Erdäpfel, Grundbirnen und Tartuffo gemeinsam? Sie zählen zu den liebsten Nahrungsmitteln von Deutschen und Schweinen - und haben in fast jeder Gegend Bayerns einen anderen Namen.

SZ-Autor Hans Kratzer erklärt Begriffe der bairischen Sprache.

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Tierfreundliche Schweinehaltung in Niederlande

Quelle: dpa

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Erdäpfel

Am Wochenende ist bekannt geworden, dass ein Kartoffel-Kartell durch Preisabsprachen Bauern und Verbraucher um viele Millionen Euro geschädigt haben soll. Die Kartoffel ist eines der beliebtesten Nahrungsmittel, auch wenn manche sie erst zu sich nehmen, nachdem die Sau sie gefressen hat.

Im ländlichen Bayern trägt die Kartoffel auch andere Namen, was mit ihrer Herkunft zusammenhängt. Als sie im 16. Jahrhundert aus Südamerika importiert wurde, nannte man sie Erdapfel. Dieser Name taucht als erdaphul oder erdephil schon im Althochdeutschen auf, aber nur als Bezeichnung für Knollengewächse, die wie in der Erde wachsende Äpfel ausschauten.

Ein früher Beleg für Erdapfel in der Bedeutung Kartoffel stammt aus dem Jahr 1680. In Franken heißt die Kartoffel noch heute Erpfl und Arpfl. Eadöpfi und Eadepfa sind altbayerische Varianten.

Kartoffeln

Quelle: dpa

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Erd-, Grund-, Bodenbirnen

Neben Erdapfel sind in Bayern auch die Begriffe Erd-, Grund- und Bodenbirne als Kartoffel-Synonyme verbreitet. In Mittelfranken und Schwaben sind die dazugehörigen Lautformen Ebban, Eabra und Äachbere zu hören.

Die in Unterfranken und in Gebieten Schwabens und Oberbayerns bekannte Grundbirne heißt in der Mundart Gromben, Grumbbra und Grumbrö. Boodebire und Boodebiar für Bodenbirne sind vom Lechrain bis zum Bodensee belegt.

Erst im 18. Jahrhundert trat das Wort Kartoffel in Konkurrenz dazu. Es stammt von der Tartuffel her (italienisch: tartufo, Trüffel). Tartufoli waren über Spanien und Italien in den deutschsprachigen Raum gekommen und hatten mit Erdäpfeln zunächst nichts zu tun. Vielleicht wollte man die Erdäpfel mit dem Wort Tartoffel/Kartoffel aufwerten.

In Bayern wurde der Kartoffel-Anbau 1772 nach einer Hungersnot angeordnet. Während das Wort Erdapfel in Bayern langsam aus dem Alltag verschwindet, erfreut es sich in Österreich anhaltender Beliebtheit.

Die weibliche Kartoffel ist ein Zugeständnis an deutsche Marotten. Alteingesessene Bayern bevorzugen die männliche Form (der Kadoffe), womit sie sich ans maskuline tartufo halten.

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Quelle: Marco Einfeldt

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Er befällt Politiker genauso wie Fußballer - und wer im Finanzgewerbe arbeitet, ist sowieso betroffen: der Ruach macht vor niemandem Halt. Und er verwandelt Menschen in raffgierige Wesen mit Euro- und Dollarzeichen in den Augen. SZ-Autor Hans Kratzer erklärt Begriffe aus dem Bairischen.

Baaz 

In einigen Tageszeitungen war zuletzt öfter das urtümliche Wort Baaz zu lesen, allerdings meistens in der Schreibweise Batz, die etwas in die Irre führt. Denn Baaz spricht man nicht mit kurzem, sondern mit einem lang gezogenen hellen a aus. Man artikuliert es so gedehnt wie es der Konsistenz des Baazes entspricht: Dieser fühlt sich nämlich schmierig, weich und breiartig an.

Unwillkürlich taucht beim Baaz ein Bild aus alten Zeiten vor dem geistigen Auge auf, als die Kinder wie die Wildschweine am liebsten mit dem Baaz spielten. Was gab es Schöneres, als mit den Fingern in die feuchte Erde zu fahren, bis der Baaz buchstäblich zwischen den Fingern hervorquoll.

Diese Urerfahrung war besonders populär am Kommuniontag, wenn es geregnet hatte, und sich die Dorfjugend nach der Andacht im weißen Kommunionkleid und im neuen Anzug dem Dreckbaazen hingab. Kleidungstechnisch endete alles im Chaos, es war, als hätte man ein Kunstwerk mit Erde beschmiert. Aber nicht nur Wäsche und Wände kann man vollbaazen.

"Den hods dabaazt" (oder dabräselt) heißt es lakonisch im Dialekt, wenn ein Mensch einen schweren Unfall erleidet. Ein Synonym für Baaz ist das Wort Letten. Als die Fußballplätze noch Krautäckern glichen, waren die Strafräume oft voller Letten, da wuchs kein Gras mehr.

Eine Portion Obzda in einem Biergarten

Quelle: Marco Einfeldt

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Batzen Ein Batzen (dunkles a) ist ein unförmiger Klumpen, der aus Erde bestehen kann, aber nicht muss. In Zehetners Wörterbuch "Bairisches Deutsch" wird dazu Achternbusch zitiert: "Ich bin für Dich nur ein Batzen Fleisch." Der Obatzte wiederum ist ein Camembert, der mit Butter, Zwiebeln und Bier zu einem Baaz verrührt wird.

Der Batzen hat auch monetäre Bedeutung. Bei Politikern, Fußballern und Finanzlern geht es stets um einen Batzen Geld. Ein Batzen im Schulheft (Tintenklecks) wirft ebenfalls Zinsen ab: "Für jeden Batzen eine Tatzen", lautet ein Volksspruch.  Hans Kratzer

Hoeneß und Seehofer

Quelle: Alexandra Beier/dpa

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Ruach

Die Herren Hoeneß und Schmid sowie diverse Landespolitiker stehen wegen anrüchiger Finanzangelegenheiten am Pranger. So honorig kann ein Mensch also gar nicht sein, dass er gegen den Ruach gefeit ist. Dieses zeitlose Wort bringt die aktuelle Misere auf den Punkt: Der Ruach lauert überall, er lockt uns wie die verführerischen Sirenen den Odysseus. Kein Wunder, dass die Geiz-ist-geil-Kampagne gewissenloser Werbestrategen vor allem den Ruach und den Pfennigfuchser im Visier hatte.

