Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Junger Gloiffe erzieht eine Mistbritschn

Eine Frau nimmt einem Mann die Vorfahrt, worauf sie dieser via Facebook mit deftigen Schimpfwörtern überzieht. Zuletzt fordert er sie auf, künftig auf der Straße ihre Batzlaugen aufzumachen

Kolumne von Hans Kratzer

Batzlaugen

Selbst solche Mitglieder der Gesellschaft, die noch nicht komplett verroht sind, benützen das Online-Medium Facebook gerne als eine Art verbale Dreckschleuder. Neulich hat sich ein junger Gloiffe (grober Kerl) im Netz mordsmäßig aufgeregt, weil ihm eine "nette Dame" die Vorfahrt genommen hatte ("du Mistbritschn du elendige"). Er sei stocknarrisch, schrieb er und empfahl dem vermeintlichen Verkehrsmonster, nochmals die Fahrschule zu besuchen - "oder mach deine Batzlaung auf und lern as Schilderlesen", belferte er und belegte somit auf nachhaltige Weise, dass sich das Bairische durch eine enorm ausgeprägte Schimpfkultur auszeichnet. Neben der Mistbritschn fallen im Post des Wüterichs vor allem die Batzlaung (Batzlaugen) auf. Diese deuten ja eigentlich auf ein medizinisches Problem hin, nämlich auf die Basedowsche Krankheit, die sich häufig durch das Hervortreten der Augäpfel bemerkbar macht. Im Standarddeutschen sagt man dazu auch Glupschaugen. Das Adjektiv lautet batzlaugert (botzaugert).

tenk

Die Lern- und Konzentrationstrainerin Michaela Mayer aus Traunwalchen ist Linkshänderin und beschäftigt sich schon deshalb intensiv mit diesem Thema. In Deutschland gelten bis zu 15 Prozent der Bevölkerung als Linkshänder. Mayer befragte viele von ihnen und kam dadurch zu erstaunlichen Erkenntnissen. Demnach gibt es immer noch viele Linkshänder, die in der Schule Probleme haben. Außerdem fand Mayer heraus, dass Linkshänder nach wie vor zu Rechtshändern umerzogen werden, was längst überwunden zu sein schien. Nun nimmt diese Tendenz sogar wieder zu. In sprachlicher Hinsicht fällt auf, dass das alte Wort für Linkshänder (Tenke) in Vergessenheit gerät. "In unserer Klass san zwoa Tenke drin", hieß es früher. Das dazugehörige Adjektiv lautet tenk (denk). Der Autor Hans Göttler hat in seiner Übertragung des "Struwwelpeter" ins Bairische das Wort tenk mit eingebaut: "Und kaam is d'Muadda ausn Haus / Steggd ea an Damm as Mai! O Graus! / Zerschd glei an denkn, dann an rechtn / Grad schmecka duads dem Lump, dem schlechtn!" Tenk bedeutet auch linkisch und ungeschickt: "Der hod aber zwoa tenke Händd!" Tenk zählt sogar zu den bairischen Kennwörtern, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in keinem anderen deutschen Dialekt vorkommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4598507
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.