Kratzers Wortschatz:Nicht jedes stechende Vieh ist ein Weps

Auch wenn Wespen an warmen Tagen omnipräsent scheinen. Nach einem Stich leben sie weiter - der Imp bezahlt dagegen mit dem Leben. Eine kleine Bairisch-Kunde.

Von Hans Kratzer

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Imp und Weps

Kuchen und Grillfleisch: Was hilft gegen Wespen?

Quelle: Jens Kalaene/dpa

Die Hitze, das reife Obst, die Eisbecher - ideale Lebensbedingungen für Genießer, aber auch für Wespen, die eben die Genießer im Freien gerne drangsalieren. Im Bairischen heißt die Wespe Weps, deshalb sagt man: "A Weps hod mi gstocha." Viele neigen dazu, fälschlicherweise fast jedes surrende und stechende Vieh als Weps zu benennen, denn sie können Wepsn nicht mehr von Bienen unterscheiden, die im Bairischen wiederum Impn heißen.

Stephan Kattari hat uns vor längerer Zeit mit der Frage erfreut, ob es das heute noch gibt, dass jemand von einem "Imp g'angelt" worden ist. Früher sei das "diam amoi" vorgekommen. Ein schönes Sprachbild, dass einen ein Imp angelt. Ein Weps dagegen angelt einen nicht, sondern er sticht einen. Der Imp büßt, wenn er sein Opfer angelt, mit seinem Leben. Der Bienenstachel ist mit einem Widerhaken versehen, der mit dem Stechapparat in der Haut des Opfers stecken bleibt. Der Imp stirbt an dieser Wunde. Der Weps zieht seinen Stachel wieder heraus und lebt weiter. Das ist einer der Unterschiede zwischen Weps und Imp.

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Dekagramm

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Quelle: Toni Heigl

Jener ältere Herr, der neulich in einer niederbayerischen Metzgerei Aufsehen erregte, machte rein äußerlich den Eindruck, als sei er den Wurstwaren grundsätzlich nicht abgeneigt. Als er an der Reihe war, bestellte er tatsächlich 25 Dekagramm Aufschnitt. Die im bairischen Idiom durchaus versierte Verkäuferin stutzte kurz, überlegte und fragte dann nach: "Wie viel soll's bitte sein?" "25 Dekagramm" wiederholte der Kunde, hatte dann aber ein Einsehen mit der armen Frau und präzisierte die Mengenangabe: "250 Gramm." Als ihn ein anderer Kunde deswegen ansprach, sagte der Mann, die hiesigen Verkäuferinnen seien jedes Mal irritiert, wenn er das Wort Dekagramm verwende. Allerdings ist diese Maßeinheit, die zehn Gramm benennt, vor allem in Österreich und in Ungarn gebräuchlich, und zwar beim Einkauf von Lebensmitteln und als Mengenangabe in Rezepten. Umgangssprachlich wird es zu Deka verkürzt. In Dekagramm stecken das griechische Wort deka (zehn) und das Gramm.

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Flietscherl

Valentinstag

Quelle: dpa

In der ARD-Fernsehserie "Toni, männlich, Hebamme" dreht sich alles um eine männliche Hebamme und die täglichen Verstrickungen, die sich daraus ergeben. Es kommt zu witzigen Dialogen und Wortgefechten. Neulich sagte etwa eine leicht überdrehte Frau, die mehrere Kinder von mehreren Männern hat, im Tone der Entrüstung zu ihm: "Ich bin doch kein Flietscherl." Unter einem Flietscherl versteht man üblicherweise ein eher leichtlebiges, also promiskuitives Mädchen, ein Flittchen, das aber den Status einer Schnoin (Schnalle, Hure) noch nicht ganz erreicht hat. In Rita Falks Eberhofer-Romanen wird in diversen Eifersuchtsszenen immer wieder mal die Frage gestellt: "Ist das dein neues Flietscherl?" Der Begriff geht wohl zurück auf das mittelhochdeutsche vlittern (flüstern, kichern, schmeicheln, liebkosen). Auch das Wort Flitterwochen hängt damit zusammen, wobei dieses Wort positiver klingt als die Benennung jener Frauen, die sich einst mit US-Besatzungssoldaten einließen. Sie wurden als Ami-Flietscherl beschimpft.

Unvergessen auch die Schnackelbix, eine Spielzeugpistole mit einem Stopsel im Lauf, der laut schnackelte, wenn man auf den Abzug drückte. Auf der Wiesn ist die Schnackelbix gelegentlich noch zu erwerben. Jetzt hats gschnackelt, sagt man über einen Begriffsstutzigen, der etwas kapiert hat. Auch in der Erziehung erwies sich das Verb schnackeln als tauglich: "Komm her oder es schnackelt!"

