Kratzers Wortschatz:Junge Frauen mit Senfgeschmack

Ein Münchner Senfhersteller wirbt zurzeit mit großflächigen Plakaten für sein Produkt. Auf ihnen prangen drei Damen im Phantasie-Dirndl, deren Oberlippen etwas unsexy mit Senf verschmiert sind. "Bayern isst so!" steht darunter. Dabei heißt es auf Bairisch seit jeher Senft oder Sempft!

Senft

Ein Münchner Senfhersteller wirbt zurzeit an den S- und U-Bahnhöfen für sein Produkt. Auf großflächigen Plakaten prangen drei Damen im Phantasie-Dirndl, deren Oberlippenflächen etwas unsexy mit Senf verschmiert sind. "Bayern isst so!" steht darunter, was wenig über die lokale Esskultur, aber viel über die Werbeagentur verrät. Vermutlich wollte sie mit dem Foto die Regionalität des Senfs hervorheben, sprachlich hätte dies aber überzeugender funktioniert. Wer freilich von "leckeren Senfen" schwärmt, ist von der bairischen Senfrhetorik meilenweit entfernt. Die Werbeleute sollten ruhig mal einen Blick in Marianne Hofmanns Roman "Es glühen die Menschen, die Pferde, das Heu" werfen, in dem das Essenzielle zum Wort Senf zusammengefasst ist.

Hier der entsprechende Abschnitt: "Wie heißt es, fragt der Lehrer das Mädchen . . . heißt es Senft oder Senf? Ahnend zwar, dass es anders heißen könnte, wenn er sie schon fragt, bleibt sie bei Senft, so wie sie es immer gehört hat. Senf, sagt der Lehrer, hebt ihr Kinn, sieht ihr belustigt in die Augen. Es heißt Senf, sagt er noch einmal . . . Senf, wiederholt sie, als sie auf dem Fahrrad den steilen Berg hinunter fährt. Senf. Was für ein Wort, ohne das harte t am Ende. So weich. Wo der Senft doch so scharf ist. Und später, wenn die Männer aus der Kegelbahn schreien: Geh, bring mir no an Senft, muss sie immer an den Lehrer denken, und an das t am Ende, das es nicht mehr geben soll."

Tatsächlich wird ein Bayer, wenn er eine Weißwurst isst, einen Senft oder Semft dazu bestellen, und das zu Recht. Das t am Ende des Worts wird in der Germanistik eufonisches t genannt, denn es soll jenen Wohlklang erzeugen, den der Senft verdient hat. Demselben Phänomen begegnen wir beim Wort Leicht statt Leich, wenn das Begräbnis gemeint ist. Laut dem Dialektpapst Ludwig Zehetner, der das t-Phänomen gründlich erforscht hat, unterliegen auch die Wörter Obst, Saft und Predigt diesem Mechanismus, und sogar der Papst (spätlateinisch papes) hat sein t erhalten. Damit haben wir zu diesem Thema unseren Senft dazugegeben.

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