Ein Ruach ist ein habgieriger Mensch, der zusammenrafft, was leicht hergeht. Am Buffet ist der Ruach schnell zu identifizieren, denn er schaufelt viel mehr auf seinen Teller, als sein Magen aufnehmen kann.

Die Biermösl Blosn hatte einst den Sankt Ruach als Leitfigur von Kommunalpolitikern ausgemacht, die am liebsten jeden Krautacker in ein steuerträchtiges Gewerbegebiet umwandeln würden.

Wir begegnen diesem vielsagenden Wort schon im mittelhochdeutschen ruoch, nur war es damals noch positiv besetzt (Sorge, Sorgfalt). Als "ruochelos" wurde ein sorgloser und unbekümmerter Mensch bezeichnet.

Heute ist die Bedeutung auf jene Sorgfalt eingeengt, die man dem eigenen Wohlstand zuwendet, wie der Sprachforscher Ludwig Merkle trefflich feststellte. Von den nimmersatten Spekulanten, Boni-Empfängern und Zockern im Finanzgewerbe sagt man, ihnen sitze der Ruach im Gnack (Genick).

Erstaunlicherweise ereifert sich das Volk über den Ruach der Politiker, nicht aber über den der Fußballer. Vielleicht, weil der Ruach im Profisport religiöse Züge trägt. Vereinstreue, Sportkameradschaft, Fairness, das gab's früher. Heute zählen die Millionen auf dem Konto. Olympia- und Fußball-Business sind komplett vom Ruach kontaminiert. Verkörpert wird er von ausgschamten Managern und deren Zöglingen in den Arenen, die allesamt Euro- und Dollarzeichen in den Augen haben.

Borussia Dortmund - Real Madrid

Quelle: dpa

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ausgschamt

Menschen, die materiell nicht genug kriegen und den eigenen Vorteil über alles stellen, werden im Dialekt als ausgschamt (unverschämt, helles a) bezeichnet. Beim Spielertransfer-Zinnober zwischen Borussia Dortmund und Bayern München sind offensichtlich viele Ausgschamte am Werk, nur werden sie für ihr egoistisches Geschachere auch noch bewundert.

Weniger angesehen sind jene ausgschamten Steuererhöher in den Parlamenten und Parteien, die den Leuten in volatilen Zeiten das dringend benötigte Geld aus der Tasche ziehen wollen, um es mit Protzprojekten planlos zu verprassen, ausgschamter geht's wirklich nicht mehr.

CSU, Horst Seehofer

Quelle: dpa

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Schanzerl

Zahlreiche Spitzenpolitiker der CSU haben eine Lücke im Abgeordnetengesetz ausgenützt und Familienmitglieder gegen staatliche Bezahlung für sich arbeiten lassen. Um eine moralische Beschädigung von der Staatsregierung abzuwenden, hat Ministerpräsident Horst Seehofer seine Schäflein ermahnt, solche Arbeitsverträge umgehend zu kündigen.

Seinen Lieben kleine Vorteile (Gutserl) zu verschaffen und damit das Leben monetär etwas aufzuhellen, ist freilich nicht nur in der CSU ein beliebter Brauch. Das Bairische kennt dafür sogar eine eigene Redewendung: jemandem ein Schanzerl zuschieben.

Die Gwappelten haben natürlich Vorteile, denn man muss ja erst einmal an einer Schaltstelle der Macht oder des Geldes sitzen, um überhaupt jemandem ein Schanzerl gewähren zu können. Man gibt dem oder der Vertrauten zum Beispiel Posten, Aufgabe oder Ämter, die bei relativ geringem Aufwand einigermaßen einträglich sind.

Zugrunde liegt dem Wort Schanzerl, das mit hellem a gesprochen wird, das französische chance (Glücksfall), das mit dem bairischem Suffix -erl versehen wird und dem Ganzen damit eine augenzwinkernde und moralische Zweifel überdeckende Note verleiht.

Das Verb zuschanzen (jemandem einen Vorteil verschaffen) war im Mittelhochdeutschen mit dem Kartenspiel verknüpft, wo die Vorteilsnahme auch nicht immer mit den Regeln übereinstimmt. Dass man seinen Lieben im harten Alltag ein Schanzerl zuzustecken versucht, ist im Zeitalter des rücksichtslosen Finanzkapitalismus vermutlich eine logische Konsequenz.

Braunschweiger Kater taucht nach 17 Monaten in Berlin wieder auf

Quelle: dpa

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Schwing di!

Aggressive und in der Fernsehsprache übliche Imperative wie Hau ab!, Zieh Leine! und Verpiss dich! haben im Bairischen gemütlicher klingende Entsprechungen wie Zupf di! und Schleich di!.

SZ-Leser Johann Wendelin Heiß erinnert ergänzend dazu an den alten Ausdruck Schwing di!. Für seinen Kater, so schreibt er, gebrauche er aber die unter diesen drei Ausdrücken einzig mögliche stärkere Form "Vazupf di!".

Butterbrot, 2009

Quelle: Alessandra Schellnegger

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der Butter

Ein junger, aus dem Norden zugereister Akademiker hat sich in einer oberbayerischen Lokalzeitung über hiesige Sprachgewohnheiten lustig gemacht. Er bemühe sich sehr, den Bayern richtiges Sprechen beizubringen und lächerliche Genusfehler wie "der Butter" auszutreiben, erklärte er in wohlbestallter Überheblichkeit bei einer Umfrage des Blattes. Mit Blick auf das Beispiel Butter ist jeder sprachliche Überlegenheitsdünkel unangebracht.

In Abweichungen von der Standardsprache wie bei "der Butter" kommt vielmehr die grammatikalische Feinsinnigkeit des süddeutsch-österreichischen Kulturkreises zum Ausdruck, auch wenn die Duden-Redaktion auf "die Butter" beharrt.