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Obstbambeidlerinnen

Zwetschgenbaum bei Holzen

Quelle: Peter Hinz-Rosin

Die Passauer Sängerin Barbara Dorsch, die viele auch unter dem Namen "Passauer Saudiandl" kennen, und die junge Klarinettistin Veronika Zirbs haben eine neue CD zusammengestellt, die den interessanten Titel "D'Obstbambeidlerinnen" trägt. Die in Viechtach erscheinende Kulturzeitschrift Lichtung hat wohl recht, wenn sie dieses Wort unter jene Begriffe einreiht, zu denen die Suchmaschinen im Internet nur einen einzigen Treffer ausspucken. Die Obstbambeidlerin erinnert formal ein bisserl an die legendäre Trambahnritzenreinigerin von anno dazumal. Unter dem Wort Obstbam (Obstbaum) kann sich natürlich noch jeder was vorstellen. In dem Verb beidln (beuteln) scheinen dagegen mehrere Nuancen durch. Zwetschgen kann man vom Baum abbeidln (abbeuteln). In einem solchen Fall schüttelt man den Baum, damit die Früchte auf den Boden fallen und sicher geerntet werden können. Statt schütteln kann man auch beidln sagen. Auch einen Menschen kann man beidln, wenn es nötig ist, oder es beidlt ihn von selber, und zwar dann, wenn es ihn heftig friert. "Den hats beidlt wia an nackerten Schneider!", heißt es dann. So sehr hat er gebibbert.

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Pfefferwetzen

Ehemalige Flüchtlingsunterkunft in München, 2018

Quelle: Alessandra Schellnegger

Für Kinder jeden Alters gibt es heute größenmäßig passende Fahrräder. Früher war das nicht so. Das Radlfahren mussten die Kleinen auf einem Damenrad lernen, weil da ein Durchstieg vorhanden war. Das Rad war oft doppelt so groß wie das Kind, das stehend treten musste oder nur mit Mühe auf dem Sattel zum Sitzen kam und beim Treten entsprechend hin- und hereierte. Edith Seth kennt noch den Begriff "Pfefferwetzen". Er beschreibt, wie Kinder auf einem Erwachsenenfahrrad auf dem Sattel nach links und rechts rutschen mussten, um in die Pedale treten zu können. Es schaute aus, als ob sie Pfeffer mahlten. "Mei, tuat das Mädel pfefferwetzen!", hieß es. Wenn es stürzte, sagte das Opfer: "Jetzt hot's mi gstraat!" - "Mich hat es (auf den Boden) hingestreut." Hatte es einen gstraat, so waren Knie und Ellbogen voller Abschürfungen, die zu Ruferl (Wundkruste) wurden. Gerne riss man sie weg. Dann begann die Wunde aber wieder zu bluten.

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Sauschleifer

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Im Bayerischen Fernsehen wird zurzeit die Polizeirevier-Serie "München 7" wiederholt, die schon wegen des dort zelebrierten Dialekts unterhaltsam ist. Da sind Wörter zu hören, wie man sie nur noch in der Großmarkthalle oder in einem der alten Wirtshäuser rund um den Viktualienmarkt hört. Neulich sagte im Film der Werkstattbesitzer Zagreb zu seiner Freundin, als eine alte Klapperkiste auf seine Werkstatt zurollte. "Du, der Hans soi dafür sorgen, dass der mit seim Sauschleifer wieder aussefahrt, so was richt ma ned!" Es gibt im Bairischen etliche Wörter für alte Autos, Schinterkarrn, Rostkübel, Schäsn ... Sauschleifer ist eine originelle Ergänzung. Es beinhaltet das verstärkende Suffix Sau-, das im Bairischen sehr beliebt ist (saugut, sauteuer), in Verbindung mit dem Wort Schleifer. Da hört man förmlich das Geräusch, das in der Regel nichts Gutes verheißt, im Auto erst recht nicht. Der Schaarschleiffa (Scherenschleifer) mit seinem Schleiffakarrn stand einst in keinem guten Ruf. Es war fast ein Schimpfwort: "Du Schaarschleiffa, du windiger!", hieß es, oder: "Der hat a Fotzn wia a Schaarschleiffa!" Das heißt: Der redet ein bissl zu frech daher.

