Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Sportler und Politiker schneiden gerne Gfrieser

Der Autor Josef Wittmann hat kürzlich erzählt, ihm blicke jeden Morgen im Spiegel ein "hoibe sieme Gfries" entgegen. Das Dialektwort Gfries ist etymologisch mit der Fresse (Mund) verwandt

Gfries

Der Autor Josef Wittmann hat kürzlich erzählt, ihm blicke jeden Morgen im Spiegel ein "hoibe sieme Gfries" entgegen. Mit diesem schönen Bild brachte er sein Erstaunen über sein zerknittertes Gesicht in der Früh um halb sieben Uhr zum Ausdruck. Nichts könnte dieses Phänomen besser ausdrücken als das Dialektwort Gfries, das etymologisch mit der Fresse (Mund) verwandt ist. Im Bairischen verwendet man die Wörter Gfries (Plural: Gfrieser) und Lätschen für Menschen, die mürrisch und weinerlich dreinschauen. Diese schneiden entweder ein Gfries oder sie ziehen eine Lätschen. Der Kabarettist Gerhard Polt hat einmal über den Frühsport im Fernsehen gelästert: "Was die für a Lätschn ziang; a soichas Gfries. Des gibt's ja ned, dass Gsundheit so traurig macht." Ein überragendes Talent, Gfrieser zu schneiden, besitzt der SPD-Politiker Ralf Stegner, der die menschenfreundliche Politik, die er für seine Partei reklamiert, stets mit einer Mimik konterkariert, die den Verdacht erweckt, er habe zum Frühstück rostige Nägel verdrückt. Neuerdings ist statt Gfries oft Gfriss zu lesen, was wegen der Urform Gefriss möglich ist. Man spreche das Wort trotzdem mit langem Vokal (Gfriies) aus, denn nur dann findet die Verdrießlichkeit auch im Tonfall ihre Entsprechung

Stianghausratschn

Die aus Aßling stammende Kabarettistin Roswitha Spielberger tritt unter dem fast schon philosophisch anmutenden Künstlernamen Stianghausratschn auf. Der Begriff Stianghaus (Stiegenhaus) ist in Bayern vom Aussterben bedroht, statt Stiege verwendet man heute das niederdeutsche Wort Treppe. In Österreich aber ist die Stiege als hochsprachlicher Begriff noch allgegenwärtig. Eine Ratschn wiederum, auch als Ratschkathl bekannt, ist eine Person, die alles austratscht und Gerüchte streut. Was waren das für gemütliche Zeiten, als die Tratscherei aufs Stiegenhaus beschränkt blieb. Heute haben wir eine globale Ratschn, die heißt Facebook, doch deren hysterische Tratscherei ist gefährlicher als alle Stianghausratschn zusammen.

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SZ vom 01.02.2016
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