"Für uns Süddeutsche ist's ein wahres Unglück, daß Butter, welcher früher männlich war und in Schwaben, Bayern, Österreich annoch ist, hinter unserm Rücken weiblich wurde", hat Ludwig Steub schon 1862 in seinen "Wanderungen im bayerischen Gebirge" geklagt. "Die Sennerin lacht sich zwar schief, wenn ein Norddeutscher "die gute Butter" lobt, aber was hilft uns das?"

Tatsache ist, dass das Wort Butter in den meisten Kultursprachen Europas maskulin ist. Die Franzosen sagen beispielsweise "le beurre" und die Italiener "il burro", was nichts anderes als "der Butter" heißt. Bei den alten Griechen war Butter (butyron) ein Neutrum, ebenso im Lateinischen (butyrum). Beim Übergang zu den romanischen Sprachen wurde das Wort mit dem männlichen Artikel versehen.

Auch die Bajuwaren übernahmen dieses Genus, das in Süddeutschland bis heute Bestand hat und sich - im Gegensatz zum deutschen Standard "die Butter" - nahtlos in den europäischen Sprachkontext einfügt.

Nachtrag:

SZ-Leser Wolfgang Thoma merkt über die in Bayern gebräuchliche maskuline Form "der Butter" an, der Neutrumplural butira, aufgefasst als Femininum, ergebe die Butter - analog zum Neutrumplural poma, -orum (Obst), das als Femininum zu (französisch) la pomme wird. Vermutlich wurde das bairische "der Butter" aus dem Ablativ der Nebenform buturum übernommen, glaubt Thoma, der so argumentiert: "Bekanntlich ist der vulgärlateinische Ablativ Ausgangspunkt für die neolateinischen Sprachen - im Italienischen wird numerus zu numero, animal zu animale, pars zu parte usw."

Schokolade

Quelle: iStockphoto/Sergey Lavrentev

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der Schoklaad

Neben dem Butter weichen im Bairischen viele weitere Substantive hinsichtlich des Geschlechts von ihren standarddeutschen Entsprechungen ab.

Der Germanist Hans Ulrich Schmid (Universität Leipzig) listet in seinem neuen Bairisch-Lehrbuch eine lange Liste von eigenen bairischen Genusformen auf, etwa der Radio (nicht das Radio), das Marmelad (nicht die Marmelade), das Teller (nicht der Teller), das Limo (nicht die Limo), der Zwiefel (nicht die Zwiebel), der Kartoffel (nicht die Kartoffel), der Weps (nicht die Wespe) und nicht zuletzt der Schoklaad oder Schokalad, wie Schmid ihn nennt (nicht die Schokolade).

Die Ursachen liegen nicht in der Geistesverfassung der Dialektsprecher, sagt Schmid, sondern seien rein sprachlicher Natur. Schokolade könne man als Tafel (Femininum) kaufen oder in Form eines Riegels (Maskulinum).

Coca-Cola Soft Drinks

Quelle: Bloomberg

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Das Cola

In der Standardsprache heißt es "die Cola", der Bayer und der Österreicher aber empfinden ein Getränk, das dem Kracherl und dem Limo ähnelt, als sächlich: das Cola, das Fanta, das Kwasch.

Vor Jahren warf der Konzern "Red Bull" ein Colagetränk mit dem Werbeslogan "Das Cola von Red Bull" auf den Markt. Halb Deutschland lachte, das sei Sprachverdummung, es heiße die Cola. Die Österreicher sagen jetzt erst recht das Cola, die Bayern neigen eher dazu, sich dem deutschen Standard anzupassen.

Barbie hat Geburtstag

Quelle: dpa

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Dogga

Vergangene Woche stand an dieser Stelle das Kosewort Herzibopperl zur Debatte. Es ist normalerweise einem Menschen zugedacht, zu dem man eine herzliche Zuneigung verspürt. Bei Elfriede Bußmann hat dieser Beitrag die Erinnerung wachgerufen, dass kleine Mädchen früher auch mit dem Kosenamen Boppi geneckt wurden.

Manche behielten diesen Namen sogar als Erwachsene bei und nannten sich Bobby oder Poppy (wie Poppy Eglinger, die ehemalige Trainerin der Münchner Prinzengarde). "Mein Vater benutzte für Puppe auch das Wort Dogga", schreibt Frau Bußmann, "womit er mich ärgern konnte, wenn ich seiner Meinung nach wieder zu sehr herumgedoggerlt habe."

"Du bist putzt ois wia a Dogga", sagte man gerne zu einem eitlen Mädchen. Das Wort Dogga (verwandte Formen: Docke, Dogganandl, wobei Nandl als dialaktale Form von Anna zu verstehen ist) führt uns bis ins Althochdeutsche zurück (tocka), woraus später die Puppe wurde. Im Schwedischen heißt die Puppe noch heute docka.

Auch Andreas Zaupser listet in seinem "Bairischen Wörterbuch" von 1789 das Wort Docken (Puppe) auf. In Vergessenheit geraten ist das dazugehörige Verb dockeln, das zum Ausdruck brachte: Hier spielt ein Kind mit einer oder mehreren Puppen.

Schule

Quelle: iStockphoto

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Herzibopperl

Dass bairische Wörter auch in Amerika auf Interesse stoßen, belegt das Beispiel von Frau Charlotte Brancaforte aus New Orleans. Sie nimmt, wie sie uns schriftlich kundgetan hat, regen Anteil an dieser Kolumne. Es betrübt sie freilich, dass das Wort Herzibopperl noch nicht erklärt wurde, das in ihrer Familie seit 150 Jahren nachgewiesen sei.

Ihre Kinder seien zwar längst erwachsen, schreibt Frau Brancaforte, aber für sie seien sie heute noch ihre Herzibopperl. Damit ist die Bedeutung des Worts schon fast erklärt, denn Herzibopperl ist ein Kosename, mit dem vor allem Kinder bedacht werden, manchmal aber auch die Ehefrau oder die Geliebte.

Der Sprecher bringt mit diesem Wort eine herzliche Zuneigung zum Ausdruck. Überhaupt sind Wortverbindungen mit Herz oft positiv besetzt. Das belegen Beispiele wie herzallerliebst, herzensgut oder das Herzbinkerl, das ein Synonym für das Herzibopperl ist. Mitunter schwingt auch ein bisserl Spott mit, wenn ein verhätscheltes oder verwöhntes Wesen als Herzibopperl tituliert wird.

