Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Das lutherische Madl katholisch machen

Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten begleiten nicht nur durch die deutsche Geschichte, sondern auch die Fortentwicklung der Sprache

Katholisch machen

In einem offenen Brief an Ministerpräsident Horst Seehofer haben neulich 45 Ordensobere aus Bayern eine humanere Flüchtlingspolitik gefordert. Die Kirchenleute kritisierten vor allem die Rhetorik der Staatsregierung. "Wir fühlen uns von dem, was die CSU in der Flüchtlingskrise tut und sagt, nicht mehr repräsentiert", klagten sie. Auch die Welt der Kirchengläubigen ist also angesichts der politischen Weltlage aus den Fugen geraten. Das war aber früher nicht anders. Daran erinnert die interessante Redewendung "jemanden katholisch machen". Sie geht vermutlich auf die Zeit der Reformation zurück, in der sich diverse deutsche Regionen vom Katholizismus entfernt und sich der neuen protestantischen Lehre angeschlossen hatten. Das taten sie freilich nicht ungestraft, denn viele wurden mit Gewalt wieder zur Rückkehr zum katholischen Glauben gezwungen, kurzum: Sie wurden katholisch gemacht. In einem alten Studentenlied ist dies deutlich dokumentiert: "'s Madl is lutherisch worn - müaß mirs wieder katholisch macha!" Von dem Kabarettisten Gerhard Polt wissen wir, dass er evangelisch getauft wurde, was aber damals in der Altöttinger Gegend als sehr ungewöhnlich galt. "Also hat man mich katholisch gemacht." Der Spruch wird heute im übertragenen Sinn verwendet. Jemanden katholisch machen heißt: Den bringen wir wieder auf den richtigen Weg. Eben das planen nun die Ordensleute mit Blick auf ihre möglicherweise von der Nächstenliebe abdriftenden Glaubensbrüder Seehofer, Söder und Ramsauer.

Luthrischer Zipfe

Kriegerische und verbale Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten begleiten nicht nur durch die deutsche Geschichte, sondern auch die Fortentwicklung des deutschen Sprachraums. Der Autor Johann Rottmeier zitiert in seinem Redensarten-Buch "A Hund bist fei schon" (Volk Verlag) einen interessanten Reim aus dem frühen 20. Jahrhundert, den die katholische Obrigkeit in jener Zeit den braven Kindern eingeimpft hat, um andersgläubige Spiel- und Schulkameraden bei günstiger Gelegenheit angemessen zu verspotten: "Luthrischer Zipfe, steig auffe an Gipfe, foist owe in d'Hoi, bist an Deife sei Gsoi!"

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Quelle:
SZ vom 17.11.2015
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