Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Es hat geregnet und geschneibt

Für Standarddeutsche hat es dieser Tage einfach geschneit. Doch die Bayern sind sich da nicht einig

Von Hans Kratzer

Es schneibt

Nach vielen frühlingshaften Novembertagen sind nun endlich Schneewolken übers Land geflogen, und mancherorts sind sogar Flocken vom Himmel gefallen. Es hat geschneit, sagt man im Deutschen, aber das schon im Althochdeutschen gängige Verb schneien (sniwan) ist viel zu interessant, als dass man es bei der standarddeutschen Version bewenden lassen sollte. Spannend wird es, wenn die bairischen Dialektformen ins Spiel kommen. Es schneibt und es hat gschneibt, sagen die einen. Es hat gschniebn (gschniem), sagen die anderen. Die Partizipformen im Bairischen klingen also unterschiedlich, aber sie sind unverzichtbar, weil mit ihnen die Vergangenheit gebildet wird. Einfache Vergangenheitsformen wie im Standarddeutschen gibt es, streng genommen, im bairischen Dialekt überhaupt nicht. Statt "es schneite" sagt man eben: Es hat gschneibt oder: Es hat gschniebn. Interessant ist der eingeschobene Buchstabe b, der nicht nur bei schneien, sondern auch bei speien (bairisch: speiben) zu beobachten ist. Im Bayerischen Wald ist die Form gschniem gegenüber gschneibt auf dem Rückzug, wie die Dialektologen Manfred Renn und Werner König festgestellt haben. Das b in schneiben und im Stammauslaut von gschneibt ist auf die historischen Vorformen mit w zurückzuführen. Schon im Althochdeutschen ist laut Renn und König die Verhärtung des w zu einem b zu beobachten (snibit). Auch in schriftlichen Dialekttexten taucht der Einschub des b auf, etwa in Ludwig Thomas Geschichte "Heilige Nacht": "Alle Weg san vaschniebn / Is koa Steigl net bliebn."

Wischkästla

Im Nordosten des Freistaats Bayern begegnen sich mehrere Dialektregionen, etwa das Nordbairische, das Ostfränkische und das Thüringische. Die Gegend ist ein Paradies für Liebhaber der Sprachvielfalt. Umso interessanter, dass der Bezirk Oberfranken kürzlich die Bevölkerung aufgerufen hat, das oberfränkische Wort des Jahres zu küren. Als Sieger ging das neue Wort Wischkästla hervor, es ist eine Übersetzung des gängigen Begriffs Smartphone. Das Wort klingt witzig und steht für den ehrenwerten Versuch, den Dialekt im 21. Jahrhundert innovativ weiterzuentwickeln. Auf den weiteren Rängen landeten die Wörter Herrgottsmuggala (Marienkäfer) und etzatla (jetzt).

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Quelle:
SZ vom 30.11.2015
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