Gelegentlich neigen auch Vorgesetzte und Lehrer dazu, zu manch einem Herzibopperl nachsichtiger zu sein als zum Rest des Firmen- oder Schulvolks. Diese Erfahrung hat auch der Autor Harald Grill gemacht, der in seinem autobiografischen Roman "gehen lernen" das Resümee zog: "In unserer Klasse sind vier ganz schlimme Ober-Herzipopperln . . ."

In dem Wort steckt unübersehbar die Puppe drin. Was anderswo Püppchen heißt, ist in Bayern eben ein Popperl/Bopperl. Als vor Jahren das schönste bayerische Wort gewählt wurde, schaffte es das Herzibopperl immerhin bis in den engsten Favoritenkreis.

ALLERHEILIGEN

Quelle: Hartmut Pöstges

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Weichbrunn

Speisenweihe, Felderumgang, Osterfeuer - das Osterfest ist voller Rituale, in denen das Weihwasser eine Hauptrolle spielt. Manchmal hört man stattdessen das alte Wort Weichbrunn (mittelhochdeutsch wihbrunne, von wich=heilig und Brunnen), das schon der Prediger Berthold von Regensburg verwendet hat (1210-1272).

Zur Zeit von Wugg Retzers Erzählung "Der Stier von Pocking" (1969) war es noch populär: "An der Tür besprengten sie sich mit Weichbrunn und nahmen eine Handvoll davon mit für die Gräber . . .". 

Beim Verlassen der Kirche tauchte ein Katholik damals die Fingerspitzen in den Weichbrunn-Kessel und bekreuzigte sich. Auch an den Gräbern sind Weichbrunn-Kesserl eingefasst, damit dort getan werde, was ein Spruch aus Tittmoning um 1818 verlangt hat: "Wanns ös durch unsan Freidhof gehts - und dort bei meinen Graberl stehts, - toats mir an Weichbrunn schenka." Allerdings scheuen manche den Friedhof wie der Teufel den Weichbrunn.

Im Nachhinein haben noch mehrere Leser darauf hingewiesen, dass das Besprengen mit Weichbrunn (Weihwasser) nicht nur auf dem Friedhof üblich ist. Traditionsbewusste Familien pflegen den Brauch, an der Wand neben der Haustür oder in der Küche einen kleinen Weichbrunnkessel aufzuhängen. Früher wurden die Kinder jeden Abend vor der Nachtruhe mit Weichbrunn besprengt, und auch vor dem Schulweg erfolgte dieses Zeremoniell.

Mittlerweile ist diese Übung aus der Mode gekommen. Aufgefüllt wurde der Weichbrunnkessel mit geweihtem Nass aus der Pfarrkirche, manchmal auch mit Wasser aus Wallfahrtsorten wie Altötting und Lourdes, wo es bei Gelegenheit in kleine Flaschen abgefüllt wurde. Auch alle Tiere des Hofes wurden mit Weihwasser besprengt, um Schaden von ihnen fernzuhalten.  

wurstsemmel+jetzt.de

Quelle: SZ

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Schrippe

Meistens füllen aussterbende Wörter den Inhalt dieser Kolumne. Diesmal geht es um einen zugewanderten Begriff, der sich zumindest in München anschickt, die altehrwürdige Semmel zu verdrängen. Erstaunlicherweise unter Mithilfe der CSU, die ja unter anderem als Leberkäs- und Semmelpartei populär geworden ist. Doch mit der Hochachtung für die Semmel ist es nicht mehr weit her.

Vergangene Woche gab es beim CSU-Parteitag zwar reichlich Heimatschmalz und Königsschlösser-Brimborium, aber eben auch Currywurst und Schrippen. Bisher waren nur die Münchner Imbissbetreiber als Schrippenkönige bekannt. Wer am Haupt- oder am Ostbahnhof eine Leberkässemmel kauft, liest auf der Rechnung: "Leberkäse und Schrippe".

Der Versuch, auf diese Weise weltstädtisches Flair zu vermitteln, wirkt aber insofern provinziell, als die Schrippe ein Berliner Regionalwort ist, während die Semmel hochsprachlichen Duft verströmt. Vielleicht kümmert sich ja das von Horst Seehofer angekündigte neue Heimatministerium um die Rehabilitierung der Semmel.

Backshops wehren sich gegen Hygiene-Anforderungen

Quelle: dpa

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Semmel

Die Semmel geht auf die alten Römer zurück. Diese brachten einst den Weizen in die Gegend des heutigen Bayern und mahlten daraus feines Weizenmehl, das sie simila nannten. Im Althochdeutschen wurde daraus semela, weißes Brot, während es nördlich des Limes nur roggernes dunkles Brot gab. Der weiße Flaum der Semmel blieb dort lange unbekannt.

Gleichwohl schaffte die Semmel im Gegensatz zur Schrippe und zum Brötchen den Sprung in die Schriftsprache. Goethe sagte einmal zu den Prinzen von Gotha: "Nun, ihr Semmelköpfe, was macht ihr?" Er sagte also nicht Brötchenköpfe.

Und Luther übersetzte eine Stelle im zweiten Buch Mose: "Und es hatte einen Geschmack wie Semmel mit Honig." Selbst der deutsche Sprachpapst machte sich im Gegensatz zur sprachlich orientierungslosen Münchner Imbissgastronomie und zur CSU nichts aus Brötchen und Schrippen.

Mann mit Schnupfen

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Warum spielen auf der Bühne der bayerischen Politik ein Rotzlöffel, ein Herzibopperl und sogar ein Lätschnbene mit? Und wieso waren früher Rotzglocken in Bayern fest etabliert - und Taschentücher verpönt?

Rotzglocke

Langsam weicht der finstere Winter der warmen Märzensonne, aber ausgerechnet jetzt liegen viele Menschen krank darnieder. So manchem Grippeopfer rinnt der Schleim aus der Nase und es bilden sich Rotzglocken. Das mag jetzt unappetitlich klingen, aber früher war die Rotzglocke im gesellschaftlichen Miteinander fest etabliert. Als der Gebrauch von Taschentüchern noch unüblich war, rotzte man den Nasenschleim (althochdeutsch: hroz) ungeniert auf den Boden, indem man einen Nasenflügel per Fingerdruck zuhielt und gleichzeitig kräftig schnaubte.

