Kratzers Wortschatz:Am besten schmeckt die Sau gesurt und geselcht

Das geräucherte Schweinerne ist eine Delikatesse, seine Herstellung ist ein Geheimnis - serviert wird es in Form von Zenterlingen.

Kolumne von Hans Kratzer

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Geselchtes

Lokal "Little Wolf" in München, 2016

Quelle: Robert Haas

Die Krieger- und Reservistenkameradschaft Buchbach (Kreis Mühldorf) hat vor Kurzem ein Geselchtes-Vergleichsessen abgehalten. Teilnehmen durfte jeder, der sein Fleisch nach altem Brauch selbst eingesurt und geräuchert hatte. Ein Geselchtes ist ein geräuchertes Schweinernes. Eine Jury musste dann das schmackhafteste Stück herausfinden. Die Veranstaltung hatte auch sprachlich einiges zu bieten.

In Altbayern sagt man zum Geselchten Gsoichts oder Gsejchts. "A Gsoichts", sagte der Buchbacher Vereinsvorstand, "muss mit Liebe, Können und Geduld gemacht werden." Es brauche dazu das Fleisch einer möglichst selbst gefütterten Sau, eine gute Sur nach geheimen Rezepten und ein gutes Gespür beim Selchen, also beim Räuchern. Das Fleisch wird zunächst mit Salz, Knoblauch und allerlei Gewürzen eingesurt und dann in einer Selche (Räucherkammer) geräuchert.

Harald Grill schildert in seinem Roman "Gehen lernen" eine Szene, die den hohen Wert des Geselchten veranschaulicht: "Da habts no a Rankerl a Gseijchts, hat der Onkel Sepp beim Abschied gesagt und der Mutti ein Stück Geräuchertes in die Hand gegeben... So ein Gselchtes schmeck ich zehn Kilometer gegen den Wind, sagt der Vati." In seinem 1909 veröffentlichten Stück "Die weltlichen Gesänge des Egidius Pfanzelter von Polykarpszell" hat auch Georg Queri dieser Delikatesse ein Denkmal gesetzt: "Und dann ein Pfund Gselchtes von einer jungen Sau - da hört sich die Weltgschicht auf, wenn man so ein gutes Bröckl hat, und ich könnts sauber an einem Freitag auch fressen und tät mich nicht Sünden fürchten."

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Zenterling

Tierhaltung - Schweine

Quelle: Carsten Rehder/dpa

Im Zusammenhang mit dem Geselchten ist häufig das Wort Zenterling zu hören. Ein Zenterling Gsoichts ist nichts anderes als ein Stück Geselchtes, die Franken sagen dazu Gracherts, die Oberpfälzer Schraidl, die Passauer Rankerl. Früher hatten die Fleischstücke durchaus den Umfang eines Schweineviertels, heute werden kleinere Stücke geselcht.

Bereits in den Wörterbüchern von Schmeller und Grimm aus dem 19. Jahrhundert tauchen die Begriffe Zenterling, Sauterling, Zenter und Zentling auf. Grimm erklärt sie als "ein zum Räuchern bestimmtes oder geräuchertes Stück Fleisch". Im Bayerischen Wörterbuch wird vermutet, das Wort Zenterling könnte wie das Verb zünden mit einem alten Wort für Feuer oder Flamme zusammenhängen. Möglicherweise steckt auch eine lateinische Wurzel drin, etwa das Wort centenarium (Zentner).

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Mein lieber Schieber

Schmuckfoto München Zentrum oder Nord

Quelle: Florian Peljak

Der aus dem Senegal stammende Taxifahrer Isaac Cissé lebt schon seit mehr als 40 Jahren in München. Regelmäßig kommentiert er in der BR-Sendung "Blickpunkt Sport" im Altmünchner Dialekt das aktuelle Sportgeschehen. Neulich wurde er gefilmt, als er zum ersten Mal auf einem Schlitten einen verschneiten Stadthügel hinuntersauste. Im Auslauf sagte er nur: "Mei liaba Schiaba!" Er hatte sichtlich Respekt vor dieser Fahrt.

Das Schlagwort "Mein lieber Schieber" hat wohl jeder schon mal gehört. Kindern, die einst etwas Verbotenes angestellt hatten, drohte die Mutter mit eben jenen Worten. "Mein lieber Schieber" war eine Warnung, ähnliche Verfehlungen nicht noch einmal zu begehen. Unter einem Schieber verstand man in Notzeiten einen Schwarzhändler, Schmuggler oder Schwirzer, wie man im Bayerischen Wald sagt. Fußballfans beschimpfen Schiedsrichter, wenn sie sich betrogen fühlen, ebenfalls als Schieber. Das Verb schieben benennt unter anderem den Status einer angehenden Liebesbeziehung. Wenn ein Paar miteinander schiebt, dann ist es so gut wie liiert.