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Bundes-Pelzer

Schweiz - Deutschland

Quelle: Christian Charisius/dpa

Sepp Obermeier, langjähriger Vorsitzender des Bundes Bairische Sprache, schreibt in einem aktuellen Leserbrief von einer "Sternstunde", die er kürzlich während einer Diskussion von Jugendlichen erlebt habe. Es ging dabei um die Erfolge des deutschen Fußballtrainers Jürgen Klopp beim FC Liverpool. Ein 17-Jähriger brachte laut Obermeier den Leistungsvergleich des in der englischen Premier League unter Dauerstress stehenden Klopp und des zuletzt weitgehend unbeschäftigten DFB-Bundestrainers Joachim Löw prägnant auf den Punkt: "Gegen den Klopp ist der Löw nur der DFB-Auftragschiller!" Anders gesagt: Löw ist nach dieser Definition nichts anderes als ein Müßiggänger im Auftrag des Deutschen Fußballbundes. Ein Freund des 17-Jährigen lieferte dazu die bairische Übersetzung: "Also quasi da Bundes-Pelzer." Darin steckt das bairische Verb pelzen (sich auf den Pelz, auf die faule Haut legen). Bei der Wahl zum Jugendwort des Jahres sollten beide Wortschöpfungen unbedingt berücksichtigt werden, findet Sprachschützer Obermeier. Das Wort pelzen kommt auch im Obstbau vor. Obstzüchter pelzen nämlich Bäume, sie veredeln sie durch Aufpfropfen anderer Triebe.

Der Pfarrer legte sich vor dem Altar sogar noch gestreckterlängs auf den Boden. Eigentümlich wirkte auch das Herrgottschmatzen bei der Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie. Dabei gingen die Gläubigen nach vorne zu dem im Altarraum abgelegten Kreuz, um dann hintereinander die Wundmale Christi zu küssen. In Coronazeiten ist diese fromme Praxis undenkbar.

Allerdings ist die Zahl derer, die solche Wörter noch verstehen, ziemlich geschrumpft. Die französischen Einsprengsel aus alter Zeit müssen heutzutage den Anglizismen weichen. Eine Kollegin erzählte, sie habe wegen eines Termins beim Arzt angerufen und, weil es auf dem Land war, habe sie sich mit dem Mädchen am Empfang im Dialekt ausgetauscht: "Kannt i bitte an Termin haben, i bin marod." Als die Kollegin in der Praxis eintraf, sagte das Mädchen am Empfang: "Aber jetz hob i am Telefon ned ganz verstanden, wos dir feit?" (was dir fehlt). Das Wörtlein marod war ihr kein Begriff. Die Kollegin sagte nur: "oiss!" (alles), denn sie fühlte sich ganzheitlich matt und kränkelnd, war aber vom Coronavirus zum Glück noch verschont.

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Kaff

Zahlungsdienstleister Wirecard

Quelle: dpa

Wenn das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel Ortschaften in der bayerischen Provinz erwähnt, läuft es stets Gefahr, sich im Ton zu vergreifen. Zuletzt war in einer Geschichte über den ins Taumeln geratenen Finanzkonzern Wirecard zu lesen, der Aufstieg des Hightech-Stars "aus dem 9200-Einwohner-Kaff Aschheim bei München" sei einzigartig gewesen. Wirecard residiert in einem Aschheimer Bürokomplex. Aschheim als Kaff zu bezeichnen, ist nicht nur überheblich, sondern auch historisch falsch. Der Name Aschheim wurde schon 756 erwähnt, da tummelten sich dort, wo später Hamburg entstand, höchstens ein paar Schafwascher. In Aschheim aber lebten schon Jahrtausende vorher fortschrittliche Menschen. Die ältesten Spuren bezeugen Grabfunde aus der Zeit der Schnurkeramik (2800 bis 2300 v. Chr.) und aus der Glockenbecherkultur (2600 bis 2300 v. Chr.). Im Jahr 756/57 fand in Aschheim die erste bayerische Landessynode statt; kurz darauf erwähnte der Freisinger Bischof Arbeo Aschheim in der Vita des heiligen Emmeram. Große Münchner Familien wie Schrenk, Rosenbusch, Donnersberg, Ruepp und Lerchenfeld sind seit 1500 eng mit der Aschheimer Geschichte verbunden. Aschheim ist alles andere als ein Kaff, denn ein solches wäre laut Kluges Etymologischem Wörterbuch ein elendes Nest. Der vulgärsprachliche Ausdruck fand einst aus dem Rotwelschen (kefar, Dorf) Eingang in unsere Sprache.