Kinder ließen den Rotz gerne an der Oberlippe hängen und schleckten die Rotzglocke nur gelegentlich mit der Zunge ab. Liebhaber dieser Technik wurden Rotzglockenläuter genannt. Andere wischten die Rotzglocke lieber am Pulloverärmel ab, was dort zu den delikaten Rotzspiegeln führte. Weniger vornehm erzogene Mädchen schnäuzten sich gerne auch in den Unterrock.

Man muss dabei berücksichtigen, dass das gewöhnliche Volk einst das Taschentuch verachtet hat, denn: "Die reichen Leut' stecken ihren Nasendreck in die Hosentasche hinein." Aus der Feder von Karl Valentin stammt der berühmte Befehl: "Gehe hin und streue Rotzglocken unter das Volk."

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Quelle: Robert Haas

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Rotzlöffel

Von den Rotzglocken-Kindern sind die Schimpfnamen Rotzbua und Rotzdeandl hergeleitet. Aber auch Erwachsene, die sich ungebührlich benehmen, werden gerne als Rotzbua, Rotzlöffel (Löffel = Ohren) oder in der femininen Form als Rotzbibbm bezeichnet. Es spricht viel dafür, dass Ministerpräsident Horst Seehofer seinen Männerfreund Markus Söder als Rotzlöffel (gesprochen: Rotzleffe) betrachtet. Führt man die vermeintliche Sichtweise Seehofers spaßeshalber fort, so spielt auf der Bühne der bayerischen Politik auch noch ein Herzibopperl namens Ilse mit, dazu ein Lätschnbene, eine Bissgurrn, ein Bauernfünfer und ein Loamsieder, deren namentliche Zuordnung sich freilich wie bei all den anderen Ruamschädeln und Drudscherln auf den Hinterbänken jeder selber ausdenken mag.

Eishockey - Deutschland - Kanada

Quelle: dpa

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Hamperer

Der dunkelhäutige und sehr fröhliche Münchner Taxifahrer Isaak Cissé darf jeden Sonntag am Ende der BR-Sendung Blickpunkt Sport das Sportgeschehen der Woche kommentieren. Seine Analysen belegen, dass er den Münchner Dialekt viel virtuoser beherrscht als der Großteil der Stadtbevölkerung. Nachdem die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft der Männer vor Kurzem die Qualifikation für die Olympischen Winterspiele in Sotschi verpasst hatte, lautete das Fazit von Cissé: "Die Eishackler sind Hamperer."

In Altbayern hat der Hamperer eine lange Tradition. Ursprünglich verstand man unter diesem Begriff einen Menschen, der besitzlos war und nur wenig auf die Reihe bekam.

Die Redaktion des Bayerischen Wörterbuchs sieht einen Zusammenhang zwischen Hamperern und Handwerkern, die früher durch die Lande gezogen sind, um auf den Bauernhöfen ihre Dienste anzubieten. So betrachtet, waren Hamperer so etwas wie Gelegenheitsarbeiter.

Heute hat das Wort einen überwiegend negativen Klang. Nicht nur erfolglose Sportler gelten als Hamperer, sondern auch Politiker. Die FDP dürfte sich mit ihrem Umfallen bei den Studiengebühren definitiv den Hamperer-Status gesichert haben.

Ganz zu schweigen von den Pleitebankern, Finanzjongleuren und Glücksrittern im EU-Kosmos, welche wohl die größten Hamperer überhaupt sind.

Herr und Dame, Frankreich, 18. Jahrhundert

Quelle: SZ

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Es gnädig haben

Kürzlich wurde an dieser Stelle erörtert, dass es in der Sprachwelt der Gebrüder Ratzinger das Modewort Stress nicht gibt. Stattdessen sagen sie, man stehe im Geschirr.

Unserer Leserin Irmengard Stuber ist eingefallen, dass diese Redewendung auch in ihrer Familie üblich war. Ihre Mutter habe alternativ auch gesagt: "Heut hab ichs aber gnädi(g)."

Wer es gnädig hat, der ist stark beschäftigt. Mit der Gnade hat das aber nichts zu tun. Michael Kollmer, der einst die Waldlersprache erforscht hat, definierte gnädig mit vornehm tuend, arbeitsscheu. "Des is a gnädige" hieß: Die ist sich zu vornehm für die Arbeit. Das Adjektiv gnädig im Sinne von beschäftigt dürfte von Not abgeleitet sein.

ESC 2013 - Unser Song für Malmö

Quelle: dpa

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Krautstampfer

Nachdem die Gruppe Cascada den Vorentscheid für den europäischen Songwettbewerb gewonnen hatte, setzte die SZ der allgemeinen Euphorie die These entgegen, hier habe eine Trällerliese mit stämmigen Haxen den Sieg davongetragen.

In ihrer Aufmachung, bestehend aus einem Minirock, Wildwest-Korsett und Plüsch am Allerwertesten glich die Cascada-Sängerin Natalie Horler einer Art Monsterbarbie. Vom Entsetzen gepackt, definierte die in der bildhaften Altmünchner Mundart sozialisierte Kollegin Z. die Beine der Künstlerin galant als Krautstampfer. Das war einst die übliche Umschreibung für Haxen, die nicht zu einem Minirock passen.

Der Original-Krautstampfer ist ein Stößel zum Einstampfen des Sauerkrauts, was früher in Bottichen mit den Füßen erledigt wurde. Das Kraut ist in Bayern ein Sammelbegriff für sämtliche Kohlsorten. Daher rührt auch das Schimpfwort Krauterer.

In der Jury des Songwettbewerbs saßen mehrere alte Krauterer, die den Fans der unterlegenen Bands komplett das Kraut ausgeschüttet haben. So heißt das, wenn jemand schwer enttäuscht worden ist.

Früher trumpften stiernackige bayerische Politiker gerne mit der Drohung auf, sie fräßen ihre Gegner auf dem Kraut. Bei der Salvatorprobe 1972 grantelte der Volkssänger Roider Jackl letztlich vergeblich: "Wenn unser Regierung/ den Großflughafen nach Freising nausbaut/ nacha friß i alle Minister/ lebendig aufm Kraut."