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letz

Feldarbeiten im Herbst

Quelle: dpa

Das Adjektiv letz ruft schon beim Hören schlechte Laune hervor. Über eine Person, die keine Freude an der Arbeit hat, sagt man: Dem oder der ist alles zu letz! Drückt sich die Unlust im Mienenspiel aus, dann heißt es: Mei, hat's der aber letz! Über zwei Bäuerinnen, die ihren Pflichten nicht immer nur lachend nachgingen, urteilte einmal ein Beobachter: "Die Jung is letzer wia die Oid!", das heißt: Die junge Bäuerin ist noch schlechter drauf als die Altbäuerin. In diesem Sinne gilt ein letzer Mensch als unverträglich, ja sogar als bösartig.

Der Schriftsteller Oskar Maria Graf schrieb einmal sarkastisch: "Kein Weibsbild will offen zugeben, dass es letz ist." Der Dialektologe Ludwig Zehetner weist dem Adjektiv letz überdies die Bedeutungen "in schlechtem Zustand, fehlerhaft und kränklich" zu. Josef Ilmberger übersetzt letz in seiner Sprachfibel mit übermütig und ausgelassen: "Ees Hundsgribben, wos heids (seid ihr) denn so letz?"

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Gesthintre

Drehorgelbauer Deleika

Quelle: dpa

Vor kurzem war in der Landshuter Zeitung eine berührende Kleinanzeige zu lesen: "Suche Gesdhintre mit Zylinder, für Personengröße ca. 162 cm." Es wirkt fast so, als habe sich diese Anzeige in der Zeit verirrt. In Karl Valentins Kurzfilm "Die Orchesterprobe" von 1933 trugen die Protagonisten noch standesgemäß einen sogenannten Gesthintre. Anthony Rowley, der Leiter des Bayerischen Wörterbuchs, beschreibt dieses Gewand als "einen Gehrock, ein Kleidungsstück halb Mantel, halb Jacke, wie man es früher zum Ausgehen angezogen hat, vorn mit viel Beinfreiheit zum Laufen und hinten mit langen Schößen." Über dieses Teil könnte man folglich sagen: Du gehst wohl nach hinten oder: Du gehst hintre.

Als der Heimatverein Pang (Rosenheim) voriges Jahr bei einem Theaterabend "Die Orchesterprobe" präsentierte, spielte als Begleitung das "Gehsthintre-Orchester". Valentin Reitmajer schildert in seinem Buch "Kindheit in Niederbayern" den dortigen Pfarrer folgendermaßen: "Gemessenen Schrittes, schwarz gekleidet, ausgestattet mit schwarzem Hut, Priesterkragen und dem Gesthintre kam er ins Klassenzimmer." Die Anzeige in der Landshuter Zeitung hat ein 84-jähriger Witwer aufgegeben, wie ein Anruf bei ihm ergab. Er hat sich eine Drehorgel angeschafft, will damit aber nur standesgemäß auftreten, also mit einem Gesthintre. Immerhin haben sich bereits zehn Anrufer bei ihm gemeldet. Die Chancen, dass er bald im Gesthintre auftreten kann, stehen nicht schlecht.

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Briada

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Quelle: Robert Haas

Das Erste Deutsche Fernsehen unterhielt sein Publikum jüngst mit dem Film "Winterkartoffelknödel" nach dem gleichnamigen Roman von Rita Falk. Der Dienststellenleiter Moratschek sagte dort zum Dorfpolizisten Eberhofer und zum Privatdetektiv Birkenberger, nachdem sie einen Mordfall eher unkonventionell aufgeklärt hatten: "Ihr seids ma zwoa so Briada!"

Briada ist die bairische Pluralform von Brüder. Ohne Grundkenntnisse im Bairischen ist dieser Satz kaum zu verstehen. Ein Bruder ist eben nicht nur ein naher Verwandter. Im erweiterten Fall meint man damit ein Schlitzohr, einen Gauner oder eben staubige Bürscherl wie Eberhofer und Birkenberger. Ein nasser Bruder ist dagegen einer, der gerne ins Glas schaut. Homosexuelle wurden früher im abwertenden Sinne oft als warme Brüder bezeichnet. Damals, als noch der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches existierte, der von 1872 bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte.

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Zipfe

65th Four Hills Tournament - Innsbruck Day 1

Quelle: Bongarts/Getty Images

Der aus Siegsdorf stammende Skispringer Markus Eisenbichler hat bei der Vierschanzentournee überraschend den zweiten Platz in der Gesamtwertung belegt. Umso mehr erfreute er die Fernsehzuschauer mit seinem erfrischenden Redestil. Auch in Interviews sagt er ungeschminkt, was er sich denkt. Nach dem Springen in Bischofshofen am 6. Januar erklärte er im ZDF im unverfälschten Siegsdorfer Idiom, warum er im 2. Durchgang seine Führung nicht verteidigen konnte. "I war echt nervös", sagte er, "weil de andern Affen da oben sagen, dass der Kobayashi führt." Dann hätten sie ihn angestachelt: "Eisenbichler, jetz greifst o!" Das habe ihn gelähmt: "Und do hockst halt aufm Balken und denkst dir, du Zipfe gib a Ruah!"