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furt sein

Rückreiseverkehr auf der A8 in Bayern

Quelle: dpa

Viele bangen wegen der Corona-Krise um ihre Urlaubsreise. So unbeschwert, wie es immer war, wird das Reisen wohl nicht mehr werden. Auch der Friseur stellte im Sommer stets die obligatorische Frage: "Warts heuer scho furt?" Das heißt: Wart ihr schon im Urlaub. Fort (furt) sein, das ist eine uralte Sehnsucht. Früher haben die Landmenschen ihre Heimat selten verlassen. Vor wenigen Jahrzehnten gab es noch Frauen, die nie über ihren Hof hinausgekommen sind, höchstens mal zu einer Beerdigung in die Nachbargemeinde. Furt sein - wie außergewöhnlich dies war, klingt in der Wendung immer noch deutlich nach.

In Zehetners Lexikon "Bairisches Deutsch" ist das Wort als Knaukerer vermerkt. Gnaupperer und Knaukerer sind Menschen, die knauggan, die also nicht nur zum Gruß mit dem Kopf nicken, sondern zu allem zustimmend nicken. Haben die Knaukerer die Mehrheit im Gemeinderat, herrscht dort zwar Ruhe, was aber einer Gemeinde nicht unbedingt immer zum Vorteil gereicht.

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Schupfa

Radweg Enterrottach, Valepp 2012

Quelle: Manfred Neubauer

Im Bayerischen Fernsehen war jüngst ein Beitrag über den Künstler Leo Schötz zu sehen, der im Bayerischen Wald ein Wohnhaus aus Stahl errichtet hat. Manche Nachbarn reagierten irritiert, einer fragte, ob das rostbraune Gebäude eine Schupfa sei. Leider erlebt mit dem Verschwinden der Bauernhöfe auch die Schupfa einen Niedergang. Auf dem Dorf hatte früher jedes Haus eine Schupfa, das waren hölzerne Schuppen oder Verschläge, in denen Holz, Gerätschaften und zur Not auch ein Bulldog oder ein Odelfass untergebracht waren. Der Autor Valentin Reitmajer erinnert sich sogar, dass kleine Häuslleute in ihrer Schupfa gelegentlich ein Schwein herangefüttert haben. Heute stellen die Haus- und Grundbesitzer sterile Gartenhäuser vom Baumarkt auf, denen die Aura einer Schupfa absolut und komplett fehlt.

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Kranawitt

Naturparadies bei Ebersberg, 2019

Quelle: Christian Endt, Fotografie & Lic

Eine Bäuerin aus der Dorfener Gegend hat erzählt, sie habe neulich Sauerkraut zubereitet und ihren Kindern nebenbei erklärt, sie sollten vor dem Verzehr die Kranawittbirl herausklauben. Diese dienten beim Kochen vor allem zur Geschmacksverbesserung, aber niemand beiße gerne auf diese eigenwillig schmeckenden Beeren. Es stellte sich heraus, dass die jungen Leute das Wort Kranawitt (Granewit) noch nie gehört hatten. Die Bäuerin staunte, denn sie kennt das Wort von Kindheit an. Sie vermutet aber, dass es vor allem im Bayerischen Wald und weniger in ihrer oberbayerischen Heimat verwendet wird. Kranawittbirl sind jedenfalls Wacholderbeeren, die auf Kranawittstauden wachsen. Diese waren früher vor allem an Wegkreuzungen zu finden. Kranawitt ist ein Wort mit einer langen Tradition. Es scheint schon im Althochdeutschen als kranawitu auf, im Mittelhochdeutschen hieß es kranewite, zusammengesetzt aus krano (Kranich) und witu (Holz, Wald). In der Mundart wurde es zu Kranawitt, Kranewitt und Kranwitt. Der Wacholderschnaps hieß analog dazu Kranewitter. Kranewitvogel und Krammetsvogel sagte man zur Wacholderdrossel, die am liebsten Wacholderbeeren frisst.

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Krambambuli

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Quelle: Stephan Rumpf

Auch das schöne Wort Krambambuli hängt mit Kranawitt zusammen. Ursprünglich war es der Name eines Danziger Wacholderbranntweins, der in jener Likörfabrik hergestellt wurde, die das berühmte Danziger Goldwasser fabrizierte. Später wurde der Name auch für andere alkoholische Getränke verwendet, und schließlich fand es in weinseligen Liedern Verbreitung. Ein schon 1745 entstandenes Studentenlied mit dem Namen Krambambuli wurde so populär, dass es immer wieder variiert wurde. Trinkfreudige Studenten benannten überdies Feuerzangenbowle und Glühwein als Krambambuli. Eine später auch verfilmte Erzählung der Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach heißt ebenfalls Krambambuli. Darin erwirbt ein Jäger gegen etliche Flaschen Danziger Branntwein einen Hund. Dreimal darf man raten, welchen Namen er ihm gab.

© SZ.de vom 01.09.2020/vewo
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