Papst-Bruder Georg Ratzinger

Quelle: dpa

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Im Geschirr sein

Die moderne Arbeitswelt fordert ihren Tribut. Das Wort Stress ist allgegenwärtig. Der 89-jährige Papstbruder Georg Ratzinger aber meidet diesen Begriff. Er lebt sprachlich noch in der alten Welt des Chiemgauer Bauernlandes.

Kürzlich sagte er in einem Interview zum Rücktritt seines Bruders, sie hätten nur selten Zeit gefunden, sich zu treffen, denn Benedikt XVI. sei stets den ganzen Tag lang im Geschirr gewesen. Wenn jemand viel arbeiten muss, ohne dieser Fron entkommen zu können, dann ist er im Ratzinger-Duktus nicht gestresst, sondern kräftig im Geschirr.

Gemeint ist hier das Riemenzeug, mit dem die Zugtiere vor der Arbeit eingespannt werden. Die Neue Züricher Zeitung schrieb 1981 über den damaligen Kanzler Helmut Schmidt, dieser stehe täglich 16 Stunden im Geschirr.

Tivoli Kraftwerk im Englischen Garten in München, 2011

Quelle: Catherina Hess

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Gred

Die Schwestern Angelika Rinkl und Carmen Pirkl, die in der Straubinger Gegend daheim sind, singen mit Vorliebe Balladen und Moritaten. Am Mittwoch war das Duo, das in der Volksmusik-Szene als Gredbänk-Gsangl bekannt ist, zu Gast in der Sendung "Bayerntour" im Bayerischen Fernsehen.

Natürlich war der ungewöhnliche Name Gredbänk-Gsangl Gegenstand der Unterhaltung mit der Moderatorin Carolin Reiber. Die Schwestern erklärten, die Gredbänk sei die Bank auf der Stufe (Gred) vor dem Haus. Und Gsangl bedeute "ein bisserl Gesang". "So einfach ist das", sagten sie, denn "wenn wir früher gesungen haben, dann meistens im Garten auf der Bank. Deshalb der Name."

Tatsächlich ist die Gred aus sprachwissenschaftlicher Sicht mit den lateinischen Wörtern gradus (Schritt, Tritt, Stufe) und ingredi (eintreten) verwandt und bezeichnet die leicht erhöhte, oft mit Steinen gepflasterte schmale Fläche vor dem Hauseingang. Da man auf der Gred ins Haus gelangte, streiften die Hausbewohner dort den Dreck ab, der an den Schuhen klebte. Überdies war die Gred früher ein beliebter Aufenthaltsort und entsprach der heutigen Gartenterrasse.

Allerdings interpretierte die Moderatorin Carolin Reiber im Gespräch mit dem Gredbänk-Gsangl das Wort Gred etwas eigenwilliger als die übrige Schar der Dialektexperten. Dieser Begriff, so erklärte sie, komme auch daher, dass die Menschen in Oberbayern auf der Sitzbank vor dem Haus so viel reden, also im Sinne von: Da wird gredt. Mit dieser These grätschte die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin wieder einmal ins Humoristische hinein wie ehedem beim Bschoad-Tücherl (Brotzeittücherl), das sie als Pschorr-Tücherl vorstellte.

Die wegen ihres rollenden "R" als Ikone des Bairischen verehrte Frau Reiber entschlüsselt die Geheimnisse des Dialekts ausgesprochen virtuos. Ihre Freistil-Etymologie von Dialektwörtern wie Gred dürfte jedenfalls weltweit einmalig sein.

Waldemar Hartmann stellt Buch vor, 2010

Quelle: Alessandra Schellnegger

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Schmaazhaubn

So mancher Fernsehmoderator, ob männlich oder weiblich, darf getrost als Schmaazhaubn bezeichnet werden. Im Dialekt versteht man darunter ein Sammelwort für Menschen, die sinnloses Zeug reden und für solche, die viel reden, aber nichts zustande bringen.

Die Basis des Wortes bildet das Verb schmatzen, das im Bairischen, wenn es mit hellem "a" ausgesprochen wird, ein Synonym für reden ist, und zwar im Sinne des schwäbischen schwätzen. Jemand, dessen Gerede oberflächlich ist, gilt auch als Schmatzer (mit hellem "a" gesprochen) und im gesteigerten Fall sogar als Quadratratschn.

Muss hier stellvertretend für alle Moderatoren herhalten: Waldemar Hartmann.

Fastnacht in Franken

Quelle: dpa

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Fasching

In einem sich von Mühldorf in Richtung München bewegenden Zugabteil hat kürzlich eine lustige Dame ihre Mitreisenden unterhalten, indem sie Faschingserlebnisse zum Besten gab. Mittendrin wurde sie von ihrem Ehemann ermahnt, sie dürfe nicht mehr Fasching sagen, das heiße jetzt Karneval. Seinem Tonfall zufolge meinte er das tatsächlich ernst. Der Mann offenbarte damit einen sprachlichen Untertanengeist, der vielen schönen Wörtern den Garaus macht. Der Fasching hat das nicht verdient. Das Wort wird vor allem in Südbayern und Österreich verwendet, ist aber bundesweit bekannt. In Würzburg gibt es beispielsweise einen großen Faschingszug, während die berühmte Prunksitzung im benachbarten Veitshöchheim "Fastnacht in Franken" heißt. Auch in Teilen Nord- und Ostdeutschlands ist der Fasching ein Sammelbegriff für die närrischen Tage. Selbst in der Slowakei ist das Wort bekannt (Fašiangy). Die Etymologen leiten das Wort Fasching vom mittelhochdeutschen Wort vastschanc ab, das bereits in einer Passauer Urkunde von 1283 erwähnt ist und den letzten Ausschank alkoholischer Getränke vor der damals noch strengen Fastenzeit benannte.

Im Bild die bayerische SPD-Führung auf der Prunksitzung in Veitshöchheim (v.l.n.r.): Landesvorsitzender Florian Pronold, Landtagsabgeordnete Natascha Kohnen, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude und seine Frau Edith von Welser-Ude sowie der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Markus Rinderspacher (hinten r.).