Von Eisenbichlers Charme könnte sich so mancher aalglatt floskelnde Fußballer eine Scheibe abschneiden. Der von ihm virtuos eingeflochtene Begriff Zipfe ist natürlich nicht als Lob zu verstehen. Eisenbichler hätte seine Einflüsterer stattdessen mit den Worten Trottel oder Idiot würdigen können. Gelegentlich erfährt der Zipfe eine Erweiterung, etwa zum Zipfeklatscher. Die Kabarettistin Monika Gruber erwähnte in einem Sketch den Herrn Dödelmann, einen Zipfeklatscher im Landratsamt. Der Zipfe, der überdies das Gemächt umschreibt, ist auch in Bierzeltschlagern allgegenwärtig. Aus Gründen des guten Geschmacks sehen wir an dieser Stelle von einem Zitat ab.

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Oaschicht

Penzing: Depression in der Landwirtschaft / depressive Landwirte

Quelle: Johannes Simon

Kollegin K. hat neulich ihren Erzählfluss mit dem Hinweis bereichert, sie lebe in ihrer Heimat im Chiemgau in der Oaschicht (Einschicht). Ein reizender Begriff, der für eine Einöde oder für einen abgelegenen Ort steht. Einödhöfe heißen deshalb auch "oaschichtige Höf". Einschichtig lebt zudem ein Mensch, der alleinstehend, verwitwet oder anderswie einsam ist.

Für oaschichtige Personen gibt es heute ein moderneres Wort: Single. "Windiger Deanstbot, oaschichtiger!", so verspottet der Bauernsohn die Rumplhanni in Lena Christs gleichnamigem Roman. Das war in der früheren bäuerlichen Gesellschaft ein schwerer Mangel, denn es ging ums Überleben.

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Bader

Landarzt

Quelle: dpa

Die mittelfränkische Marktgemeinde Roßtal erhält für die Instandsetzung des spätbarocken Baderhauses 500 000 Euro aus dem Entschädigungsfonds des Freistaats Bayern. Das barocke Gebäude prägt mit seiner kunstvoll gearbeiteten Fachwerkfassade das Ortsbild von Roßtal. Das geschichtsträchtige Haus war einst eine Stätte der Heilung, handelt es sich doch um das Wohnhaus und die Praxis des letzten Roßtaler Baders.

Früher war der Bader so etwas wie ein Landdoktor oder Wundarzt. Auf Neudeutsch gesagt war er ein Allrounder, er hat Blutegel gesetzt, Zähne gerissen und die Haare geschnitten. Heute nennt man nur noch den Friseur hin und wieder Bader, wobei oft die ironische Erweiterung Baderwaschl zu hören ist. Zum Einseifen benützt ein Friseur nämlich einen Waschl. Der Sprachwissenschaftler Anthony Rowley führt den Waschl hingegen auf den Namen Sebastian zurück. Baderwaschl werden, obwohl sie ein scharfes Messer in der Hand halten, gerne getratzt, was folgender Spruch belegt: "Baderwaschl hod koa Geld im Taschl!" Der Schriftsteller Eugen Oker (1919-2006) wollte niemals ein Bader werden. "Naa naa!" hat er gesagt, "a Schuilehrer und 99 Bader san 100 Narren."

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Zuawaziager

Herbstwerkzeuge

Quelle: Günther Reger

Auf der Stil-Seite der SZ ging es unter anderem um die Qualität von Ferngläsern. Es wurden faszinierende Geräte vorgestellt, die bei der Beobachtung von Vögeln wertvolle Dienste leisten und ungeahnte Einblicke in die Natur ermöglichen. Eindrucksvoll ist auch, wie sich diese Erfindung in der Alltagssprache niedergeschlagen hat. Weil Ferngläser durch ihre Optik die Eigenschaft besitzen, Dinge näher ans Auge heranzuziehen, sie also zuara oder zuawa ziehen (zuher, nordbairisch: zouwa), nannte man die Geräte auf dem Land schlicht und einfach Zuawaziager (Zuaraziager). Auch die Variante Zuarazaara ist noch zu hören, in dem Sinne, dass das Gerät ein Bild heranzerrt.

Manch alter Bauer sagt zum Fernglas dagegen Nowanziager, weil es eben das Bild näher (nowan) an ihn heranzieht. Gebräuchlicher ist aber die Form zuawa (zuara), die mehrdeutig verwendet wird. Über ein Kind, das fremdelt, sagt man: "Es traut sich ned zuawa!" Wenn man auf jemanden wartet und die Geduld schon strapaziert ist, wird der Ärger in folgende Frage gekleidet: "Warum kommt denn der ned zuawa?"

© SZ vom 14.01.2019/vewo
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