KARNEVAL IN VENEDIG

Quelle: DPA

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Flinserl

Im Salzkammergut stolzieren am Faschingsdienstag die Ausseer Flinserl herum, die man als österreichische Jecken bezeichnen könnte. Sie erinnern von der Anmutung her an die Kostüme des venezianischen Karnevals, die Hochmut und Eleganz zum Ausdruck bringen. Die in kostbare Gewänder gehüllten Menschen in Bad Aussee verbergen ihre Gesichter wie die Venezianer hinter Larven und schreiten am Faschingsdienstag erhaben einher wie weiland der Graf Bobby. Manche vermuten, dass die 1768 erstmals erwähnten Flinserl mit den Salzfuhrleuten ins Land gekommen sind, die venezianische Stilelemente im Ausseerland populär machten. Nur ein Ausseer Bürger darf sich anmaßen, als Flinserl aufzutreten, und die wertvollen Kostüme werden von Generation zu Generation weitergegeben. In Bayern versteht man unter einem Flinserl ein Staub- oder Fusselteilchen, also ein winziges Ding. Der Flins wiederum ist um einiges wertvoller. Wer einen Flins hat, der besitzt Geld und Diridari.

Grimasse

Quelle: SZ

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Gfries

Das Fernsehen präsentiert in seinen Talkshows gerne Gäste, die zwar nichts zu sagen haben, aber umso wildere Grimassen schneiden und sich damit über andere Menschen lustig machen. Denn das Publikum neigt dazu, bei derlei Faxen besonders laut zu lachen. Vergangene Woche saß ein Grimassenschneider namens Ole Lehmann in der Show des Markus Lanz. Der Comedian vertrat, grob zusammengefasst, die These, dass die Bayern und die Sachsen komisch reden und sich in der Öffentlichkeit grenzdebil gebärden. Um die Beschränktheit dieser Volksstämme zu demonstrieren, machte Lehmann ein Gfries, wie man in Bayern sagt. Das Gfries ist so etwas wie die Visitenkarte von Comedians, die gedankliche Blässe durch akrobatische Mimik kaschieren wollen. Etymologisch ist das Gfries mit der Fresse (Mund) verwandt, es bezieht sich aber auf das ganze Gesicht. Einen Menschen, der ein Gfries aufsetzt, um andere lächerlich zu machen, nennt man in Bayern einen zahnerten Holzfuchs. Zahnert ist jemand, der andere gerne verspottet. Eigentlich hätte Lanz seinen Gast Lehmann als zahnerten Holzfuchs ankündigen sollen, der am liebsten jene verlacht, die mit ihren Alimenten seine dilettierende Heimat Berlin und damit auch Kasperlköpfe wie ihn am Leben erhalten.

Stille

Quelle: iStock

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gfotzert

Wer dazu neigt, andere mit spöttischem Gfries und blöden Bemerkungen nachzuäffen, wird in der Mundart als gfotzert oder fotzert bezeichnet. Eine gfotzerte Person gebärdet sich in der Regel frech und unverschämt. Handelt es sich um eine Frau, nennt man sie eine gfotzerte Matz. Das ist ein sehr böses Schimpfwort aus der ersten Liga des bayerischen Kanons. Ein Mann ist dementsprechend ein gfotzerter Hund. Das damit zusammenhängende Substantiv Fotzn hat in Bayern eine andere Bedeutung als in der deutschen Vulgärsprache. Es benennt weder eine Vagina noch eine Hure, sondern den Mund. "Hoit dei Fotzn!" heißt: Halt den Mund! "Magst a Fotzn?" heißt: Gleich kriegst du eine Watschn (Ohrfeige)!

Palmweihe in München, 2011

Quelle: Alessandra Schellnegger

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Sakradi

Zu den Betrachtungen über das enge Beziehungsgeflecht der französischen und der bairischen Sprache (zum Nachlesen: Napoleon, der alte Lackl!) hat die Redaktion eine Reihe ergänzender Hinweise erhalten. Mehrere Leser bestätigten, dass dem Wörtlein Sakradi der Begriff sacré dieu zugrunde liege, der jedoch heiliger Gott bedeute, nicht aber Fluch den Göttern, wie es in dem Bericht hieß.

Tatsächlich aber hatten französische Kriegsgefangene in Niederbayern dieses Wort einst im Sinne eines Fluchs verwendet. Sie verhielten sich so ähnlich wie bayerische Grantler, die religiöse Begriffe wie Sakrament und Kruzifix als Flüche heranziehen. Um das Fluchen zu entschärfen und damit einen Verstoß gegen das zweite Gebot zu vermeiden, gebrauchte man früher aus dem Französischen entlehnte Ersatzbegriffe wie Sakradi, Saxndi und Sappradi.  

sakrisch

Die in Sakradi enthaltene Grundform Sakra ist in Bayern auch ohne Erweiterung gebräuchlich. Sakra sagt einer, der sich gerade ein bisserl ärgert. Ist der Ärger stärker, dann steigt das Gifthaferl entweder auf Kreizsakra um oder es lässt sich gar zu einem gotteslästerlichen Kreizsakrament hinreißen.

Der Volkskundler Josef Fendl kannte einen Pfarrer, der einmal einen Schulbuben nach der Zahl der Sakramente fragte. Dieser wusste statt der Siebenzahl aber nur drei, weil die der Vater immer erwähnt habe: "der Bürgermeister, der Lehrer und der Bader, dö drei Sakramenter." Ein Sakramenter ist meistens ein Mensch, über den man sich ärgert, seltener einer, den man bewundert.

Ebenfalls von Sakra abgeleitet ist das Adjektiv sakrisch, das zur Verstärkung eines adjektivischen Ausdrucks dient. Eine Landschaft kann sakrisch schön sein, ein Gericht sakrisch gut. Harald Grill schreibt in seinem Roman "gehen lernen": "Der böhmische Wind, im Winter ist der sakrisch kalt."    

Eine Gans im Englischen Garten in München.

Quelle: Catherina Hess

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wusala

SZ-Leser Hans Nägerl aus Niedersachsen hat zu den jüngsten Berichten über Bayern und Frankreich eine herrliche Beobachtung nachgereicht. Er schreibt: "Ich möchte noch ergänzen, dass meine Großmutter, eine Oberpfälzer Bäuerin, wenn sie die Hühner, Enten und Gänse füttern wollte, rief: wusala, wusala, wusala. Sie sprach also französisch mit ihrem Federvieh, denn sie meinte: vous allez, vous allez, vous allez!" (übersetzt würde das wohl lauten: lauft her, lauft her, lauft her!) 

Steuererklärung

Quelle: dpa

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mankeln

In der Sendung "Host mi?", die im Nachmittagsprogramm des Bayerischen Fernsehens läuft, erläutert der "Mundart-Papst" Anthony Rowley regelmäßig schillernde Dialektbegriffe aus Bayern. Vor kurzem durften die Zuschauer das schönste "Host-mi-Wort" des Jahres 2012 wählen. Als Sieger ging das Verb bambaramankeln hervor, das vor allem in der Oberpfalz bekannt ist. Rowley umschrieb das Wort als eine "etwas scherzhafte Bezeichnung für betrügen".

Außerhalb der Oberpfalz ist vor allem das Grundwort mankeln bekannt. Es bedeutet: etwas heimlich und nicht ganz legal bewerkstelligen. Hängt zusammen mit dem standarddeutschen Wort munkeln (heimlich sprechen). Der eine versucht bei der Steuererklärung zu mankeln, der andere beim Kartenspiel. Würde man sagen, der Radsportler Lance Armstrong habe bei seinen Tour-Siegen gemankelt, wäre das allerdings untertrieben. Um den Betrug durch Doping zu benennen, wäre mankeln zu schwach.

Die Herkunft des Verbs ist offen. Vielleicht spielt das italienische Verb mancare (fehlen) eine Rolle. Der Sprachforscher Rupert Stadler denkt eher an die Wörter bambalio (einfältiger Mensch) und manicula (Handschlag). Die Vorsilbe bambara drückt laut Rowley etwas Kleines, Abschwächendes aus.

Bamperl, Pamperl und das nordbayerische Bemperl werden in der Sprachwissenschaft als abwertende Präfixoide gehandelt (klein, minderwertig). Daraus abgeleitete und immer noch gebräuchliche Begriffe sind zum Beispiel die Bamperlwirtschaft, der Bemperlprater und der Bamperlverein. Der FC Bayern ist das Gegenteil eines Bamperlvereins.

Hans Sigl, Klaus Marshall und Brigitte Theile präsentieren "Freitag auf d'Nacht"

Quelle: Andrea Rizza/BR

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auf d'Nacht

Die neueste Show des Bayerischen Fernsehens trägt den vertraut klingenden Titel "Freitag auf d'Nacht". Im bayerischen Sprachgebrauch heißt die Zeitadverbiale nämlich nicht nachts oder abends, sondern auf d'Nacht. Die Präposition "auf" ist in Bayern ein Allzweckbegriff, der jederzeit anstelle von Wörter wie vor, an, zu und im verwendet wird. Viele Bayern sagen auf d'Letzt statt zu guter Letzt, sie kommen auf die Welt, fahren auf München und werkeln dann still vor sich hin, bis sie sich auf ihre alten Tage zur Ruhe setzen.

Leider hält die Sendung, die von dem österreichischen Schauspieler Hans Sigl und der Radio-Moderatorin Brigitte Theile (im Bild mit Klaus Marshall, M.) moderiert wird, nicht annähernd, was sie im Titel verspricht. Wer hier bayerisch-hintersinnige Unterhaltung erwartet, bekommt hudeligen, oberflächlichen Quatsch-Comedy-Einheitsbrei serviert, der genausogut im WDR oder im NDR gesendet werden könnte und keines bayerischen Titels bedürfte. Möge der Bayerische Rundfunk wegen dieses Krampfs nicht auf die Gant kommen.

200 Jahre Oktoberfest

Quelle: dpa

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gesteckt voll

In einem SZ-Interview hat Kardinal Reinhard Marx einmal einige Gottesdienste erwähnt, die für ihn eine schwierige Herausforderung bedeuteten. Dazu gehörte auch jener zum 125. Todestag von Ludwig II. "Aber die Kirche war gesteckt voll", sagte der Kardinal, im Nachhinein erleichtert wirkend. Interessant ist, dass er hier auf eine Wendung zurückgriff, die dem gebürtigen Westfalen nicht unbedingt in die Wiege gelegt war.

Vor allem in Süddeutschland sagt man gesteckt voll, um einen überfüllten Raum zu beschreiben. Indem Marx diese Adverbiale verwendete, bewies er, dass er auch sprachlich in München angekommen ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Raum München mittlerweile die im Norden üblichen Varianten proppevoll und proppenvoll bevorzugt werden.

Lediglich der Radiosender Antenne Bayern meldete kürzlich: "Pünktlich nach den Festtagen sind die Innenstädte wieder gesteckt voll, denn es werden Weihnachtsgeschenke umgetauscht." Dass gesteckt voll auch in Berlin verstanden wird, belegt der Tagesspiegel, der über ein Konzert der Sängerin Marianne Faithfull in Köpenick schrieb: "Der kleine Rathaushof ist mit 700 Menschen gesteckt voll." 

Bayerische Lokalblätter schrieben in diesem Sommer dagegen unisono, die Festzelte seien proppenvoll gewesen. Als Synonyme für gesteckt voll hört man in Bayern auch bummvoll, rappelvoll, gerammelt voll. Die Dialektform von gesteckt voll lautet gschtecktervoi.

Devils Parade In Krampus Procession

Quelle: Getty Images

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Raunacht

Die Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig sind geprägt von den zwölf Raunächten. Nach altem Volksglauben sind sie erfüllt vom Treiben böser Mächte und Dämonen. Josef Fendl listet einige ihre Namen in dem Text Raunachtszug auf: Toutnroaskinder, Pestblunzn, Wurmpeckerin, Nudlwojglerin, Schmirmkoder, Gillamoosdatscher, Bissgurrn, Gurglmarterer, Drud, Haberngoaß.

Das Wort Raunacht könnte sich herleiten vom alten Brauch des Ausräucherns der Häuser mit Weihrauch, um all diese Schreckgestalten von Haus und Hof fernzuhalten. 

© Süddeutsche Zeitung/ebri/sonn/infu/tba
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